Mit Häusern kennt Roberto Giannelli sich aus. Jahrelang hat er Fabrikhallen, Industriekomplexe, Produktionsstätten und andere Industrieimmobilien in der Toskana verkauft. Dann stand er eines Tages zufällig vor einer kleinen, alten Häusergruppe in der südlichen Toskana, umgeben von duftenden Lorbeerhecken, Rosmarinstauden, Weißdornsträuchern, umstanden von hoch gewachsenen, schlanken Zypressen. Der Himmel war blau, die Luft frisch und außer den Grillen, die in den Kronen der Zypressen zirpten, war kein Laut zu hören. Da wusste Giannelli, dass die Zeit gekommen war sich zu entscheiden: „Der Zug hält nur einmal.“
Die Häusergruppe war ein Weingut. Sein Name stand mit weißer Farbe auf einem alten Stück Holz geschrieben: San Filippo. Das Weingut liegt zwei Kilometer von Montalcino entfernt, tief versunken zwischen Olivenhainen, Weinbergen, kleinen Feldgehölzen und uralten Steinmauern, welche die Schotterwegesäumen, die zu San Filippo führen. Die Gemäuer sind aus grobem Naturstein. Die ältesten Teile stammen wahrscheinlich von 1672. Die Kapelle mit einem Glöcklein auf dem Dach wurde hundert Jahre später errichtet. Sie ist noch heute geweiht.
Giannelli sprang auf den Zug. „Ich trank zwar gerne Wein, aber ich wusste nicht, wie er hergestellt wird. Ich hatte keine Ahnung von den Märkten. Ich kannte niemanden in der Gegend. Ich habe alles riskiert.“ Heute ist er 46 und kann sagen, dass er auf dem richtigen Weg ist. Sein Brunello war 2004 einer der besten und ist es 2005 wieder. Der amerikanische Wine Spectator zählt seinen Brunello Le Lucére sogar zu den Top Ten des Anbaugebiets.
Doch Giannelli ist ein vorsichtiger Mensch. Er geht mit Fremdurteilen nicht hausieren. Er spürt die derzeitige Zurückhaltung der Märkte. Er sieht, wie die Brunello-Preise bröckeln. Und er weiß, dass San Filippo trotz der Investitionen, die er zwischenzeitlich getätigt hat, noch immer ein relativ unbekanntes Label in Montalcino ist. „Es geht eben langsam, aber wer gute Lagen hat und hart arbeitet, schafft es.“
Die Weinberge von San Filippo liegen im Südosten des Anbaugebiets. Gegen die großen Hitzen, die in 2003 und 2009 an vielen Stellen den Saft in den Beeren haben regelrecht kochen lassen, ist das Weingut geschützt. In kühlen Jahren könnte es eventuelle Reifeprobleme geben. Doch kühle Jahre sind immer seltener. Die Temperaturen steigen, auch in Montalcino. „Mein Brunello prunkt nicht mit Fülle “, sagt Giannelli. „Er ist ein balancierter, eleganter Wein.“
Fülle ist ein Merkmal der Brunello von den warmen Südwestlagen Montalcinos. Oder jener Weine, die illegal mit Merlot und anderen internationalen Sorten verschnitten wurden. Brunello-Gate ist noch nicht lange her. Auch Giannelli erzeugt eine Cuvée von Sangiovese, Merlot und Syrah. Aber er nennt diesen Wein nicht Brunello, sondern Staffato: eine Art kleiner Super-Tuscan. Oder genauer: Sant’Antimo Rosso. So heißt die Appellation, unter der solche Verschnitte erlaubt sind. Wo Brunello draufsteht, ist bei ihm nur Sangiovese drin.
Was dem Le Lucére an Wucht fehlt, besitzt er an Aromentiefe. Ein Cocktail von Blaubeeren, Brombeeren, Marascakirschen, dazu ein Hauch von Lakritz und Nelkengewürz. Das häufig harte, spröde Sangiovese-Tannin ist gut verschmolzen, Der Wein wirkt seidig und weich. Ein sehr präziser Brunello, herzhaft, saftig, modern und absolut kein mainstream-Wein.
Giannellis einfacher Brunello ohne Lagenbezeichnung kommt von einer nach Norden ausgerichteten Lage, die frische, aber nicht sehr strukturierte Weine ergibt (ca. 25 Euro). Er wird in vergleichsweise kleinen Mengen produziert. Le Lucére ist der Hauptwein. Von ihm werden 25 000 bis 30 000 Flaschen gefüllt (ab 30 Euro). In besonderen Jahren (wie 2004) wird noch eine kleine Menge Riserva draufgesetzt (ab 45 Euro). Unterhalb des Brunello-Niveaus stehen der Rosso di Montalcino (ab 14 Euro) und der Staffato (ab 19 Euro). Alle Weine werden teils in großen alten Holzfässern, teils in Barriques ausgebaut.
So sehr sich Giannelli zu San Filippo hingezogen fühlt, so sehr braucht er auch die Großstadt. Er ist in Florenz geboren und liebt die Stadt samt ihrer Fiorentina, ihres Fußballclubs. Deren Spiele besucht er regelmäßig. Seine Frau Mariacristina arbeitet für das Modeunternehmen Della Valle („Tod’s“), deren Inhaber Diego und Andrea Della Valle zugleich Eigner der Fiorentina sind. Klar, dass in der Loge schon mal Brunello von San Filippo ausgeschenkt wird.
Doch das Weingut ist inzwischen seine zweite Heimat. Giannelli hat nicht nur die Weinberge neu angelegt. Er hat auch die alten Gebäude renoviert und restauriert (http://www.sanfilippomontalcino.com/). Mittelpunkt ist der große Salon mit dem Kamin, dem langen Esstisch für Weinproben und gesellige Abendessen, dem Blick hinaus in den toskanischen Garten. Gäste sind fast immer da, private sowohl wie zahlende. Denn San Filippo ist auch ein kleines Relais. Zwei Appartements und eine Wohnung im Nebenhaus werden vermietet.