Bordeaux 2016: Eine Kopie des 2010ers? Oder noch besser?

Der Jahrgang 2016 schlägt in Bordeaux schon jetzt hohe Wellen. Er wird als noch besser als der 2015er bezeichnet und mit dem 2010er verglichen – dem bisher größten Jahrgang des neuen Jahrhunderts. Andrew Black hat sieben Önologen aus Saint-Emilion interviewt.

Wenn Weih­nach­ten vor­bei und der Wein durch die malo­lak­ti­sche Gärung ist, ist Zeit für ein ers­tes Resu­mée des neu­en Jahr­gangs. Die Kom­men­ta­re zum 2016er rei­chen von hoch­zu­frie­den bis über­schwäng­lich. „Superb“, „atem­be­rau­bend“, „fan­tas­tisch“ – so lau­ten die Adjek­ti­ve, mit denen er bedacht wird. Das Hoch­ge­fühl, das sich schon nach dem 2015er Jahr­gang in Bor­deaux ein­ge­stellt hat­te, wird noch ein­mal unter­mau­ert, zumal die Men­gen dies­mal über­durch­schnitt­lich sind.

Diesmal begründete Begeisterung

Der all­jähr­li­che Hype? Noch ist es zu früh, um ein end­gül­ti­ges Urteil über den Jahr­gang zu fäl­len. Bei den Primeur-Verkostungen, die im März und April in Bor­deaux statt­fin­den, wird sich zei­gen, ob die Begeis­te­rung begrün­det ist. Dies­mal spricht aller­dings vie­les dafür, dass es wirk­lich so ist und dass der 2016 sogar aus dem Schat­ten sei­nes Vor­gän­gers heraustritt.

Dabei sah es anfangs gar nicht gut aus in Bor­deaux. Die ers­ten fünf­ein­halb Mona­te des Jah­res reg­ne­te es stän­dig. Fol­ge: star­ker Peronospora-Befall der Blü­ten und der Geschei­ne. Danach folg­te ein lan­ger, nicht enden wol­len­der Som­mer, und mit ihm eine drei­mo­na­ti­ge Tro­cken­pe­ri­ode, die den Reben unter star­ken Was­ser­stress setz­te. Erst am 13. Sep­tem­ber gab es den ers­ten Regen, der hef­tig, aber kurz war und der den Reben nicht scha­de­te, son­dern sie im Gegen­teil stärk­te. Dann folg­te ein mil­der, tro­cke­ner Herbst, in dem die Trau­ben lang­sam aus­rei­fen konnten.

Der in Bor­deaux leben­de eng­li­sche Jour­na­list Andrew Black hat sie­ben Châ­teau­be­sit­zer und Öno­lo­gen aus Saint-Emilion befragt, wel­chen Ein­druck sie von dem neu­en Wein haben. Die Gesprä­che wur­den Mit­te Janu­ar geführt.

Fré­dé­ric Faye, 34, ist der Direk­tor von Châ­teau Figeac. Das Châ­teau ist unmit­tel­ba­rer Nach­bar von Che­val Blanc, und die Manon­courts, die Besit­zer­fa­mi­lie, glau­ben, dass ihr Wein auf Augen­hö­he mit dem berühm­ten Nach­bar ist. Tat­säch­lich ist Figeac aber nur als Grand Cru Clas­sé „B“ klas­si­fi­ziert. Um bei der nächs­ten Neu­klas­si­fi­ka­ti­on auf­zu­stei­gen, wur­de vor drei Jah­ren der bekann­te Öno­lo­ge Michel Rolland enga­giert, mit des­sen Hil­fe der Wein den letz­ten Kick bekom­men soll. Zu Figeac gehö­ren 40 Hekt­ar Reben. Der Wein besteht – unty­pisch für Saint-Emilion – aus je 35 Pro­zent Caber­net franc und Caber­net Sau­vi­gnon und nur aus 30 Pro­zent Merlot.

Frédéric Faye, Châteu Figeac
Fré­dé­ric Faye

Andrew Black: Wie prä­sen­tiert sich der Wein, nach­dem die malo­lak­ti­sche Gärung abge­schlos­sen ist?
Fré­dé­ric Faye: Die Malo war schon vor Weih­nach­ten been­det, und wir sind danach genau­so opti­mis­tisch wie im Okto­ber. Kei­ne bösen Über­ra­schun­gen. Der 2016er erfüllt unse­re Erwar­tun­gen vollauf.
Andrew Black: Sind alle drei Reb­sor­ten gleich gut?
Fré­dé­ric Faye: Alles drei sind exzel­lent, kei­ne bes­ser als die ande­re. Wenn es eine Über­ra­schung gäbe, dann ist es die Homo­ge­ni­tät von Caber­net Sau­vi­gnon, Caber­net franc, Merlot.
Andrew Black: Vie­le Ihrer Kol­le­gen beschrei­ben den 2016er als einen tann­in­star­ken Jahr­gang. Stimmt das auch für Figeac?
Fré­dé­ric Faye: Ana­ly­tisch stimmt es. Aber wenn man den Wein pro­biert, hat man gar nicht den Ein­druck von viel Tan­nin. Der ITP-Level ist zwar hoch, aber das Tan­nin scheint gut inte­griert zu sein. Der Tannin-Index ist die eine Sache, die Tex­tur eine ande­re. Wir haben sehr sorg­fäl­tig vini­fi­ziert und jede Über­ex­trak­ti­on vermieden.
Andrew Black: Das hohe IPT*-Niveau ist ein durch­aus nütz­li­cher Indi­ka­tor für das Poten­zi­al eines Weins. Vie­le Exper­ten schau­en auf ihn und fra­gen sich, ob der 2016er ein neu­er 2010er sein könnte.
Fré­dé­ric Faye: Ich ver­ste­he das. Ich kann mir vor­stel­len, dass vie­le das Jahrgangs-Pärchen 2015/2016 für einen neu­en Auf­guss von 2009/2010 hal­ten. Wir auf Figeac glau­ben, dass 2015 bes­ser ist als 2009, aber wir glau­ben nicht, dass 2016 bes­ser als 2010 ist. 2010 ist doch etwas höher ein­zu­schät­zen als 2016, Stand heute.
Andrew Black: Und die Alko­hol­ge­hal­te? Sie waren in 2010 sehr hoch.
Fré­dé­ric Faye: Der durch­schnitt­li­che Alko­hol­ge­halt ist in 2016 nied­ri­ger als in 2010. Er liegt leicht unter 14 Vol.%. Dar­über sind wir froh. Der Wein ist balanciert.
Andrew Black: Ande­re Châ­teaux dis­ku­tie­ren, wie­viel neu­es Holz der Jahr­gang braucht. Ist das auch auf Figeac ein Thema?
Fré­dé­ric Faye: Nein. Wir haben immer 100 Pro­zent neu­es Holz. Dar­an wird sich auch in 2016 nichts ändern. Wir arbei­ten aber immer wie­der mit neu­en Fass­pro­du­zen­ten zusam­men, in 2016 zum Bei­spiel mit Dar­na­jou. Ein exzel­len­ter Küfer. Sei­ne Fäs­ser geben dem Wei­ne eine leich­te Süße. Sie machen das Tan­nin fein. Das ist ein Mosa­ik­stein­chen im Pro­zess des Fine Tuning.

Bezug: www.club-of-wine.dewww.ludwig-von-kapff.dewww.moevenpick-wein.de

*ITP Inter­na­tio­na­le Mass­ein­heit für den Tannin-Gehalt von Stoffen

Pierre-Olivier Clou­et ist der tech­ni­sche Direk­tor von Châ­teau Che­val Blanc, einem von vier Pre­miers Crus „A“ in Saint-Emilion. Das heißt: Er ist für Wein­berg und Kel­ler zustän­dig. Das Châ­teau ver­fügt über ins­ge­samt 37 Hekt­ar Reben. Der Grand Vin besteht nor­ma­ler­wei­se aus 55 Pro­zent Mer­lot und 45 Pro­zent Caber­net franc. Jene Par­tien, die nicht gut genug für den Grand Vin sind, gehen in den Zweit­wein Petit Cheval.

Pierre-Olivier Clouet, Château Cheval Blanc
Pierre-Olivier Clou­et

Andrew Black: Gab es irgend­wel­che Über­ra­schun­gen, nach­dem die Wei­ne durch die Malo sind?
Pierre-Olivier Clou­et: Eigent­lich nicht. Die malo­lak­ti­sche Gärung ver­lief dies­mal völ­lig nor­mal, was wahr­schein­lich an den mode­ra­ten Alko­hol­ge­hal­ten liegt. Wir hat­ten drei Par­tien, die auch vor der Malo schon etwas schwä­cher waren. Sie sind es auch danach. Also kei­ne Über­ra­schung. Die­se Par­tien wer­den nicht in den Che­val Blanc eingehen.
Andrew Black: Wor­an lag es, dass die­se Par­tien schwä­cher waren?
Pierre-Olivier Clou­et: Es lag an der Tro­cken­heit. Die Reben in den betref­fen­den Par­zel­len waren noch rela­tiv jung und haben gelitten.
Andrew Black: Che­val Blanc lässt im Gegen­satz zu den meis­ten ande­ren Châ­teau die Wei­ne nicht in den Bar­ri­ques, son­dern im Stahl­tank die Malo machen. Warum?
Pierre-Olivier Clou­et: Wenn die malo­lak­ti­sche Gärung im Holz statt­fin­det, brau­chen wir eine Tem­pe­ra­tur von 20° C. Bei die­ser Tem­pe­ra­tur ent­wi­ckelt der Wein nach unse­ren Beob­ach­tun­gen leicht kara­mel­li­ge Noten. Das ist nicht schlimm. Aber unser Anlie­gen ist es, die Aro­men des Che­val Blanc mög­lichst pur zu erhal­ten, also rote Bee­ren und flo­rea­le Noten. Des­halb las­sen wir den Wein die Malo im Edel­stahl machen bei etwas nied­ri­ge­ren Temperaturen.
Andrew Black: Wie beur­tei­len Sie die Tex­tur des 2016ers?
Pierre-Olivier Clou­et: Die Wei­ne sind sehr tan­nin­reich, haben viel power. Und eine schö­nen Säure.
Andrew Black: Heißt das, dass der Wein streng ist?
Pierre-Olivier Clou­et: Der Wein ist tan­nin­reich. Aber das Tan­nin ist sehr reif und glatt. Es trägt zu den fan­tas­ti­schen Tie­fe und der enor­men Län­ge bei. Die Säu­re wie­der­um gibt dem Wein Fri­sche und Ausdruckskraft.
Andrew Black: Ähnelt der 2016er dem 2010er?
Pierre-Olivier Clou­et: Im Moment wür­de ich sagen, die 2016er sind aus­drucks­stär­ker als die 2010er. Aber das end­gül­tig zu beur­tei­len, ist es noch zu früh. Las­sen Sie uns die Primeur-Verkostungen im März und April abwarten.

Bezug: www.millesima.dewww.moevenpick-wein.de

 


 

Pau­li­ne Vaut­hi­er, 32, ist tech­ni­sche Direk­to­rin von Châ­teau Aus­o­ne, das zusam­men mit Che­val Blanc, Pavie und Angé­lus als St. Emi­li­on Grand Cru „A“ klas­si­fi­ziert ist. Unter die­sen ist es mit 7,3 Hekt­ar das kleins­te. Es befin­det sich im Besitz der Fami­lie Vaut­hi­er (die auch noch drei klei­ne­re Châ­teaux wie Fon­to­bel, Simard und Moulin Saint-Georges besitzt). Der Wein von Aus­o­ne besteht in der Regel zu 55 Pro­zent aus Caber­net franc und zu 45 Pro­zent aus Mer­lot. Der Zweit­wein heißt Cha­pel­le d’Ausone.

Pauline Vaut­hier, Château Ausone
Pau­li­ne Vauthier

Andrew Black: Wie ist Ihr Ein­druck vom Jahr­gang 2016, nach­dem die Wei­ne durch die Malo sind?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: Ich bin nicht bekannt dafür, einen Jahr­gang im frü­hen Sta­di­um zu hypen. Aber der ers­te Ein­druck ist her­vor­ra­gend. Was ich jetzt schon sagen kann: Der 2016er ist nicht so weich wie die 2015er Wei­ne. Der Wein ist mit Sicher­heit rund und ele­gant, aber das Tan­nin steht im Vor­der­grund. Für mich ist der 2016er very Bor­deaux.
Andrew Black: Und wie schmeckt er Ihnen persönlich?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: Offen gestan­den, zum jet­zi­gen Zeit­punkt pro­bie­re ich lie­ber den 2015er. Aber das gilt nur für mich. Ich trin­ke jetzt auch lie­ber den 2009er als den 2010er, weil er ein­fach wei­cher, aus­drucks­vol­ler ist. Die 2009er waren immer sehr attrak­tiv, auch schon gleich zu Beginn. Mit dem 2015er ist es ähnlich.
Andrew Black: Wie sieht es mit der Men­ge aus?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: Wir haben von Aus­o­ne etwas mehr im Kel­ler. Kon­kret: 21.000 Fla­schen statt nur die durch­schnitt­li­chen 18.000 Flaschen.
Andrew Black: Höhe­re Erträ­ge – wie kann die Qua­li­tät da so gut sein?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: 2016 ist ein Jahr, das hohe Qua­li­tä­ten und grö­ße­re Men­gen gebracht hat. Sowas gibt es. Wir haben durch­schnitt­lich fünf Hek­to­li­ter pro Hekt­ar mehr geern­tet als im letz­ten Jahr. Aber die grö­ße­re Men­ge bei Aus­o­ne ist auch dar­auf zurück­zu­füh­ren, dass ein Teil unse­res Caber­net franc so gut war, dass wir ihn statt in den La Cha­pel­le, unse­ren Zweit­wein, in den Grand Vin gege­ben haben.
Andrew Black: Es muss ein gutes Gefühl sein, dass Quan­ti­tät und Qua­li­tät stimmen…?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: Beson­ders nach den men­gen­mä­ßig klei­nen Jahr­gän­gen 2013 und 2014. Ich glau­be, alle haben in 2016 mehr pro­du­ziert, nicht nur wir. Gut für Bor­deaux also.
Andrew Black: Vie­le sagen, 2016 sei bes­ser als 2015. Stimmt das Ihrer Mei­nung nach?
Pau­li­ne Vaut­hi­er: Viel­leicht heben die, die so etwas sagen, ein biss­chen ab. 2016 wird sicher ein gro­ßer Jahr­gang. Aber 2015 ist, ehr­lich gesagt, von ande­rer Klasse.

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Fran­çois Des­pa­gne, 52, ist Mit­be­sit­zer und Direk­tor des Châ­teau Grand Corbin-Despagne in Saint-Emilion. Zum Châ­teau gehö­ren 24 Hekt­ar Wein­ber­ge. Der Grand Cru Clas­sé besteht nor­ma­ler­wei­se aus 75 Pro­zent Mer­lot und 25 Pro­zent Caber­net franc.

François Despagne, Château Grand Corbin-Despagne
Fran­çois Despagne

Andrew Black: Wie wür­den Sie den neu­en Jahr­gang beschrei­ben, nach­dem er die malo­lak­ti­sche Gärung durch­lau­fen hat?
Fran­çois Des­pa­gne: Mir war von Anfang an klar, dass wir einen hoch­klas­si­gen Jahr­gang im Kel­ler haben. Die­ser Ein­druck hat sich nach der Malo bestä­tigt. Aber anfangs schien mir der Wein viel­leicht ein biss­chen zu „mas­siv“ zu sein. Jetzt ist er run­der, wei­cher. Eine uner­war­te­te, ange­neh­me Über­ra­schung. Der Jahr­gang hat mehr Charme und ist ele­gan­ter, als wir glaubten.
Andrew Black: Und die Men­gen sind auch erfreulich…
Fran­çois Des­pa­gne: Die Men­ge der qua­li­ta­tiv höchst­klas­si­gen Par­tien ist grö­ßer. Das ist der inter­es­san­te Punkt. Die hohe Qua­li­tät zieht sich über alle Lots. Das heißt: Der Jahr­gang ist ziem­lich homo­gen. Der Anteil des Zweit­weins wird dadurch geringer.
Andrew Black: Wie hoch liegt der Alko­hol in 2016?
Fran­çois Des­pa­gne: Bei durch­schnitt­lich 13,8 Vol.%
Andrew Black: Sie sind ein Ver­fech­ter des nied­ri­gen Alkoholgehalts…
Fran­çois Des­pa­gne: Stimmt. Aber 13,8 Vol.% ist rela­tiv nied­rig. Ich habe zum Ver­gleich mal ein paar 2015er pro­biert und muss sagen: Die hohen Alko­hol­ge­hal­te die­ses Jahr­gangs füh­ren dazu, dass die Wei­ne nicht die­sel­be Fri­sche auf­wei­sen.  Viel­leicht hät­te ich in 2016 noch ein wenig frü­her lesen sollen.

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Alex­and­re Thien­pont, 61, ist Direk­tor und Mit­be­sit­zer des Vieux Châ­teau Cer­tan in Pome­rol. Zum Wein­gut gehö­ren 18 Hekt­ar Reben: 60 Pro­zent Mer­lot, 30 Pro­zent Caber­net franc, 10 Pro­zent Caber­net Sau­vi­gnon. Der Wein gehört zu den abso­lu­ten Spit­zen des Anbau­ge­biets. 1979 hat­ten die Thien­ponts das klei­ne Wein­gut Le Pin gegrün­det, des­sen Wein nach all­ge­mei­ner Ein­schät­zung auf Augen­hö­he mit Pétrus ist.

Alexandre Thienpont, Vieux Château Certan
Alex­and­re Thienpont

Andrew Black: Haben Sie schon alle Par­tien des 2016ers durch­pro­biert? Wird der Wein Ihren Erwar­tun­gen gerecht?
Alex­and­re Thien­pont: Natür­lich habe ich alles pro­biert. Und wenn man die fürch­ter­li­che Tro­cken­heit in 2016 im Kopf hat, bin ich total über­rascht über die Qua­li­tät. Aller­dings gibt es gro­ße Unter­schie­de zwi­schen den Par­zel­len mit alten und denen mit jun­gen Reben. Die jun­gen Reben haben in 2016 echt gelit­ten. Die Nar­ben sind schmeck­bar. Aber was die alten Reben an Wein gelie­fert haben, ist beeindruckend.
Andrew Black: Was heißt ‚alt’ bei Ihnen?
Alex­and­re Thien­pont: Wir bezeich­nen alle Stö­cke über 25 Jah­re als alt. Von ihnen kommt immer unser Grand Vin. In 2016 lie­fer­ten die alten Reben rund 70 Pro­zent unse­rer Ernte.
Andrew Black: Was wer­den Sie machen mit dem Wein von den trockenheits-geschädigten jun­gen Reben?
Alex­and­re Thien­pont: Der Wein ist gut, aber ein­fach. Wir machen einen beschei­de­nen Zweit­wein dar­aus. Er wird nicht so gut, wie man von einem gro­ßen Jahr erwar­ten könnte.
Andrew Black: Nicht so gut wie in 2015?
Alex­and­re Thien­pont: Rich­tig. Aber der 2016er Grand Vin wird bes­ser als der 2015er. Er wird getra­gen von einer gro­ßen Tie­fe und einer sehr dunk­len Far­be: Resul­tat der hohen Kon­zen­tra­ti­on und eines guten Säu­re­ni­veaus. Die Alko­hol­gra­da­ti­on liegt bei durch­schnitt­lich 14,1 Vol.%. Im Moment ist das Tan­nin noch etwas kan­tig, aber das ist gut so. 2016 ist ein klas­si­scher Jahr­gang, nicht so hedo­nis­tisch, so deka­dent wie 2015.
Andrew Black: Dann ent­spre­chen die Jahr­gän­ge 2015/2016 den bei­den letz­ten Jahr­gän­gen 2009 und 2010?
Alex­and­re Thien­pont: Genau. 2016 ist lang­le­big, wie 2010. Inter­es­san­ter­wei­se ist der 2009er Vieux Châ­teau Cer­tan im Moment ver­schlos­se­ner als der 2010er, der sich gera­de ein wenig öffnet.

Bezug: www.millesima.dewww.moevenpick-wein.de

 


 

Ana­bel­le Cruse-Bardinet ist diplo­mier­te Öno­lo­gin und lei­tet das Châ­teau Cor­bin, das Wein­gut ihrer Fami­lie. Der Grand Cru Clas­sé von Saint-Emilion ist ein wei­cher, femi­ni­ner Wein, der aus 80 Pro­zent Mer­lot und 20 Pro­zent Caber­net franc gekel­tert wird.

Anabelle Bardinet, Château Corbin
Ana­bel­le Bardinet

Andrew Black: Haben Sie den neu­en Jahr­gang schon pro­biert? Wel­chen Ein­druck haben Sie von ihm?
Ana­bel­le Bar­di­net: Das ers­te Post-Malo-Tasting ist immer ein heik­ler Moment. Du stellst dich auf Über­ra­schun­gen ein. Aber dies­mal war die Auf­re­gung umsonst. Es gab kei­ne Über­ra­schun­gen. Ein mäch­ti­ger, rei­cher Wein, der die Tann­in­struk­tur hat, die wir erwar­tet hat­ten. Zugleich ein gut kon­stru­ier­ter Wein mit einer per­fek­ten Balan­ce. Die­se Balan­ce ist es, die mich am meis­ten beein­druckt hat.
Andrew Black: Spie­gelt die tech­ni­sche Ana­ly­se die­sen Ein­druck wider?
Ana­bel­le Bar­di­net: Auch ana­ly­tisch betrach­tet, ist der 2016er per­fekt balan­ciert. Der Alko­hol­ge­halt selbst liegt bei 14 Vol.%, der pH-Wert bei 3,6. Das Gleich­ge­wicht zwi­schen Säu­re und Alko­hol stimmt also. Wir wuss­ten natür­lich von Anfang an, dass wir einen tan­nin­rei­chen Jahr­gang vor uns haben. Das hat sich auch nach der malo­lak­ti­schen Gärung bestä­tigt. Wir haben, ehr­lich gesagt, noch nie einen so hohen ITP* gehabt wie in 2016. Er lag durch­schnitt­lich bei 90, ein Tank lag sogar über 100.
Andrew Black: Ist es der tan­nin­reichs­te Wein, den Cor­bin je macht hat?
Ana­bel­le Bar­di­net: Ja. Aber wir haben nicht über­ex­tra­hiert. Wir haben sehr sanft und vor­sich­tig vinifiziert.
Andrew Black: Ich bin ver­sucht zu fra­gen, ob der 2016er Ähn­lich­kei­ten mit dem 2010er hat?
Ana­bel­le Bar­di­net: Der Unter­schied zwi­schen bei­den Jahr­gän­gen ist, dass der 2010er rund ein Grad mehr Alko­hol hat­te. Das ist eine Men­ge. Aber für ein end­gül­ti­ges Urteil ist es noch zu früh. War­ten wir die Primeur-Verkostungen ab.

Bezug: www.millesima.dewww.moevenpick-wein.de

*ITP inter­na­tio­na­le Mass­ein­heit für den Tan­nin­ge­halt von Stoffen

 


 

Der aus Däne­mark stam­men­de Peter Siss­eck, 56, Grün­der und Öno­lo­ge des Kult-Weinguts Domi­nio de Pin­gus in der spa­ni­schen Ribei­ra del Due­ro, hat 2010 zusam­men mit dem Schwei­zer Unter­neh­mer Sil­vio Denz das Châ­teau Rocheyron in Saint-Emilion erwor­ben. Das Cha­teau umfasst 8,45 Hekt­ar Reben, davon 70 Pro­zent Mer­lot und 30 Pro­zent Caber­net franc.

Peter Sisseck, Château Rocheyron
Peter Siss­eck

Andrew Black: Wie sind Sie zufrie­den mit dem 2016er?
Peter Siss­eck: Sehr zufrie­den trotz der extre­men kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen, die wir in 2016 vor­ge­fun­den haben. Es ist ein gran­dio­ser Wein, den wir auf Rocheyron im Kel­ler haben. Atemberaubend.
Andrew Black: Bes­ser als 2015?
Peter Siss­eck: 2015 war eben­falls her­vor­ra­gend. Aber 2016 ist etwas, das ich vor­her noch nie gese­hen habe. Ein­fach fantastisch.
Andrew Black: Man sagt, der Jahr­gang sei in Saint-Emilion nicht homo­gen. Reben auf san­di­gem Unter­grund haben die lan­ge Tro­cken­heit weni­ger gut über­stan­den als Reben auf kalk­hal­ti­gem Untergrund.
Peter Siss­eck: Die Reben von Rocheyron ste­hen auf Seestern-Kalkböden. Auf die­sen küh­len Böden haben sie weni­ger gelit­ten. Zwei­tens hat sich gezeigt, dass die Kon­ver­si­on auf bio­dy­na­mi­schen Anbau sich gelohnt hat. Unse­re Reben haben die Tro­cken­heit gut über­stan­den, bes­ser als in kon­ven­tio­nell bewirt­schaf­te­ten Weinbergen.
Andrew Black: Haben Sie frü­her als sonst gelesen?
Peter Siss­eck: Nicht frü­her, nicht spä­ter. Das Tan­nin muss reif sein, und 2016 hat­ten die Trau­ben viel Tan­nin. Die Trau­ben zu lan­ge hän­gen zu las­sen bedeu­tet, dass der Alko­hol steigt, und hoher Alko­hol führt zu mehr Tan­nin­ex­trak­ti­on wäh­rend der Mai­sche­gä­rung. Bes­ser gesagt: zu Über-Extraktion. In tan­nin­rei­chen Jah­ren muss man also vor­sich­tig sein. Das gilt auch für die Vini­fak­ti­on. Weni­ger Umpum­pen der Mai­sche, vor allem: vor­sich­ti­ge­res Umpumpen.
Andrew Black: Wie häu­fig haben Sie umgepumpt?
Peter Siss­eck: Nur ein­mal am Tag.
Andrew Black: Frü­her hieß es immer: Lan­ge Mai­sche­stand­zeit und häu­fi­ge pump over in poten­zi­ell gro­ßen Jahr­gän­gen, weni­ger Extrak­ti­on in klei­nen Jahrgängen.
Peter Siss­eck: Ich suche die Leich­tig­keit im Wein. Leich­tig­keit soll­te nicht als Schwä­che ver­stan­den wer­den. Leich­tig­keit ver­bun­den mit Inten­si­tät der Aro­men – das ist mei­ne For­mel. Wer  will heu­te noch Blockbuster-Weine trinken?
Andrew Black: Wie stark ähnelt der 2016er dem 2010er?
Peter Siss­eck: Nicht sehr. Der ph-Wert war in 2010 nied­ri­ger, der Alko­hol­ge­halt höher.
Andrew Black: Also wenig Gemeinsamkeiten?
Peter Siss­eck: Wür­de ich sagen, ja. Der 2016er steht für sich. Eini­ge mei­ner Kol­le­gen in Bor­deaux sagen dasselbe.

Bezug: www.millesima.dewww.moevenpick-wein.de


2 Kommentare

  • Wie­so sind die Oeno­lo­gen aus dem Medoc nicht nach ihren
    Ein­schät­zun­gen des 2016er Jahr­gangs befragt worden ?

    M.f.G. Con­rad Schäfer

    • Berech­tig­te Fra­ge, zumal in 2016 Caber­net Sau­vi­gnon beson­ders gut sein soll, die Leit­sor­te im Médoc. Die Ant­wort: Andrew Black, der Autor, ist vor allem in St. Emi­li­on und in Pome­rol unter­wegs und inter­viewt nur die dor­ti­gen Châ­teau­be­sit­zer. Eigent­lich schade.

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