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Brunello di Montalcino von Biondi Santi: kleine Vertikale in Hamburg

Wer die Weine von Biondi Santi auf dem Höhepunkt trinken will, braucht Geld und Geduld. Aber nach 25 und mehr Jahren geht die Rechnung auf.

Wie langlebig sind die Brunello von Biondi Santi? Die Antwort auf diese Frage sollte eine Degustation geben, die im September in der Hanse Lounge in Hamburg stattfand und bei der fünf alte Jahrgänge von Biondi Santis Riserva bis zurück ins Jahr 1975 geöffnet wurden. Spektakulär war die Degustation auch deshalb, weil das Weingut sehr zurückhaltend ist mit Verkostungen älterer Jahrgänge ihres Brunello di Montalcino. Für Flaschen, die das Weingut in seinem Archiv hat, werden Preise von bis zu 2000 Euro aufgerufen. Und bei 600 Euro pro Flasche junger Jahrgang finden sich auch nicht viele Sammler, die die Keller öffnen, um ihre Schätze zu präsentieren.

Stiff upper lip gefragt – steife Oberlippe

Bevor ich auf die Weine einzeln eingehe, noch ein paar Worte zum Weingut und zur Riserva. Das Weingut heißt Il Greppo und liegt etwa zwei Kilometer außerhalb von Montalcino. Es bewirtschaftet 32 Hektar Weinberge, die ausschließlich mit Sangiovese bestockt sind. Erzeugt werden etwa 70.000 Flaschen Rosso di Montalcino und Brunello di Montalcino. Dazu kommen bis zu 13.000 Flaschen Riserva. Sie ist es vor allem, die dem Weingut seinen Legendenstatus beschert hat. Die Riserva wird nur in sehr guten und großen Jahren abgefüllt. Die letzte auf dem Markt befindliche Riserva datiert von 2016. Im Folgejahr 2017 wird es keine Riserva geben (ebenso wenig vorher 2014, 2009, 2005, 2003, 2000). Sie ist der langlebigste Wein des Gutes. Die Rede ist dabei nicht von fünf oder zehn Jahren, sondern von mindestens 25 Jahren bei steter Verfeinerung. Um sie auf dem Höhepunkt zu trinken, braucht es also stiff upper lip. Zu deutsch: eine steife Oberlippe. Der gleichnamige Song der australischen Rockband AC/DC steht für Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen – in ihrem Fall beim Werben um die schönsten Ladies der Stadt. Brunello-Kenner sehen da eine Parallele zum Wein.

„Für eine lange Lagerung, nicht für hohe Bewertungen gemacht“

Von stiff upper lip-Rotweinen gibt es in Italien nicht viele Exemplare. Schon deshalb genießt Biondi Santi eine Ausnahmestellung. Allerdings waren und sind seine Brunello di Montalcino gerade deswegen auch umstritten. Angesichts des heutigen Brunello-Booms mit der Bevorzugung fruchtiger, hedonistischer Weine ist Biondi Santi zum Außenseiter geworden. Gegen die schon früh zugänglichen Önologenweine, die in den 1990er Jahren aufkamen und die Märkte im Fluge eroberten, wirken die Biondi Santi-Gewächse karg, spröde, säurebetont. Doch Franco Biondi Santi, der letzte Patriarch der Familie, führte das Vermächtnis seiner Vorfahren jahrzehntelang unbeirrt fort. „Meine Weine sind für eine lange Lagerung gemacht, nicht für hohe Bewertungen“, lautete seine Replik auf die oft wenig schmeichelhaften Kommentare der Kritiker.

Alte Weinberge von Biondi Santi in Montalcino

Am klassisch-traditionellen Stil festgehalten

Seinen klassisch-traditionellen Stil behielt der „Dottore“, wie er genannt wurde, jedenfalls bei. Er war immer der erste in Montalcino, der die Trauben las, und er vinifizierte sie buchstäblich nach alter Väter Sitte. Seine Weine waren extraktarm, relativ niedrig im Alkohol und hatten stets eine massiv hohe Säure, die bis 7,5 Gramm ging. Wenn nicht gerade ein großer Jahrgang ins Haus stand, waren die Trauben oft nicht zur Gänze reif. Das schmeckte man, vor allem beim Jahrgangs-Brunello (Annata). So kam es, dass das Weingut spätestens ab den 1990er Jahren in wirtschaftliche Schwierigkeiten geriet. Der Absatz war mühsam, Geld für Investitionen fehlte, und die Läger unverkauften Weins schwollen an. In den Nullerjahren erschütterte zusätzlich ein Streit innerhalb der Familie das Weingut. Wir haben auf weinkenner.de ausführlich darüber berichtet.

Den Preis verdoppelt – und die Verkäufe zogen an

Der Not gehorchend, entschied sich der „Dottore“ damals, einen Rosso di Montalcino zu erzeugen wie die anderen Erzeuger auch, was er bis dahin vehement abgelehnt hatte. Es nutzte wenig. Die Märkte konnten mit dem klassisch-traditionellen Stil wenig anfangen. Irgendwann reichte die Legende nicht mehr, um die übervollen Läger zu leeren. Erleichterung trat kurzfristig ein, als der „Dottore“ von einem Jahr aufs andere den Preis für seinen Brunello verdoppelte. Das aristokratische römische Publikum, seine Hauptzielgruppe, betrachtete die Maßnahme als Beweis der Exklusivität – und kaufte wieder. Aber Handel und Gastronomie blieben reserviert. 2013 starb Franco Biondi Santi mit 91 Jahren. Il Greppo ging an seinen Sohn Jacopo über. Der drehte an einigen Stellschrauben, entschied sich aber 2016 für den Verkauf. Seitdem ist die französische EPI Holding (zu der auch die Champagnermarken Piper Heidsieck und Charles Heidsieck gehören) Besitzer des Weinguts.

Der Jahrgang 1888: Auch Weine haben nicht das ewige Leben

Ich selbst war 1988 das letzte Mal zu eine großen Riserva-Vertikale nach Il Greppo eingeladen. Der Anlass war das hundertjährige Bestehen des Weinguts. Damals gab es noch kein Internet, meine Probenotizen schrieb ich auf Papier. Das Papier ist inzwischen vergilbt. Aber die Vertikale war so eindrücklich, dass ich mich noch heute gut an die großen Weine von einst erinnere: etwa die gerade freigegebene Riserva von 1983 und – mehr noch – die Riserva 1964. Der beste Wein der Probe aber war die Riserva 1955, ein sagenhafter Wein, der damals schon über 30 Jahre alt war und mit seiner Eleganz und Frische alles überstrahlte. Obwohl viele der Verkoster am Tisch schon damals Vorbehalte gegen den klassisch-traditionellen Stil hatten, war es plötzlich still im Saal. Keiner traute sich zu sagen, wie gut dieser Wein war. Zu viel Kritisches hatte jeder Anwesende schon über Biondi Santi abgelassen – mich eingeschlossen. Der absolute Höhepunkt des damaligen Jubiläums aber war das Öffnen einer der drei letzten im Weingut noch vorhandenen Flaschen des Jahrgangs 1888. Ich weiß nicht mehr, was auf der Flasche stand, Brunello jedenfalls nicht. Ich weiß aber, dass der Wein blassrot war und einen unglaublich feinen Duft verströmte. Im Mund war er Wasser. Auch Weine haben nicht das ewige Leben. Der Artikel über das Ereignis war, wenn ich mich recht erinnere, in der Zeitschrift VINUM erschienen, die damals noch eine rein schweizerische Publikation war. Leider habe ich das entsprechende Heft nicht mehr.

Die Riserva kommt von Rebstöcken, die älter als 25 Jahre sind

Zurück zur aktuellen Degustation. Die 5 Weine, die in Hamburg zur Verkostung standen, waren die Jahrgänge 2010, 1997, 1988, 1983, 1975. Alles Riserve. Die Flaschen waren eine Stunde vor der Verkostung geöffnet worden. Karaffieren, heisst es von Seiten des Weinguts, sei nicht zu empfehlen. Die Trauben für die Riserve kommen, so erklärte es Giampiero Bertolini, der neue Direktor, von Rebstöcken, die mindestens 25 Jahre alt sind, und zwar aus allen Parzellen. Es handelt sich bei der Riserva also nicht um einen Lagenwein. Das Statut des Brunello di Montalcino schreibt vor, dass Riserve erst im sechsten Jahr nach der Lese freigegeben werden dürfen. Statt der obligatorischen 24 Monate im Holzfass lässt Biondi Santi seine Riserve 36 Monate reifen.

Die Weine

Flaschen für die 5er-Vertikale in Hamburg

2010 Brunello di Montalcino Riserva „La Storica”

Großer Jahrgang in Montalcino, der noch von Franco Biondi Santi vinifiziert wurde. Das heißt: frühe Lese (20. September) und relativ kurze Maischegärung. Der Wein hat eine satte, nicht zu dunkle Farbe, in der Nase Brombeere und Teer, dazu einige grüne Unterholznoten, die zwar irritieren, den Spannungsbogen des Weins aber vergrößern. Am Gaumen glatt mit dichter Textur, großer Aromentiefe und einer für einen Rotwein dieser Herkunft ungewöhnlich hohen Säure – das Markenzeichen von Biondi Santi. Ich halte den 2010er in Montalcino entgegen weit verbreiteter Meinung nicht für den größten Jahrgang dieses Jahrhunderts. Viele Brunello, die ich in der letzten Zeit aus diesem Jahrgang verkostet habe, halten nicht, was von Kritikern vorhergesagt wurde. Auch große Etiketten sind überzogen strukturiert, alkoholreich, hedonistisch plump, viele mit deutlich flüchtiger Säure. Kurz: unbalanciert. Im Vergleich dazu wirkt Biondi Santis Riserva bescheiden, ja karg. Das Bouquet ist, wie so häufig bei diesem Erzeuger, faszinierend. Aber trotz des warmen Jahrgangs sind grüne Noten zu spüren. Der Gaumen ist streng, die Säure schmerzhaft, das Tannin massiver als sonst. Dass sie an die großen Riserve früherer Jahrzehnte heranreicht, bezweifele ich. Trotzdem: Die Zeit für diese Riserva wird kommen, wenn die anderen 2010er Brunello sich schon im Sinkflug befinden.

Meine Bewertung: 94/100 Preis: 590 Euro Bezug: www.ludwig-von-kapff.de u.a.

1997 Brunello di Montalcino Riserva „La Storica”

Ein warmer, teilweise heißer Jahrgang, der zu den allerbesten der letzten Jahrzehnte gehört, was der Biondi Santi-Riserva sehr zugute kommt. Der Charme dieser Riserva besteht im Moment darin, dass sie noch viel Frische hat und gleichzeitig schon ein gutes Reifepolster mitbringt: satte Frucht mit süßen, reifen Waldbeeren und würzigem Wachholder, Orangenschale, Teer, Backpflaumen, dazu eine packende Tanninstruktur, eine lebendige Säure, kein bisschen müde.  Ich finde, das Trinkfenster dieses Weins öffnet sich gerade und bietet derzeit hohen Genuss

Meine Bewertung: 97/100 Preis: 750 Euro Bezug: www.superiore.de u.a.

1988 Brunello di Montalcino Riserva „La Storica”

Das Jahr war in der Toskana allgemein ein sehr guter, aber kein außergewöhnlicher Jahrgang. In Montalcino gehört 1988 hingegen zu den Top-Jahrgängen, was man der Riserva von Biondi Santi anmerkt. Schon das Rot ist noch gut gedeckt, im Glas kaum Orangetöne am Rand, schon gar keine Brauntöne. Die Frucht wird überlagert von Tertiäraromen wie Tabak, Teer, Sternanis, Leder. Die angenehme Süße resultiert vom Extrakt und schlägt einen Bogen zur präsenten Säure. Sie ist hoch, tut aber nicht weh. Ein fabelhafter Wein von mittlerer Komplexität, sehnig, nicht muskulös. Im Handel ist er teilweise noch erhältlich.

Meine Bewertung: 96/100 Preis: rund 1.250 Euro Bezug: www.bremer-weinkolleg.de, www.moevenpick.wein.com  

1983 Brunello di Montalcino Riserva „La Storica”

Wieder ein sehr warmes Jahr in der Toskana: Viele Brunello waren marmeladig und sind schnell gealtert. Nicht so die Riserva von Biondi Santi. Sie ist straff, relativ schlank, säurebetont, in der Nase rote Johannisbeeren, ansonsten viele balsamische Noten wie Lakritze, Trüffel, Leder. Sicher, die Spannung lässt langsam nach, das Alter ist spürbar. Aber der 1983er ist nichtsdestotrotz ein majestätischer Wein mit seidiger Textur, der noch einige Jahre durchhält. „Die Biondi Santi-DNA kommt diesem Jahrgang entgegen“ sagte Giampiero Bertolini, der Direktor. Stimmt. Ich würde den Wein jetzt trinken, wenn ich noch eine Flasche hätte. Hier und da findet man Einzelflaschen noch bei Raritätenhändlern.

Meine Bewertung: 96/10 Preis: rund 1.500 Euro Bezug: https://bottle-hero.de u.a.

1975 Brunello di Montalcino Riserva „La Storica”

Mit 1971 zusammen der beste Jahrgang in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Der Beweis ist diese Riserva. Überraschend kräftig und kompakt präsentiert sie sich im Glas, intensiv rot mit ganz feinem Orangerand. In der Nase getrocknete Feigen mit einem Twist von Preisselbeerkompott und erdig-würzigen Aromen, am Gaumen lang und noch erstaunlich intensiv im Geschmack. Das Tannin ist soft und perfekt verschmolzen. Auch wenn die Frucht etwas verblasst ist, besitzt die Riserva noch genügend Frische, um auch hedonistischen Weintrinkern Spaß zu bereiten. Nach fast 50 Jahren ein großer, ja grandioser Wein. Leider sind die meisten Flaschen schon lange ausgetrunken. Bei Biondi Santi kostet der Wein um die 2000 Euro. Der Erwerber kann aber sicher sein, dass die Flasche perfekt gelagert, schon zweimal aufgefüllt und neu verkorkt wurde. Die wenigen Flaschen, die auf dem Sekundärmarkt angeboten werden, sind teilweise zu Schnäppchenpreisen zu haben. Allerdings sollte das Füllniveau mindestens high shoulder sein, um keine Enttäuschung zu erleben.

Meine Bewertung: 97/100 Preis: 595 Euro Bezug: www.jahrhundertweine.de  

Seit 2017 führt das neue Management Regie

Das von der EPI Holding installierte Management besteht aus Italienern, an der Spitze Giampiero Bertolini. Er hat umfangreiche Änderungen vorgenommen, ohne am Mythos Biondi Santi zu kratzen: Zukauf von Weinbergen, Parzellierung der Rebanlagen, Bodenuntersuchungen, ein neues, flexibles Erziehungssystem, das dem Temperaturkapriolen Rechnung tragen soll. Der klassisch-traditionelle Stil wurde beibehalten, aber Lesezeitpunkt und Vinifikation moderat verändert. Zum Lunch tranken wir die 2016er Riserva, die eine deutlich weniger massive Säure aufweist als die alten Jahrgänge. Gleiches lässt sich von der 2018er Brunello di Montalcino Annata sagen, die wir en primeur serviert bekamen – der erste Jahrgang, bei dem der neue Staff von Anfang bis Ende Regie geführt hat. In der Toskana ein kühler, regnerischer Jahrgang, ist dieser Wein schlank und präzise mit reifer Säure. Stiff upper lip ist für ihn nur noch bedingt nötig. Und auch für den 2021er Rosso di Montalcino braucht es keine Geduld, sondern nur ein bisschen Kleingeld, um ein Fläschlein zu ergattern.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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