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Bordeaux 2011: Ein schwieriger Jahrgang soll schön geredet werden

Das Jahr 2011 fing so viel versprechend an: Schon Anfang April gab es mehr als 30 Grad Celsius – so kam es zu einem Blitzstart in die Vegetation. Doch dann war das warme Wetter auch schnell des Guten zu viel: Im Mai und Juni litten die Reben vielerorts unter intensiver Trockenheit, auf dem Plateau von Pomerol verbrannte die Sonne den Fruchtansatz. An anderen Orten schädigte Hagel die heranwachsenden Trauben – dies gilt vor allem für St-Estèphe, sowie einige Gemeinden am rechten Ufer.

Früher Lesebeginn erzwungen?

Der Beginn des Hochsommers brachte dann einen abrupten Wetterumschwung: Im Juli und August goss es örtlich wie aus Kübeln, so dass fast aus dem Nichts ein starker Infektionsdruck für Mehltau entstand. Schwül-feuchtes Wetter mit geringen Temperatur-Differenzen zwischen Tag und Nacht kennzeichnete dann das Ende der Reifeperiode. Die Lese begann ungewöhnlich früh, selbst für die roten Sorten bereits Anfang September. Wobei die interessante und bislang unbeantwortete Frage ist, ob der frühe Lesebeginn erzwungen war, durch die drohende und sich möglicherweise schnell ausbreitende Botrytis. Oder ob die Trauben aufgrund des frühen Starts in die Vegetationsperiode tatsächlich schon vollreif waren – und es daher schlicht nicht notwendig war, noch länger zu warten und das Risiko möglichen Fäulnisbefalls auf sich zu nehmen.

Ein Jahrgang für „technische Weinmacher“?

In diese Unsicherheit hinein drängt es sich geradezu auf, die wenigen vorliegenden Aussagen spekulativ auszudeuten. Didier Cuvelier etwa vom Deuxième Cru Classé Château Léoville-Poyferré aus St. Julien nennt 2011 einen „Jahrgang für technische Weinmacher“, der „eine intensive Auslese des Traubenguts“ erfordert habe. Das klingt nicht gerade nach Traum-Bedingungen. Auch Henri Lurton vom Deuxième Cru Classé Château Brane-Cantenac (Margaux) lässt Probleme anklingen, wenn er zu Protokoll gibt: „In manchen Parzellen hätte man bei längerem Herauszögern der Lese riskiert, die aromatische Komplexität zu verlieren.“ John Kolasa, Direktor auf dem zu Chanel gehörigen Château Rauzan-Ségla (ebenfalls ein Deuxième Cru Classé aus Margaux) wiederum spricht von „großen Mengen Anthocyanen“ (Farbstoffen) in den Jungweinen, „seidenem Tannin“, „feiner Säure“ und stellt die Frage: „ein Jahrgang für den Cabernet Sauvignon?“. Dann wiegelt er jedoch sofort wieder ab: „Aber es ist noch zu früh, das zu sagen“.

Erster Eindruck: hart und streng

Caro­line Frey - Château La LaguneErste Messungen der Gerbstoffmengen führten auf dem Troisième Cru Classé Château La Lagune in Ludon vor den Toren der Stadt Bordeaux zu Werten, die praktisch identisch mit denjenigen des Jahrgangs 2009 sind. Guts-Inhaberin Caroline Frey berichtet davon, dass sich die Jungweine am Ende der alkoholischen Gärung recht streng und hart probiert hätten, was sich mittlerweile aber abgerundet habe. Veronique Sanders vom Pessac-Léognan Cru Classé Château Haut-Bailly schließlich stellt in ihrer Analyse die moderaten Alkoholgehalte um die 12,8 Volumenprozent in den Vordergrund – und äußert sich aufgrund der guten Wetterkonditionen zum Ende der Lese hin zufrieden über die Ergebnisse auf Haut Bailly.

Aber was sollen die Weinguts-Besitzer auch anderes sagen? Aussagekräftiger scheint die insgesamt doch recht auffällige Zurückhaltung zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu sein. Die meisten der kontaktierten Châteaux ließen die Anfrage von weinkenner.de einfach unbeantwortet. Diese zögerliche Form der Kommunikation könnte darauf hindeuten, dass die Châteaux den Verlauf des biologischen Säureabbaus abwarten möchten, ehe sie sich mit Aussagen aus der Deckung wagen. So teilt etwa Stephan Graf Neippergs Assistentin Magali Malet mit, dass von Château Canon-la-Gaffelière frühestens Ende Februar nähere Informationen zum Jahrgang 2011 zu erwarten seien.

Derenoncourt: teils vegetal, teils marmeladig

Eine andere gewichtige Stimme vom rechten Ufer der Gironde äußert sich bereits ein klein wenig ausführlicher: Stéphane Derenoncourt, Shooting Star der önologischen Berater-Szene und vor allem am rechten Ufer aktiv, spricht von einem „heterogenen Jahr“. Von „vegetalen Anklängen bis zur gekochten Frucht“ sei im aromatischen Spektrum der Weine alles zu finden. Selbstredend wertet auch Derenoncourt seinen Befund positiv – und kommt zu dem Schluss, in 2011 sei für jeden Geschmack etwas dabei. In seiner Bemerkung, dass im Lauf des Jahrs 2011 der Vegatationszyklus durcheinander geraten sei – der Frühling habe sich sommerlich gezeigt und der Sommer habe dann eher Frühlingswetter mit sich gebracht – deutet sich jedoch an, dass der Jahrgang auch für die Winzer selbst nur schwer zu greifen ist. Solche Klimakapriolen übertreffen die kühnsten Phantasien und Befürchtungen – selbst in Zeiten des Klimawandels.

Möglicherweise gute Graves-Weißweine

Selektion der Trauben in BordeauxOlivier Bernard, Regisseur der vor allem für ihren trockenen Weißwein berühmten Domaine de Chevalier, hält den Weißwein-Jahrgang 2011 im übrigen für sehr gelungen. Er betont, dass die Botrytis durch Laubarbeit unter Kontrolle gebracht werden konnte, auch sei bei der Lese besonders skrupulös sortiert worden. Die Lese des Sauvignon blanc hatte bereits am 23. August begonnen.
Sehr gute Ergebnisse vermeldet auch Bérénice Lurton, die Inhaberin des Barsac-Guts Château Climens. Zu Beginn der Lese habe sie einen eher leichten Jahrgang für die edelsüßen Vins liquoreux erwartet, doch die Anfang September noch bestehenden Reifeunterschiede hätten zuletzt durch gestaffelte Lese und günstiges Wetter zum Ende der Lese ausgeglichen werden können. So seien unerwarteter Weise doch noch „reiche und kraftvolle“ Weine mit „Tiefe und Energie“ entstanden. Wenigstens für Sauternes und Barsac klingt das also nicht ganz so schlecht.

Die Wahrheit im Glas wird sich ab 1. April offenbaren, dann beginnt die Sémaine des Primeurs.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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