Bordeaux 2012: Zurück zur Normalität – auch beim Preis?

In wenigen Wochen werden in Bordeaux die Weine des neuen Jahrgangs vorgestellt. Vier Winzer geben Auskunft über die Qualität des 2012er: Pierre-Olivier Clouet von Cheval Blanc, Stéphane Derenoncourt von Domaine de l’A, Peter Sisseck von Rocheyron und Vincent Priou von Beauregard. Andrew Black befragte sie.

Nach Ostern wer­den wie­der Tau­sen­de von Händ­ler und Kri­ti­kern nach Bor­deaux pil­gern, um den neu­en Jahr­gang ken­nen­zu­ler­nen und zu ver­kos­ten. Die En Primeur-Woche Anfang April ist immer ein gro­ßes Spek­ta­kel, das welt­weit Auf­merk­sam­keit erregt und wich­ti­ge Rück­schlüs­se auf die Preis­ent­wick­lung des Wein­markts all­ge­mein und des Bor­deaux­markts im Beson­de­ren gibt.

Dies­mal steht der Jahr­gang 2012 auf dem Prüf­stand. Der kli­ma­ti­sche Ver­lauf war alles ande­re als ide­al. Er war geprägt von einem Man­gel an Feuch­tig­keit von der Blü­te bis weit in den Sep­tem­ber hin­ein. Vie­le Reben lit­ten unter Tro­cken­stress. Doch am Ende der Rei­fe­pe­ri­ode wur­de es hek­tisch. In den letz­ten Tagen vor Lese­be­ginn setz­te Regen ein, der vie­ler­orts für Fäul­nis sorg­te. Ent­spre­chend schwie­rig gestal­te­te sich die Lese. Wer über ein gutes Ter­ro­ir ver­füg­te bezie­hungs­wei­se peni­bel aus­las, dürf­te sehr zufrie­den mit sei­nen Wei­nen sein. Doch nicht über­all gab es strah­len­de Gesich­ter. Vor allem am Lin­ken Ufer, also im Médoc und im Haut-Médoc sind die spät­rei­fen Sor­ten nicht mehr ganz reif gewor­den. Ihnen fehl­te das letz­te Quänt­chen Son­ne vor der Lese. Die Paro­le dürf­te des­halb hei­ßen: zurück zur Normalität.

Zurück zur Normalität – aber auch beim Preis?

Der Jahr­gang 2012 wird auf jeden Fall im Schat­ten der „Jahr­hun­dert­jahr­gän­ge“ 2009 und 2010 ste­hen. Sie haben die Prei­se für die Wei­ne in ein­sa­me Höhen getrie­ben. Ob die Bordeaux-Chateaux für die 2012er die vom Han­del gefor­der­ten Preis­ab­schlä­ge rea­li­sie­ren wer­den, ist frag­lich. Zumin­dest ist die Begleit­mu­sik, die vor der Prä­sen­ta­ti­on des Jahr­gangs 2012 ange­stimmt wird, von kei­nem Miss­ton getrübt. Das heißt: Beim Preis gibt es ver­mut­lich kein Zurück zur Nor­ma­li­tät, son­dern höchs­tens ein paar Schönheitskorrekturen.

Der in Bor­deaux leben­de Eng­län­der Andrew Black hat vier nam­haf­te Ver­tre­ter der Chateau-Seite nach ihrer Mei­nung über die Qua­li­tät des 2012er Jahr­gangs befragt.

Pierre-Olivier Clouet, Chateau Cheval Blanc

Pierre-Olivier ClouetPierre-Olivier Clou­et ist Tech­ni­scher Direk­tor die­ses Grand Cru Clas­sé „A“ in Saint Emi­li­on. Das Cha­teau besitzt 37 Hekt­ar Wein­ber­ge, gröss­ten­teils auf leh­mi­gen und kies­hal­ti­gen Böden, zu einem klei­ne­ren Teil auf Sand. Sie sind mit 60 Pro­zent Caber­net franc und 40 Pro­zent Mer­lot bestockt. Der Wein ist mit rund 900 Euro pro Fla­sche einer der teu­ers­ten Bor­deaux­wei­ne überhaupt.

Andrew Black: Wür­den Sie sagen, dass der Jahr­gang 2012 im jet­zi­gen Sta­di­um Ihren Erwar­tun­gen entspricht?
Pierre-Olivier Clou­et: Ohne Zwei­fel. Seit Beginn der malo­lak­ti­schen Gärung beob­ach­ten wir eine immer grö­ße­re aro­ma­ti­sche Prä­zi­si­on des Weins.
Andrew Black: Die Pro­du­zen­ten loben vor allem die aro­ma­ti­sche Aus­drucks­kraft der 2012er Wei­ne. Aber wie prä­sen­tiert sich der Che­val Blanc auf der Zunge?
Pierre-Olivier Clou­et: Sehr dicht. Das über­rascht aller­dings nicht, wenn man an die Tro­cken­heit wäh­rend des Rei­fe­zy­klus und an die nied­ri­gen Erträ­ge denkt, die wir auf Che­val Blanc haben.
Andrew Black: Wie sind Sie mit den Tan­nin zufrieden?
Pierre-Olivier Clou­et: Das Tan­nin ist nicht nur dicht, son­dern auch kon­zen­triert und lang. Über­haupt sind die 2012er Bor­deaux tan­nin­be­ton­te Wei­ne, wobei die Ter­ro­irs, die Che­val Blanc besitzt, die phe­n­o­li­sche Ent­wick­lung för­dern bis zur vol­len Rei­fe des Tannins. Das war in 2012 aber nicht über­all der Fall.
Andrew Black: Ist 2012 mit 2008 und 2011 vergleichbar?
Pierre-Olivier Clou­et: 2008 und 2011 waren klas­si­sche Bor­deau­x­jahr­gän­ge, und der 2012er gehört in die glei­che Kate­go­rie, da bin ich mir sicher. Er ist bes­ser als der 2011er, besitzt aber nicht ganz den Charme des 2008ers.
Andrew Black: Sie lie­ben den 2008er?
Pierre-Olivier Clou­et: 2008 hat vie­le Vor­zü­ge. Der Jahr­gang ist flo­re­al, fein, min­zig, frisch, leicht und seidig.
Andrew Black: Vor allem die Mer­lot scheint gut gelungen?
Pierre-Olivier Clou­et: Wir sind begeis­tert von der Mer­lot. Sie macht sich phan­tas­tisch. Sie wird beim Che­val Blanc für das Bou­quet ver­ant­wort­lich sein, wäh­rend der Caber­net den Gau­men bringt.
Andrew Black: Wer­den Sie die Mer­lot im fina­len Blend übergewichten?
Pierre-Olivier Clou­et: Wir wer­den mal mit 50/50 anfan­gen und dann ein Fine­tu­ning machen.
Andrew Black: War die Caber­net franc reif in 2012?
Pierre-Olivier Clou­et: Auf Che­val Blanc ja. Wir haben früh­rei­fe Böden und nied­ri­ge Hekt­ar­er­trä­ge. Ter­ro­irs mit küh­le­ren Böden hat­ten dage­gen Probleme.
Andrew Black: Wie wür­den Sie den Jahr­gang mit einem Wort beschreiben?
Pierre-Olivier Clou­et: Kom­ple­xi­tät ist der Begriff, der mir zuerst ein­fällt. Der Rei­fe­ver­lauf war näm­lich von Par­zel­le zu Par­zel­le ver­schie­den. Unser Bestre­ben war es, jede der 45 Par­zel­len indi­vi­du­ell aus­rei­fen zu las­sen. Die Assem­bla­ge wird dies­mal viel Spass machen.

Stéphane Derenoncourt, Domaine de l’A

Stéphane DerenoncourtDer Selfmade-Önologe Sté­pha­ne Dere­non­court ist einer der ein­fluss­reichs­ten Bera­ter der neu­en Gene­ra­ti­on fran­zö­si­scher Öno­lo­gen, denen Châ­teaux wie Pavie-Macquin, La Mond­ot­te oder Petit Vil­la­ge ihren Auf­stieg ver­dan­ken. Mit sei­nem zehn­köp­fi­gen Team berät er rund 50 Châ­teaux in Bor­deaux und in aller Welt. Er selbst besitzt die Domaine de l’A in Côtes de Cas­til­lon, einer Satelliten-Appellation von Saint-Emilion, deren Wein mit rund 30 Euro immer einer der bes­ten in sei­ner Preis­klas­se ist.

Andrew Black: Nach­dem die malo­lak­ti­sche Gärung nun been­det ist: kön­nen Sie bereits ein Urteil über den Jahr­gang 2012 abgeben?
Sté­pha­ne Dere­non­court: Nein, es ist ein sehr hete­ro­ge­ner Jahr­gang. Ich habe eine Men­ge ver­kos­tet. Was ich sagen kann ist: Wenn der Wein gut ist, ist er sehr eindrucksvoll.
Andrew Black: Man spricht davon, dass die Wei­ne eine sehr gute aro­ma­ti­sche Qua­li­tät besit­zen. Aber was ist mit dem Gaumen?
Sté­pha­ne Dere­non­court: Die bes­ten Wei­ne besit­zen viel Fein­heit und ein gutes Mouth­fee­ling. Dank der nied­ri­gen Erträ­ge als Fol­ge der Tro­cken­heit wir­ken die Wei­ne auch sehr dicht.
Andrew Black: Wie ste­hen die 2012er da im Ver­gleich zu den 2010ern und 2009ern?
Sté­pha­ne Dere­non­court: Der Ver­gleich ist schwie­rig. 2009 und 2010 waren sehr war­me Jahr­gän­ge. Wenn über­haupt, ist 2012 dich­ter an 2010 als an 2009. Eini­ge Cha­teaux des Rech­ten Ufers wer­den in 2012 nach mei­ner Mei­nung mit einem genau­so guten Wein wie 2012 herauskommen.
Andrew Black: Also ist 2012 bes­ser als 2007, 2008 und 2011?
Sté­pha­ne Dere­non­court: Die Wei­ne sind ein­deu­tig sei­di­ger, dank der Trockenheit.
Andrew Black: Hat 2012er das Poten­zi­al für eine lan­ge Flaschenlagerung?
Sté­pha­ne Dere­non­court: Nach mei­ner Mei­nung ist es ein Jahr­gang, den ein­zu­kel­lern sich lohnt.

Peter Sisseck, Chateau Rocheyron

Peter SisseckIm Jah­re 2010 hat der in Spa­ni­en leben­de (und arbei­ten­de) Öno­lo­ge Peter Siss­eck das Cha­teau Rocheyron gekauft, einen Grand Cru in Saint-Emilion. Zusam­men mit sei­nem spa­ni­schen Part­ner Sil­vio Denz (Besit­zer von Clos d’Agon in Cata­lu­nya sowie zahl­rei­cher klei­ner Bordeaux-Chateaux) hat er den 7,4 Hektar-Besitz reno­viert und erzeugt dort einen ehr­gei­zi­gen, in Deutsch­land noch wenig bekann­ten Wein (aus 70 Pro­zent Mer­lot und 30 Pro­zent Caber­net franc). Sein Preis liegt bei etwa 100 Euro pro Flasche.

Andrew Black: Wie wür­den Sie den Jahr­gang 2012 bewerten?
Peter Siss­eck: Es wird Sie viel­leicht über­ra­schen, wenn ich sage, dass 2012 für mich und für vie­le ande­re Bordeaux-Winzer ein sehr spe­zi­el­ler Jahr­gang war. Das müs­sen der Markt und die Kri­ti­ker nicht unbe­dingt so sehen. 2012 ist nicht 1900, 1929 oder 1947. Aber er wird in die Geschich­te ein­ge­hen als ein sehr spe­zi­el­ler Jahrgang.
Andrew Black: Wenn es nicht die Qua­li­tät des Jahr­gangs war, was macht dann das Spe­zi­el­le aus?
Peter Siss­eck: Um in 2012 einen guten Wein zu erzeu­gen, muss­test du alles anwen­den, was du gelernt hast – nicht nur im Kel­ler, son­dern vor allem im Wein­berg. Du muss­test dein Ter­ro­ir ken­nen. Du muss­test dein gan­zes Wis­sen, dein Kön­nen, dei­ne Erfah­rung abru­fen, um das Bes­te aus den Reben her­aus­zu­ho­len. Du konn­test nicht mogeln.
Andrew Black: Kön­nen Sie kon­kret werden?
Peter Siss­eck: Man muss­te zum Bei­spiel mit der som­mer­li­chen Tro­cken­heit umge­hen. Zu wis­sen, wie man den Reben hel­fen kann Was­ser zu fin­den, war sehr wich­tig. Und bei der Vini­fi­zie­rung muss­test du äußerst vor­sich­tig sein, um Über­ex­trak­ti­on und vege­ta­le Noten zu ver­mei­den, vor allem am Ende der Maischegärung.
Andrew Black: Die Win­zer konn­ten die Lese dies­mal nicht vor­zie­hen und hat­ten kei­ne Chan­ce, vor dem Ein­set­zen der Fäul­nis zu ern­ten. Damit sind spät gele­se­ne Wei­ne Kan­di­da­ten für vege­ta­le Wei­ne oder nicht?
Peter Siss­eck: Wir haben auf Rocheyron spät gele­sen und hat­ten über­haupt kei­ne Fäul­nis gehabt. Wir haben mit 2012 unse­ren bes­ten je erzeug­ten Wein im Keller.
Andrew Black: Sie haben Rocheyron aber auch erst vor drei Jah­ren erwor­ben. Wie wird der Jahr­gang 2012 am Ende werden?
Peter Siss­eck: Er ist kein 2005er, kein 2009er, kein 2010er. Das waren Freak-Jahrgänge. Bis wir sie genie­ßen kön­nen, wird es 20 Jah­re und mehr dau­ern. Aber es gibt sehr vie­le Jahr­gän­ge in Bor­deaux, die man kurz- und mit­tel­fris­tig trin­ken kann. 2012 wird dazu gehören.

Vincent Priou, Chateau Beauregard

Chateau BeauregardVin­cent Priou ist Direk­tor die­ses für Pomerol-Verhältnisse gro­ßen Cha­teau. Sei­ne Wein­ber­ge umfas­sen 17,5 Hekt­ar. Sie sind zu 70 Pro­zent mit Mer­lot und zu 30 Pro­zent mit Caber­net franc bestockt. Der Wein ist mit rund 35 Euro pro Fla­sche einer der Preis­wer­tes­ten die­ser Appel­la­ti­on und gemes­sen an sei­ner Qua­li­tät einer mit dem bes­ten Preis-/Leistungsverhältnis.

Andrew Black: Was ist Ihr ers­ter Ein­druck von Mer­lot und Caber­net franc?
Vin­cent Priou: 2012 ist zwei­fel­los ein Merlot-Jahr auf Beau­re­gard. Wir haben eini­ge über­ra­schend gute Par­tien geern­tet. Schwie­ri­ger ist es, eine Aus­sa­ge über Caber­net franc im jet­zi­gen Sta­di­um zu tref­fen. Aber was die Assem­bla­ge angeht, bin ich zuver­sicht­lich, dass wir nicht weit unter unse­rem nor­ma­len 30-Prozent-Anteil blei­ben werden.
Andrew Black: Aber Caber­net franc ist in 2012 nicht so ein­drucks­voll wie in den vor­her­ge­hen­den Jahrgängen?
Vin­cent Priou: Er ist nicht so out­stan­ding wie Merlot.
Andrew Black: Die Qua­li­tät des Jahr­gangs 2012 macht auf dem Rech­ten Ufer also die Mer­lot aus?
Vin­cent Priou: Ja. Sie ist es, die die inten­si­ve Aro­ma­tik, die Fri­sche, die Dich­te bringt.
Andrew Black: Und was ist mit dem Tannin?
Vin­cent Priou: Auf Beau­re­gard war es reif. In Pome­rol ist das Tan­nin über­wie­gend weich und sei­dig, sehr viel­ver­spre­chend. Ich bin opti­mis­tisch, was die Ele­ganz des Weins angeht, die wir immer schon anstreb­ten. Wir müs­sen jetzt abwar­ten, wie die Men­ge des Tannins sich mit der hohen Säu­re ver­trägt. Ob es viel­leicht zu einer gewis­sen Stren­ge kommt…
Andrew Black: Hohe Säure?
Vin­cent Priou: Die Säu­re ist all­ge­mein hoch in 2012. Das ist das Cha­rak­te­ris­ti­kum des Jahr­gangs. Sie sorgt für eine ange­neh­me Fri­sche und und garan­tiert ein gutes Alterungspotenzial.
Andrew Black: Kön­nen Sie 2012 mit den vor­her­ge­hen­den Jahr­gän­gen vergleichen?
Vin­cent Priou: Die­ser Jahr­gang ist ein­deu­tig nicht ver­gleich­bar mit dem opu­len­ten 2009er und dem dich­ten, macht­vol­len 2010er. Aber er ist auf einem hohen Niveau.
Andrew Black: Bes­ser als 2011?
Vin­cent Priou: Bes­ser hin­sicht­lich Rei­fe und Tann­in­struk­tur. Für Beau­re­gard ist es auf jeden Fall ein will­kom­me­ner, klas­si­scher Jahr­gang, weil unser gan­zes Stre­ben in Wein­berg und Kel­ler sowie­so auf Ele­ganz abzielt. Wir wol­len kei­nen Powerwein.

 

 

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