Die Veroneser sind geschäftstüchtige Leute. Wenn es am heißesten ist im Jahr und sie selbst an die Strände des Mittelmeers fliehen, laden sie Bässe, Tenöre und Soprane ein, um sie in ihrer Arena singen zu lassen. Schon kommen die Fremden zu Tausenden in die Stadt, um dem Spektakel beizuwohnen. Statt menschenleer ist Verona dann voll. Und wenn die armen Gäste dann tagsüber Erfrischung am nahen Gardasee suchen und ein Liegestühlchen brauchen, sind die Veroneser auch nicht zimperlich, was das Pekuniäre angeht.
Geschäftstüchtig sind die Veroneser eigentlich auch beim Wein. Den Amarone, diesen festlichen, früher nur in Kleinstmengen erzeugten und entsprechend teuren Wein haben sie zum Hauptprodukt im hügeligen Hinterland der Stadt gemacht. Selbst kleine Winzer sind durch ihn im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte zu wohlhabenden Menschen geworden. Sicher, in einem Amarone steckt mehr Arbeit als in einem einfachen Valpolicella. Bei 20 bis 30 Euro pro Flasche, oft auch mehr, winkt dafür eine hübsche Rendite. Der Valpolicella, früher der Brot- und Butterwein der Winzer, ist über den Erfolg des Amarone fast in Vergessenheit geraten. Die junge Weintrinkergeneration kennt ihn kaum noch, die Älteren denken nur noch mitleidig an ihn. Sie machen einen Bogen um die traurigen Exemplare, die in den Regalen der Supermärkte ihr Dasein fristen.
Guter Valpolicella nicht leicht zu finden
Dabei gibt es ihn noch, den guten Valpolicella classico oder Valpolicella superiore. Man muss für ihn nur direkt zu den Winzern gehen. Und man muss genau hinzuschmecken. Das Weingut Ca’Rugate in Montecchia di Crosara, rund 20 Kilometer östlich von Verona gelegen, erzeugt zum Beispiel einen sehr guten Valpolicella. Er leuchtet rubinrot, nicht hellrot. Er verströmt den tiefen Duft von Waldbeeren und Pflaumen und schmeckt nicht wie verdünnter Vielfruchtsirup. Er haftet am Gaumen und verrinnt nicht unbemerkt hinter den Papillen. Allerdings ist er auch nicht für 2,99 Euro zu haben, sondern kostet 7,50 Euro.
Trotzdem: eine lohnende Investition. Eine bessere Investition tätigt freilich, wer noch ein paar Euro drauflegt und eine Flasche Campo Lavei von Ca’Rugate ersteht. Dieser Wein ist eine Cuvée aus den besten Partien Valpolicella mit 30 bis 40 Prozent Amarone: ein herrlich fruchtiger, fast verschwenderisch-voller Wein mit weichem, gut verschmolzenen Tannin, dessen besonderes Kennzeichen eine ganz zarte, an Zimt und Kardamom erinnernde Würze ist. Bei 13,50 Euro fragt man sich, wo der Geschäftssinn der Verantwortlichen des Weinguts geblieben ist, zumal dieser Preis dem außergewöhnlich guten Jahrgang 2009 geschuldet ist. Normal kostet der Wein noch weniger.
Der Campo Lavei besitzt die Frische eines Valpolicella, bringt aber wesentlich mehr Körper mit mit und kommt ohne die marmeladig-süßen Töne eines Amarone aus. Mit 14 Vol.% ist er wahrlich nicht schwach auf der Brust, besitzt dafür aber auch 33 Gramm Trockenextrakt (für Analysetrinker). Und 2009 war der bisher beste Jahrgang dieses Weins – der größte des neuen Jahrhunderts im Valpolicella.
Kein Ripasso-Wein
Übrigens: Der Campo Lavei ist kein Ripasso-Wein: Bei diesem Weintyp, der in den letzten Jahren im Anbaugebiet um Verona einen steilen Aufstieg erlebt hat, wird der schon durchgegorene Valpolicella im März des auf die Lese folgenden Jahres noch einmal auf der Restmaische des Amarone nachvergoren. Ein Ripasso besitzt dadurch mehr Tannin und mehr Alkohol, also mehr Struktur als ein einfacher Valpolicella. Er kostet auch mehr. In der Hierarchie steht er deutlich über dem Valpolicella, aber auch deutlich unter dem Amarone. Der Campo Lavei ist dagegen eine ganz normale Cuvée.
Im Grunde war es dieser Ripasso, der den guten Valpolicella verdrängt hat. Sein Aufstieg darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht alle Weinerzeuger des Anbaugebiets vom Ripasso-Verfahren überzeugt sind. Die beiden Top-Erzeuger der Zone, Romano Dal Forno und Giuseppe Quintarelli, lehnen das Ripasso-Verfahren ab. Sie verschneiden lieber Amarone und Valpolicella direkt. Andere halten es ähnlich, auch Ca’Rugate. Durch das nochmalige Vergären kommt nämlich der bereits fertige, aber noch ungeschwefelte und damit ungeschützte Valpolicella mit Sauerstoff in Berührung (Gärhefen brauchen Sauerstoff). Das macht, dass Ripasso-Weine oft etwas unfrisch, im weitesten Sinne oxidiert schmecken.
Ca’Rugate berühmt für seinen Soave
Ca’Rugate ist ein mittelgroßes Familienweingut. Es liegt in der Soave-Zone und erzeugt etwa eine halbe Million Flaschen. Bis vor zehn Jahren wurde nur Weißwein produziert. Auch heute lebt die Inhaberfamilie Tessari noch hauptsächlich vom Soave. Schon ihr einfacher Soave legt Ehre für diese einst stolze, heute etwas in Verruf geratene Appellation ein, die von dem albernen Lugana-Hype überrollt worden ist. Zwei ihrer besseren Weißweine haben letzte Woche gerade die 3 Gläser vom wichtigsten italienischen Weinführer Gambero Rosso erhalten, die höchste Auszeichnung.
Zum Rotwein kam Ca’Rugate erst vor gut zehn Jahren. Durch Erbschaft fiel den Tessari ein Weinberg im Valpolicella zu. 2001 erzeugten sie dort den ersten Amarone, wenig später den ersten Campo Lavei. Zwar stellen die Tessari auch noch einen Ripasso her, doch intern sind die Familienmitglieder überzeugt, dass eine Cuvée wie beim Campo Lavei die bessere Alternative ist: „Ein großer Wein für wenig Geld“, nennt ihn Michele Tessari, der Önologe. Recht hat er. Sogar erschreckend wenig Geld im Vergleich zu den Preisen für Liegestühle und Sonnenschirme am Gardasee.