Als am Dienstag vergangener Woche Château Gruaud-Larose den Preis für seinen 2010er Jahrgang bekannt gab, titelte die englische Weinfachzeitschrift Decanter: „Die Schleusen sind geöffnet.“ Dabei hatte der Deuxiéme Grand Cru Classé seinen Preis nur um schlappe 14,2 Prozent gegenüber dem Vorgänger-Jahrgang erhöht.
Doch schon der 2009er Jahrgang hatte Rekordmarken gesetzt – und zwar derart unglaubliche, dass schon damals der Zusammenbruch des Bordeaux-Marktes befürchtet wurde. Schuld an dem Hype war der asiatische Markt, vor allem China und Hongkong. Dort war die Nachfrage nach dem „Jahrhundertjahrgang“ so groß, dass die Preise für Futures in atemberaubende Höhen stiegen: durchschnittlich 40 Prozent. Der Ausgabepreis von Gruaud-Larose lag sogar um 68 Prozent über dem des Vorjahrs. Und dieses Jahr, da mit dem 2010er ein ebenso hoch angesehener Jahrgang zum Verkauf steht, könnten, so fürchtet der Londoner Weinhandel, die Premiers (die noch nicht heraus sind) und Deuxièmes noch einmal 30 Prozent draufsatteln. Über entsprechend besorgte Szenarien berichtet die in Bordeaux residierende englische Weinjournalistin Jane Anston auf ihrer Website (www.newbordeaux.com).
Schockierender Preis für Pontet-Canet
Richtig geöffnet wurden die Schleusentore jedoch nicht am Dienstag, sondern am Mittwoch letzter Woche. Gleich zum Frühstück, als die Händler noch mit ihrem Morgenkaffee beschäftigt waren, kam Château Pontet-Canet mit einem Preis von 100 Euro ex cellar heraus – ein Anstieg von 39 Prozent. Pontet-Canet ist ein fünftrangiges Gewächs, und auch wenn das Château 2010 einen grandiosen Wein gemacht hat, der den amerikanischen Weinkritiker Robert Parker zu einer Bewertung von 96-100 Punkten hingerissen hatte, so wurde der Preis doch wie ein Schlag in die Magengrube empfunden.
„Pontet-Canet sprengt den Rahmen“, tweetete es sofort aus dem Büro des Bordeaux Index (BI) in London. Und Adam Bilbey, Vorsteher des Büros des Londoner Brokers Berry Brothers in Hongkong, bezeichnete die zwanzig Minuten nach der Preisbekanntgabe als „die verrücktesten meines Lebens“. Sei’s drum: Nach einer halben Stunde war die Tranche verkauft.
Angst vor den flying fifths
Nun fürchten die Händler die Preisbekanntgabe von Lynch-Bages, eines anderen fünftrangigen Gewächses, das bei Parker 95-97 Punkte für seinen 2010er bekommen hatte und zusammen mit Pontet-Canet die flying fifths bildet. Wenn die beiden die pace vorgeben, werden Super Seconds wie Pichon Lalande, Pichon Baron, Léoville-Las-Cases, La Mission Haut-Brion weder Angst noch Skrupel haben, einen weiteren kräftigen Schluck aus der Pulle zu nehmen, um den Abstand zu wahren. Noch in dieser Woche werden zahlreiche Châteaux mit ihren Preisen herauskommen. Denn am Sonntag beginnt in Bordeaux die Vinexpo, die größte Weinmesse der Welt. Bis dahin müssen die Marktteilnehmer wissen, was der Jahrgang 2010 sie kostet. Sonst können sie ihre Budgets nicht strukturieren.
Parkers Interview
Weinkenner.de wird sie bis dahin täglich über die Preisentwicklung in Bordeaux informieren. Zu befürchten ist aber, dass die bösesten Überraschungen noch kommen. Da hilft vermutlich auch die Warnung nichts, die Parker letzte Woche in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur Agence France Press ausgestoßen hat: „Bordeaux ist zu sehr auf den reichen asiatischen Markt fokussiert“, kritisiert er. „Auch wenn es dort viele Reiche gibt, ist es ein gefährliches Spiel, die Preise zu erhöhen. Die Weltkonjunktur ist sehr, sehr instabil … Wenn die Preise gegenüber 2009 steigen, werden wir in eine riesige Krise schliddern …“
Zwar ist Parker sich durchaus bewusst, dass seine Bewertungen einen großen Einfluss auf den internationalen Markt haben: „Aber mir sind die Hände gebunden.“ Er schlägt einen „smarten Abschlag“ von zehn bis 15 Prozent gegenüber den Rekordpreisen von 2009 vor. Doch dafür, so ist nach den letzten Preisveröffentlichungen klar, ist es schon zu spät.
„Die Châteaux hören zwar sehr genau hin, wenn Parker spricht“, sagt Gary Boom, Direktor des London Index mit Büros in London und Hongkong. „Aber letztlich sind sie total auf den fernöstlichen Markt fixiert.“
Der Handel ist jedenfalls schockiert und tief besorgt über die Zukunft des Bordeaux-Marktes. Bei den Preisen, die jetzt für die 2010er aufgerufen werden, ist die Liquidität vieler Investoren schnell ausgeschöpft. Für kleinere, weniger bedeutende Weine wäre dann kein Geld oder nur noch wenig Geld übrig. Für sie könnte die Gier der Großen den „Todeskuss“ darstellen, fürchten beispielsweise die Händler von Berry Bros.
Auch besteht die Gefahr, dass Négoçiants und Händler auf ihren Allokationen sitzen bleiben. Denn Asiaten und internationale Weinfonds, die immer stärker das Geschehen auf dem Weinmarkt bestimmen, stürzen sich vor allem auf die Premiers und Super Seconds, deren Preisentwicklung relativ sicher ist und die in den letzten Jahren die größten Renditen einfuhren. Alles, was jenseits der bests picks liegt, ist für sie von untergeordnetem Interesse – von wenigen Ausnahmen abgesehen.
Die aktuellen Netto-Preise (ex cellar) klassifizierter Gewächse. Die Subskriptionspreise liegen zwischen 25 und 50 Prozent höher (Prozentangaben im Vergleich zu 2009):
Pontet-Canet | € 100,00 | (+39%) |
Gruaud-Larose | € 45,00 | (+14%) |
Monbousquets | € 27,00 | (+ 0%) |
Domaine de Chevalier Rouge | € 48,00 | (+5,3%) |
La Lagune | € 38,80 | (+21%) |
Léoville-Poyferré | € 85,00 | (+18%) |
Talbot | € 39,60 | (+10%) |
Giscours | € 43,50 | (+19%) |
Pagodes de Cos | € 40,00 | (+11%) |
Eco de Lynch-Bages | € 25,00 | (+16%) |
Calon-Ségur | € 67,60 | (+12,5) |
Beychevelle | € 54,00 | (+23%) |
Cantemerle | € 21,00 | (+5,5%) |
Langoa-Barton | € 45,00 | (+19%) |
Gazin | € 48,00 | (+4%) |