Wollte man den Jahrgang 2013 in Bordeaux in fünf Worten beschreiben, müsste man sagen: Cabernet Sauvignon unreif, Merlot verwässert. Nicht gerade die besten Voraussetzungen für Weine, die nach eigenem Anspruch die besten der Welt sein wollen und es nach dem Preisniveau auch sind – zumindest die klassifizierten Gewächse.
Zugegeben: Bordeaux ist gestraft in den letzten Jahren. Nach 2011 und 2012 ist 2013 jetzt der dritte Jahrgang in Folge, der suboptimale Qualitäten hervorgebracht hat. Man muss schon vierzig Jahre zurückgehen, um eine solche Serie an problematischen Jahrgängen in Folge zu finden: 1972, 1973, 1974. Für das verwöhnte Bordeaux-Klientel entsteht jetzt, da die Subskriptionsphase bevorsteht (teilweise schon begonnen hat) eine schwierige Situation: kaufen oder lieber die Finger von diesem verregneten Jahrgang lassen?
Der Londoner Handel ist skeptisch
Anfang des Jahres, als die Weine noch im Fass gärten und niemand sie verkostet hatte, hieß es in Londoner Händlerkreisen: Wenn es nicht zu substantiellen Abschlägen im Preis kommt, wird dieser Jahrgang unverkäuflich sein. Substantiell – das bedeutete nach Vorstellungen der Händler: mindestens 20 Prozent weniger, wenn nicht gar 30 Prozent.
Inzwischen haben Handel und Presse die Weine probiert und scheinen nicht mehr ganz so negativ gestimmt zu sein wie anfangs. Joss Fowler vom Londoner Broker Fine & Rare: „Der Jahrgang ist nicht so schlecht, wie er gemacht wird, besonders wenn man einen Gaumen hat, der Säure vertragen kann.“ Der Bordelaiser Négoçiant Ben Kennedy sieht vor allem das Positive: „Es gibt einige sehr nette, kurz- bis mittelfristig trinkreife Weine.“ Und Simon Staples von Berry Bros & Rudd, einer der einflussreichsten Londoner Broker, warnt weniger vor dem Jahrgang als vor den Kommentatoren: „Man darf den Jahrgang nicht insgesamt verteufeln, wie manche Journalisten es tun…“
2013 teurer als bessere ältere Jahrgänge
Weinlager von Château MontroseDie Frage ist nur, ob es die klassischen Bordeauxtrinker nach netten, kurzlebigen Weinen dürstet. Eher nicht. Vor allem: ob sie bereit sind, für unbalancierte, unreife Weine Preise zu zahlen, für die sie am Sekundärmarkt teilweise sehr gute Weine älterer Jahrgänge bekommen könnten. Nachdem etwa die Hälfte der Châteaux mit ihren Preisen für den Jahrgang 2013 herausgekommen ist, zeigt sich nämlich, dass es „substantielle“ Preisabschläge dieses Jahr nicht geben wird. Bislang war kein Château bereit, 20 Prozent unter die Preise des Vorjahrgangs zu gehen. Den größten Abschlag verzeichnete der Wein von Lynch-Bages mit 17 Prozent. Lafite und Pichon Longueville Baron boten ihre Weine 14 Prozent billiger an. Mouton-Rothschild und Canon verlangten 10 Prozent weniger. Beim großen Rest bewegen sich die Preisabschläge im einstelligen Bereich. Pontet-Canet, Montrose und L’Evangile sind zu gleichen Preisen wie 2012 auf den Markt gekommen. Christian Seely, Direktor der Weinholdung Axa Millesimes, verteidigt die Preispolitik: „Ich will gerne zugeben, dass 2013 nicht der größte aller Jahrgänge ist, aber einige gute Weine gibt es ohne Frage, in kleiner Menge und mit hohen Produktionskosten belastet.“
Viel Chaptalisierung, viel Umkehrosmose
Letzteres stimmt. Viele Châteaux werden die Hälfte eines Normaljahrgangs oder weniger produzieren. Eine rigorose Grünlese im Sommer und skrupulöses Verlesen bei der Ernte haben die Mengen massiv reduziert. Teilweise wurden nicht nur Trauben, sondern Beeren selektiert. Auch sind hochtechnologische Konzentrationsverfahren wie die Umkehrosmose zum Einsatz gekommen. Und ohne Chaptalisierung ist kaum ein Weingut ausgekommen. Am Ende haben die besseren Châteaux noch einmal die Zahl der für den Grand Vin in Frage kommenden Fässer deutlich reduziert. „Wir glauben, dass die kleine Menge, die am Ende übrig blieb, von sehr guter Qualität ist“, rechtfertigt sich zum Beispiel Hubert de Boüard von Château Angélus, der nur 45 Prozent eines Normaljahrgangs füllen wird.
Überraschend positive Urteile
Château Cheval BlancNach den ersten Eindrücken der en primeur-Verkoster zu urteilen, sind überraschend viele der präsentierten Weine gut, wenn auch ohne Alterungspotenzial. Einige sind sehr gut, ein paar sogar groß. Die sehr guten Weine scheinen diesmal eher vom linken Ufer zu kommen. Auf gut drainierten Kiesböden hat die dickschalige Cabernet Sauvignon dem durch die Wasserfluten bewirkten Fäulnisdruck am ehesten widerstehen können. Groß könnte, wenn dieses Adjektiv überhaupt für einen 2013er Wein angebracht ist, zum Beispiel Mouton-Rothschild sein. Auf ihn fokussierte sich jedenfalls das Händlerinteresse in der Eröffnungsphase der en primeur-Woche. Auch Margaux wird teilweise hoch gelobt.
Manpower, Technik und Geld haben geholfen
So katastrophal wie die klimatischen Bedingungen in 2013 waren: Wo Geld, Manpower und Technologie zur Verfügung stehen, lässt sich auch in kleinen Jahren eine geringe Menge guten Weins produzieren. Das ist der Unterschied zu früher. Das Wort von Alain Vauthier, Besitzer von Château Ausone, ist deshalb wahr: „Es gibt keine schlechten Jahrgänge mehr.“

Sicher, noch nie vorher war die Produktion des Weins für die Châteaux so kostenintensiv wie in 2013 und in den beiden Vorgängerjahren. Sicher ist aber auch, dass suboptimale Jahrgänge noch nie so teuer angeboten wurden wie diese. Beim Wine Spectator und bei James Suckling liegen die Bewertungen für den größten Teil der 2013er zwischen 86 und 89 Punkten, in der Spitze zwischen 91 und 93 Punkten – ein ernüchterndes Urteil für Weine wie zum Beispiel Palmer, Angélus oder Pontet-Canet, die zwischen 160 und 200 Euro pro Flasche kosten sollen.
Subskription keine Option
Château Cos d’EstournelDie nächsten Wochen werden zeigen, ob der Handel den Jahrgang zu den jetzt ausgerufenen Preisen unterbringen kann oder ob die Châteaux die kommenden Tranchen niedriger kotieren müssen. Wahrscheinlich nicht. Auch wenn der Markt einen Jahrgang wie 2013 nicht braucht: Der Markt ist groß, die Mengen gering. Und Parker hat angekündigt, seine Punkte dieses Jahr erst im Sommer veröffentlichen zu wollen. Bis dahin ist das Geschäft gelaufen. Das Risiko tragen diesmal die Négoçiants, die, wenn sie ihre Zuteilungen für die nächsten Jahre nicht verlieren wollen, kaufen müssen – und am Ende auf den Weinen sitzenbleiben. Denn die Bordeauxtrinker, so ist zu befürchten, haben auf einen Jahrgang wie 2013 keine Lust, jedenfalls nicht zu den derzeitigen Preisen. Vor allem nicht, wenn zu befürchten ist, dass diese mittelfristig fallen könnten.
Übrigens: Le Pin und Vieux Château Certan haben entschieden, ihre Weine dieses Jahr gar nicht en primeur anzubieten.

Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.
Hallo Herr Priewe,
was ich in meinen 25 Jahren Bordeauxhandel gelernt habe, ist, dass schwarz-weiss bzw. entweder-oder immer falsch sind. Sowohl als auch muss es lauten. Der Jahrgang 2013 ist in der Tat besser als erwartet. Ein Vergleich mit 72-74 würde sich nur anbieten, wäre man heute noch auf dem Stand von damals. Das meint nicht unbedingt die Technik der Umkehrosmose. Hier konzentriert man nicht selektiv. Negatives wird ebenso verstärkt wie Positives. Heute wird der Lesezeitpunkt pro Kleinstlage extrem optimiert. Die Erträge sind bei einem Bruchteil von damals. Kleine Anekdote, wie man damals den Lesezeitpunkt “festsetzte”. Henry Schyler von Kirwan erzählte mir bei einem dinner, dass bis in die 80ziger gelesen wurde, wenn die Erntehelfer der iberischen Halbinsel eingetroffen waren. Das war mal eine Woche früher oder später, aber nur per Zufall im optimalen Reifezustand der Trauben.
Zurück zum 2013er. Der Jahrgang ist besser als erwartet oder befürchtet. Aber es eignen sich nur wenige Weine wirklich als Primeurkauf. Sowohl als auch. Na und?? Muss denn alles en primeur gekauft und verkauft werden? Es entscheidet doch nicht über die Güte eines Jahrgangs, ob dieser ein Subskriptionserfolg war oder nicht. Meiner Meinung nach wird eine große Anzahl der 2013 in einigen Jahren viel Freude machen. Frische Frucht, Eleganz, knackige Säure und zumeist gute Tannine werden viel Spass machen. Aber en primeur kaufen muss man viele Weine deshalb nicht. Es sei denn, Sie wollen “Ihren” Bordeaux in Sonderformaten oder sind sich sicher, dass sie den ohnehin kaufen wollen. Und pauschale Urteile wie 20% Preisabschlag??. Warum müssen die bei einem Cru Bourgeois sein, der vorher nicht extrem aufgeschlagen hat. Die 1er Crus, die immer gerne zitiert werden, wenn es um die überzogenen Preise in Bordeaux geht, machen 1,4% der erzeugten Menge in Bordeaux aus.
Echt? Ja!!!
In Bordeaux konnte anlässlich eines Abends der Academie du Vin de Bordeaux eine Vielzahl an Jahrgängen in weiss und rot verkosten, welche alle eine 4 am Ende hatten. Schöne Jahrgänge wie 64 oder 2004. Aber eben auch 74, 54 und einen beeindruckenden 1944er Pontet Canet. Kein Ausfall, einige ganz große Weine und viel charmante “Senioren”. Aber allen Unkenrufen zum Trotz. Das ist Bordeaux.
Mit den besten Wünschen
Ihr
Michael Grimm