Bordeaux 2013: haarscharf an der Katastrophe vorbeigeschrammt

Regenwolken über Bordeaux
Regenwolken über Bordeaux
Verrieselte Blüte, Regen, Fäulnis – die klimatischen Bedingungen in Bordeaux waren 2013 so schlecht wie zuletzt 1963 und 1968. Vier Châteaubesitzer und Önologen aus St. Emilion und Pomerol erklären, weshalb sie trotzdem glauben, einen guten Wein im Keller zu haben. Von Andrew Black.

Der Jahr­gang 2013 wird in die Anna­len Bor­deaux’ als einer der schwie­rigs­ten der letz­ten Jahr­zehn­te ein­ge­hen. Einem tro­cke­nen und hei­ßen Juli und August folg­te ein küh­ler, immer wie­der von Regen­fäl­len unter­bro­che­ner Sep­tem­ber. Als nach ein paar war­men Tagen Ende Sep­tem­ber alle glaub­ten, nun begin­ne der Gol­de­ne Okto­ber und lie­ße die Trau­ben lang­sam aus­rei­fen, da begann es erst rich­tig zu schüt­ten. Die Trau­ben faul­ten am Stock und muss­ten in Win­des­ei­le gele­sen wer­den, um Schlim­me­res zu ver­hü­ten. Exper­ten ver­glei­chen den Jahr­gang mit 1963 und 1968 – oder auch 2002.

Geringer Behang, oft nur Kümmerbeeren

Doch ver­häng­nis­vol­ler noch war ein Ereig­nis, das zu die­sem Zeit­punkt schon fast in Ver­ges­sen­heit gera­ten war: Dass die Blü­te im Früh­jahr auf­grund von viel zu küh­len Tem­pe­ra­tu­ren und von Regen­fäl­len ver­rie­selt war. Der Behang war gering, und vie­le Trau­ben tru­gen nur kern­lo­se Küm­mer­bee­ren. Die Reben gerie­ten ins Ungleich­ge­wicht – ein Zustand, von dem sich die Reb­stö­cke bis zuletzt nicht mehr voll erholt haben.

Der Eng­län­der Andrew Black lebt in Bor­deaux und hat Anfang Dezem­ber vier Châ­teau­be­sit­zer und Öno­lo­gen aus Pome­rol und St. Emi­li­on nach ihrer Ein­schät­zung des Jahr­gangs 2013 befragt. Das Ergeb­nis über­rascht: Alle sagen, sie hät­ten einen min­des­tens guten, wenn nicht sehr guten Wein im Kel­ler. Aller­dings geben sie auch zu, dass das Qua­li­täts­ge­fäl­le bei die­sem Jahr­gang so groß wie nie ist.

Alex­and­re Thien­point ist für den Wein von Vieux Châ­teau Cer­tan ver­ant­wort­lich, das sich in sei­nem Besitz und dem sei­ner Fami­lie befin­det. Das Gut zählt zu den Top-Betrieben von Pome­rol. Man­che sagen, Vieux Châ­teau Cer­tan hät­te das bes­te Ter­ro­ir von ganz Pome­rol – bes­ser als das sei­ner Nach­barn Pétrus, La Con­seil­lan­te und L’Evangile. Es umfasst 14 Hekt­ar und ist zu 60 Pro­zent mit mit Mer­lot, zu 30 Pro­zent mit Caber­net franc und zu 10 Pro­zent mit Caber­net Sau­vi­gnon bepflanzt. Der Wein kos­tet je nach Jahr­gang zwi­schen 120 und 300 Euro. Thienpoint …

… über ver­passt Chan­cen: „Noch eine Woche vor der Lese war alles drin. Wenn das Wet­ter mit­ge­spielt und der Regen auf­ge­hört hät­te, hät­te 2013 ein neu­er 1961er wer­den kön­nen. Aber wenn der Regen anhält, wür­de es, soviel war uns klar, ein Desas­ter geben. Glück­li­cher­wei­se hat es kein Desas­ter gege­ben. Aber ich gebe zu: 2013 war nicht weit davon entfernt.“

Etikett Vieux Château Certan
Eti­kett Vieux Châ­teau Certan

… über das, was die Kata­sto­phe ver­hin­dert hat: „In einem Wort: Selek­ti­on. Es gab ein paar gute Trau­ben­par­tien. Aus denen wird der 2013er Vieux Châ­teau Cer­tan ent­ste­hen. Aber viel wird es nicht sein. Weni­ger als 1000 Kis­ten – ähn­lich wie in 2003. Da haben wir nur 800 Kis­ten gemacht.“

… über Mer­lot: „Kein Zwei­fel, 2013 ist eher ein Merlot-Jahr, obwohl die Sor­te für Botry­tis anfäl­li­ger ist als die Caber­net franc. Aber Botry­tis kann man aus­le­sen. Des­halb sind wir nicht in Panik geraten…“

… über Tan­nin­rei­fe: „Wir haben die Trau­ben so lan­ge wie mög­lich hän­gen las­sen. Und jedes Mal, wenn wir sie pro­biert hat­ten, um die Tan­nin­rei­fe zu über­prü­fen, haben wir vege­ta­le Noten fest­stel­len kön­nen. Am Ende haben wir, glau­be ich, die Kur­ve gekriegt. Aber es war nicht einfach.“

… über die Far­be: Man darf nicht zu viel erwar­ten. Nicht jeder Jahr­gang ist wie 2009 und 2010, als wir tief­schwar­ze Wei­ne beka­men. Der Jahr­gang 2013  erin­nert mich an 1963. Wenn wir heu­te eine Fla­sche die­ses Jahr­gangs auf­ma­chen, sieht der Wein mehr wie Tee als wie ein Bor­deaux aus. Ein erbärm­li­cher Jahr­gang. Die schlech­tes­ten Trauben-Partien waren in die­sem Jahr auch erbärm­lich, aber nicht so erbärm­lich wie damals. Aber die bes­ten Trau­ben waren so gut wie 2012 …“

… über den Ver­gleich mit 2011 und 2012: „2011 ist mehr als ein ‚nor­ma­ler’ Jahr­gang, es ist ein exzel­len­ter Jahr­gang. Selbst 2012 wür­de ich noch als ‚nor­mal plus’ bezeich­nen. Da sie­de­le ich der­zeit auch den 2013er an.“

Pierre-Olivier Clouet
Pierre-Olivier Clou­et

Pierre-Olivier Clou­et ist Tech­ni­scher Direk­tor von Châ­teau Che­val Blanc, des berühm­ten Grand Cru Clas­sé „A“ in Saint Emi­lion. Das Cha­teau besitzt 37 Hekt­ar Wein­berge, größ­ten­teils auf leh­mi­gen und kies­hal­ti­gen Böden, zu einem klei­ne­ren Teil auf Sand. Sie sind mit 60 Pro­zent Caber­net franc und 40 Pro­zent Mer­lot bestockt. Der Wein ist mit rund 500 bis 850 Euro pro Fla­sche einer der teu­ers­ten Bor­deauxweine über­haupt. Clouet …

… über Botry­tis: „Auf Che­val Blanc haben die Trau­ben den Botrytis-Attacken weit­ge­hend wider­stan­den. Dadurch konn­ten wir die Hän­ge­zeit ver­län­gern und eine bes­se­re Rei­fe erzie­len. Der Ver­lust durch Botry­tis war rela­tiv gering, weni­ger als fünf Prozent …“

Château Cheval Blanc
Châ­teau Che­val Blanc

… über die wah­ren Ursa­chen für die Pro­ble­me des Jahr­gangs: „Das Haupt­pro­blem war die ver­korks­te Blü­te. Das war kata­stro­phal. Das Resul­tat war, dass die Trau­ben völ­lig ungleich mit Bee­ren besetzt waren und so die Rebe völ­lig aus dem Gleich­ge­wicht geriet.“

… über Caber­net franc: In guten und weni­ger guten Jah­ren – Caber­net franc ist immer eine kapri­ziö­se Sor­te. Sie hat uns viel Mühe gemacht und wird 2013 nur mit rund 50 Pro­zent in den Grand Vin eingehen.“

Etikett Cheval Blanc
Eti­kett Che­val Blanc

… Ter­ro­ir: „In 2013 hat sich gezeigt, was Ter­ro­ir bedeu­tet. Caber­net franc hat auf  san­di­gen Böden mise­ra­ble Ergeb­nis­se gebracht, auf Lehm und Kies her­vor­ra­gen­de. Der Wein von dort ist kon­zen­triert und reich an Tan­nin, dun­kel in der Far­be, weist hohe Zucker­ge­hal­te und eine har­mo­ni­sche Säu­re auf.“

… über Ver­glei­che mit ande­ren Jahr­gän­gen: „Man­che ver­glei­chen den 2013er mit dem 1988er. Das war eben­falls ein spät­rei­fer Jahr­gang. Ande­re ver­glei­chen ihn mit dem 1993er, weil es in dem Jahr auch wäh­rend der Lese gereg­net hat. 1993 hat im All­ge­mei­nen kei­nen gro­ßen Ruf. Aber wir auf Che­val Blanc haben viel Spaß mit dem Wein die­ses Jahr­gangs. Auf jeden Fall schät­zen wir der­zeit den 2013er bes­ser ein als den 2007er. Er ist kom­ple­xer, besitzt einen bes­se­ren aro­ma­ti­schen Ausdruck.“

Gilles Pauquet
Gil­les Pauquet

Gil­les Pau­quet ist einer der ange­se­hens­ten bera­ten­den Öno­lo­gen in Bor­deaux und einer der bes­ten Ken­ner des Rech­ten Ufers. Châ­teaux wie Con­seil­lan­te, Canon-La-Gaffelière, Teys­sier und vie­le ande­re hören auf sei­nen Rat. Nur weni­ge ken­nen die Eigen­hei­ten des Ter­ro­irs von Pome­rol und St. Emi­li­on bes­ser als er. Pauquet …

… auf die Fra­ge, ob 2013 ein schlech­ter Jahr­gang wer­de: „Vor 20 Jah­ren wäre der Jahr­gang sehr viel schlech­ter aus­ge­fal­len. Heu­te haben wir das Wis­sen und die Mit­tel, um zu ver­hin­dern, dass schlech­te Wei­ne pro­du­ziert werden.“

… über gute Wei­ne in 2013: „Um gute Wei­ne zu erzeu­gen, brauch­te man in 2013 erst mal ein gutes Ter­ro­ir. Aber das allein reich­te nicht. Denn auch bei den Spitzen-Châteaux vari­ier­te die Qua­li­tät enorm. Man brauch­te zum Bei­spiel vie­le klei­ne Fäs­ser, um die ver­schie­de­nen Par­zel­len sepa­rat zu vini­fi­zie­ren und spä­ter die bes­ten selek­tie­ren zu kön­nen. Nur so konn­te eine klei­ne Men­ge guten Weins ent­ste­hen. Trotz­dem wird es so sein, dass es noch nie eine so gro­ße Kluft zwi­schen guten und schlech­ten Wei­nen gege­ben hat wie in 2013.“

… über den Wein von Châ­teau Figeac: „Ein Vor­teil war, dass Figeac sei­nen Mer­lot reif lesen konn­te, bevor die Botry­tis kam. Damit befand sich ein Drit­tel der Ern­te des Châ­teau schon sicher im Kel­ler, als der Regen begann. Und die Caber­net Sau­vi­gnon, die noch drau­ßen hing und für den Figeauc berühmt ist, hat der Botry­tis wegen der dicke­ren Scha­len gut wider­stan­den, vor allem auch, weil er bei Figeac auf den wär­me­ren Kies­bö­den steht, wie in Pauillac.“

Mickaël Obert
Mick­aël Obert

Mick­aël Obert ist chef du chai und ver­ant­wort­li­cher Öno­lo­ge für den Wein von Châ­teau Gazin. Mit 26 Hektaren ist es eines der größ­ten Châ­teaux in Pome­rol. Sei­ne Wein­ber­ge lie­gen neben Pétrus und L’Evangile auf kies­hal­ti­gen Böden mit blau­em Lehm­schie­fer und eisen­hal­ti­gem Ton im Unter­grund. Sie sind zu 90 Pro­zent mit Mer­lot, zu 7 Pro­zent mit Caber­net Sau­vi­gnon und zu 3 Pro­zent mit Caber­net franc bestockt. Der Preis für eine Fla­sche Châ­teau Gazin schwankt zwi­schen 60 und 90 Euro. Obert …

… über den Wein des Jahr­gangs 2013: „Er hat eine mitt­le­re Struk­tur mit einem Tannin-Index von 60 bis 65, was für uns nor­mal ist. Eini­ge Par­tien lie­gen sogar bei 89, was sehr gut ist. Die Säu­re ist rela­tiv hoch wegen des hohen Anteils an Apfel­säu­re, der Alko­hol liegt dafür etwas niedriger.“

Etikett Chateau Gazin
Eti­kett Cha­teau Gazin

… über Ver­ries­lung: „Die Ver­rie­se­lung nach der ver­reg­ne­ten Blü­te war das Haupt­pro­blem des Jahr­gangs. Ich habe die ver­rie­sel­ten Trau­ben bis zur Lese am Stock gelas­sen. Aber ich war zu opti­mis­tisch. Ana­ly­tisch wie­sen die Bee­ren zwar gute Wer­te auf, aber degus­ta­tiv taug­ten sie nichts. Außer­dem wie­sen sie kei­ne Ker­ne auf. Ihr Tan­nin­in­dex war also noch gerin­ger als bei den ande­ren Trauben.“

… über den 2013er Wein von Gazin: „Es wird wie auch im letz­ten Jahr ein rei­ner Merlot-Wein sein. Nico­las de Bail­li­en­court, unser Besit­zer, ermu­tig­te mich, ein wenig Caber­net Sau­vi­gnon und Caber­net franc zu selek­tie­ren, um ihn in die Assem­bla­ge hin­ein­zu­neh­men. Aber um ehr­lich zu sein: Er war schlech­ter als unser 2012er Caber­net, und den haben wir letz­tes Jahr nicht in unse­ren Grand Vin hin­ein­ge­tan. War­um soll­ten wir es dann in 2013 tun?“

… über Grün­tö­ne im Wein: „In unse­ren bes­ten Par­tien Mer­lot befin­den sich kei­ne vege­ta­len Noten, bei Cabernet-Weinen sehr wohl.“

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