Der Wein von Château Cheval Blanc ist nicht einfach nur gut. Er ist speziell, weshalb ein gemeiner Weintrinker mit ihm vermutlich wenig anfangen kann. Obwohl er, je nach Jahrgang, zwischen 600 und 900 Euro pro Flasche kostet, ist er nicht sonderlich lecker. Neben Eigenschaften wie Schwarzer Johannisbeere, Cassis, gerösteten Kaffeebohnen, Sternanis, Zimt werden ihm von Fachleuten auch regelmäßig bizarre Noten von Havanna-Tabak, gemahlenem Granit und rostigem Gusseisen zugeschrieben.
„Wir kümmern uns nicht um Qualität“
Nicht sonderlich inspirierend, schmeckt aber genial, wenn man eine Zunge für die Feinheiten eines Bordeaux hat. Pierre-Olivier Clouet, seit 2008 Technischer Direktor und damit oberster Hüter über den Wein dieses Premier Grand Cru aus St. Emilion, kommt es darauf an, diese Feinheiten herauszuarbeiten. Er nennt sie die Identität des Weins. „Wir kümmern uns nicht um Qualität“, sagt er. „Qualität ist das Minimum, was man erwarten kann, wenn man einen Wein dieser Preisklasse kauft. Wir arbeiten ausschließlich an der individuellen Identität unseres Weins.“ Diplomatisch fügt er hinzu: „…wie auch Figeac, Canon, Clos Fourtet und die anderen Premiers Grands Crus Classés von St. Emilion.“
Was bedeutet Identität?
Im Unterschied zu diesen Châteaux ist Cheval Blanc allerdings ein Premier Grand Classé „A“. Die anderen Weingüter, die er erwähnt, gehören in die Kategorie „B“. Eine Flasche deren Weins kostet ein Siebtel des Cheval Blanc. Oder weniger. Von hoher Qualität sind auch diese „B“-Weine. Ein „A“-Wein hingegen muß mehr bieten: besonderen Duft, unverwechselbaren Geschmack, Langlebigkeit verbunden mit der Verfeinerung der Nuancen. „Spezialität“, sagt Clouet. Am Abend vor der Weinprobe war ich mit Clouet, Alpina-Chef Burkard Bovensiepen und Markus Geigle, dem Leiter der Weinabteilung von Alpina, im Münchener Restaurant Les Deux zum Abendessen. Wir tranken einen 1983er Cheval Blanc. Auf meinem Probenzettel steht: Mokka, Bratensaft, jodige Strenge, malzige Süße, ein Rest von Cassis. Man kann so einen Wein mögen oder nicht. Aber selbst die, die ihn nicht mögen, werden seinen Geschmack nicht vergessen. Das meint Clouet mit „Identität“.
Wer sich für später etwas Gutes tun will, kauft jetzt den 2015er
Zur eigentlichen Probe am nächsten Tag tranken wir dann den 2015er Cheval Blanc. Großer Jahrgang, Vorschußlorbeeren ohne Ende, 100 Punkte Parker. Der Wein hat ein zartes Veilchen-/Minze-Bouquet, superfeines Tannin, eine perfekte Balance. Aber er schmeckt – pardon – ein bisschen gewöhnlich. Wer ihn jetzt trinkt, kommt nicht auf seine Kosten. Zu viel Primärfrucht, zu viel Backpulver-Aroma, zu toastig. Man wird 20 oder 30 Jahre warten müssen, bis er in das Stadium eintritt, in dem der 1983er sich heute befindet. 2038, zum Zeitpunkt des geplanten Kohleausstiegs in Deutschland, wird er vielleicht trinkbereit sein. Eine lange Zeit bis dahin. Aber wer sich für den Lebensabschnitt danach etwas Gutes tun will, sollte jetzt kaufen.

Schon ein Premier Cru, als er noch gar keiner war
Die Besonderheit des Cheval Blanc hat natürlich mit dem Terroir zu tun. Während all die anderen prestigeträchtigen Châteaux von St. Emilion auf einem Kalksteinplateau liegen, besteht der Untergrund bei Cheval Blanc aus Ton und Kiesel. Der Boden macht und machte schon immer den Unterschied aus. Kurz nachdem der Wein 1852 zum ersten Mal unter dem Namen Cheval Blanc auf den Markt kam (vorher hieß er einfach nur Vin de Figeac, weil die Ursprungsparzellen vom benachbarten Château Figeac gekauft worden waren), erhielt er die erste internationale Auszeichnung bei der Universal Exhibition in London. Weitere folgten. Anfang des 20. Jahrhundert stand der Wein dann regelmäßig auf den Speisekarten bei Staatsdîners in Paris, und zwar neben Margaux, Mouton-Rothschild, Haut-Brion, d’Yquem. Auch wenn er noch nicht offiziell klassifiziert war, galt Cheval Blanc damals de facto schon als Premier Cru.
Mehr Cabernet franc als in St. Emilion üblich
Zu den Besonderheiten von Cheval Blanc gehört auch, dass der Cabernet franc-Anteil in den Weinbergen ein wenig höher (55%) ist als in St. Emilion allgemein, der Merlot-Anteil dafür ein wenig niedriger (40%). Dazu kommen 5% Cabernet Sauvignon. Insgesamt 39 Hektar. Doch für Clouet zählen nicht die Hektare, sondern die 53 Plots, in die sie unterteilt sind – entsprechend der Zusammensetzung der Böden. Jeder Plot wird unterschiedlich bearbeitet, die Trauben separat erfasst und in einem separaten Betonbehälter vinifiziert, der Wein jedes Plots getrennt in Barriques ausgebaut. Natürlich wird auch jeder dieser Plots individuell gelesen – nicht zu spät, nicht zu früh. Clouet: „Unser Job ist es, die Trauben genau al dente zu lesen.“
Ein Premier Cru lässt sich nicht als Biowein zertifizieren
Übrigens ist Cheval Blanc offiziell kein Biowein. Ein Premier Cru lässt sich nicht zertifizieren. Herbizide sind trotzdem tabu, Insektizide werden auch nicht gespritzt, Botritizide ebenfalls nicht, aber auch kein Kupfer. Kupfer, im biodynamischen Weinbau gegen Falschen Mehltau (Peronospora) eingesetzt, ist für Clouet gefährlich. „Kupfer ist ein Schwermetall und reichert sich im Boden an“, sagt der 39-Jährige. „Gegen Peronospora greifen wir, wenn sie auftritt, lieber auf Chemie zurück.“
Sehr unterschiedlich die 2011er, 2009er, 2006er
Wir tranken dann noch drei Jahrgänge Cheval Blanc. Der 2011er fleischig, kräuterwürzig mit viel frischer Schwarzkirsche und einem Hauch von Sechuan Pfeffer: ein klassischer St. Emilion. Der 2009er hochkonzentriert mit seidigem Tannin und beeriger Süße – ein perfekter Wein, aber – wie Clouet hinzufügt – „erst seit zwei Jahren“. Vorher sei der 2009er „nur süß und fett“ gewesen. Schließlich der 2006er: Pflaumenmus mit zimtig-erdigen Noten, mürbe werdendes Tannin, fortgeschrittener Reifezustand. „Der einzige Cheval Blanc, der keine Cassis-Noten aufweist“, kommentiert Clouet.
Nicht zu vergessen: Le Petit Cheval
Beeindruckend sind alle drei Jahrgänge. Aber der schönste, zumindest der momentan begeisterndste Wein war für mich der 2012er Le Petit Cheval, der Zweitwein des Château. Er ist aus dem Wein derjenigen Plots komponiert, die in diesem Jahr nicht in den Grand Vin eingegangen sind. Überwältigende Frucht, strahlende Frische, herzhafte Würze. Vor allem: schon zugänglich. „Der Petit Cheval hat die DNA des Cheval Blanc“, erklärt Clouet. Allerdings auch einen ähnlich ambitionierten Preis. Er kostet um 180 Euro. Dass er und die anderen Weine keine Schnäppchen sind, hat seinen Grund. Vor zwanzig Jahren hatten die Fourcaud-Laussac, die langjährigen Besitzer, das Château verkauft. Die Zahl der Familienmitglieder, die Anteile hielten, war auf 42 gestiegen. Es wurde immer schwieriger Entscheidungen zu treffen. Erworben haben Cheval Blanc letztlich zwei Finanzinvestoren: Bernard Arnauld, Mehrheitsgesellschafter des Luxusgüterkonzerns LVMH, und Albert Frère, Shareholder bei adidas, dem Mineralölkonzern Total, früher auch Bertelsmann-Gesellschafter (er ist vor wenigen Monaten gestorben). Seine Holding setzt, ebenso wie die seines Partners, alles daran, den Kaufpreis möglichst rasch zu refinanzieren. Rabatte kann man deshalb nicht erwarten. Übrigens: Zum Schaden des Weins ist der Besitzerwechsel nicht gewesen. Im Gegenteil. „Wir führen den traditionellen Cheval Blanc fort, aber mit mehr Details, mehr Spannung, mehr Präzision“, berichtet Clouet. Eine wichtige Voraussetzung dafür war der neue, spektakuläre Keller, der 2011 eröffnet wurde. Natürlich wurde auch er den neuen Besitzern nicht umsonst hingestellt.

Zum Schluss Quinault L’Enclos
Zum Portfolio der Cheval Blanc-Eigentümer gehört seit 2009 auch Château Quinault L’Enclos, ein einfacher Grand Cru Classé von St. Emilion. Wer nicht mehr als 40 Euro ausgeben will, ist mit ihm sehr gut bedient. Auch er ein besonderer Wein, wenngleich aus einem anderen Grund: der Rebsorten-Zusammensetzung. Er enthält ganz wenig Cabernet franc, dafür umso mehr Merlot und 20 Prozent Cabernet Sauvignon. Wir probierten den 2015er und den 2012er. Beide überraschend kräftig, aber mit sehr präsentem, beim 2012er noch hartem, unaufgeschlossenem Tannin. Die Cabernet Sauvignon lässt grüßen. Jedenfalls ist Quinault L’Enclos keiner dieser weichgespülten, ultrakonzentrierten St. Emilions im Michel Rolland-Stil. Mit moderner Önologie hat Clouet sowieso wenig im Sinn: „Moderne Önologie dient immer nur dazu, schlechte Weine besser aussehen zu lassen.“
Noch ein Wort zu Cheval Blanc. Trotz seines Namens hatte das Château bis jetzt keinen Weißwein im Programm. Das ändert sich gerade. Der erste Jahrgang des Le Petit Cheval Blanc ist auf dem Markt. Reinsortig Sauvignon Blanc (künftig mit einem Anteil Sémillon), geschliffen, subtil, stilistisch eher angelehnt an Burgund als an die Loire. Man könnte auch hier sagen: mit der DNA seines roten Bruders.
Alle Weine sind erhältlich bei www.alpina-wein.de, teilweise auch ältere Jahrgänge