Noch nie lief die Primeurkampagne so schleppend an wie in diesem Jahr. Außer ein paar kleineren Weinen sind bislang kaum Preise bekannt, zu denen der neue Jahrgang angeboten wird. Dabei sind sich die Kritiker nahezu einig: 2010 ist ein großer Jahrgang, der denkwürdige Weine hervorgebracht hat. Also eigentlich eine klare Sache.
Wird die Preiserhöhung mitgeschluckt?
Doch diesmal zögern die Châteaux. Denn ebenso deutlich ist, dass die traditionelle Kundschaft in Europa und in Amerika einer weiteren Preiserhöhung nach den exorbitanten Preissteigerungen von 2009 kritisch gegenüber steht. China ist inzwischen zwar der größte Bordeaux-Markt der Welt geworden. Doch „China ist nicht alles“, gab Bernard de Laage de Meux, Verkaufsdirektor von Château Palmer, letzte Woche auf dem London Wine Fair zu. Außerdem weiß niemand, ob der Bordeaux-Durst in Fernost tatsächlich so groß ist, dass die Chinesen auch gleich eine weitere Erhöhung der Preise mitschlucken.
Entsprechend groß ist die Verunsicherung bei den Châteaux. Vorgestern kam Beychevelle als erstes klassifiziertes Gewächs mit einem Preisplus von 24 Prozent gegenüber 2009 heraus. „Die Erde bebt“, kommentierte die Fachzeitschrift Decanter. Gestern outete sich dann Sociando Mallet und bot eine erste Tranche für 15 Prozent unter dem Vorjahresniveau an. Das Paradoxe: Sociando Mallet ist mit 91-93 Punkten bei Parker einer der Top-Performer unter den Crus Bourgeois, während Beychevelle mit 90-92 Punkten eher auf dem Zweitwein-Niveau anderer Châteaux liegt als auf dem eines viertklassifizierten Gewächses. Außerdem kostet Beychevelle mehr als doppelt so viel wie Sociando-Mallet.
Doch mit Qualität im Glas haben die Preise in Bordeaux wenig bis nichts zu tun. Bei Beychevelle muss der neue 50-Prozent-Eigentümer Castel, einer der größten Weinhändler der Welt, der die Geschicke des Château zusammen mit der japanischen Suntori-Gruppe bestimmt, versuchen, seinen hohen Kaufpreis wieder einzuspielen. Dabei spielt die chinesische Dhau auf dem Etikett des Weins eine wichtige Rolle. Sie übt angeblich einen großen Reiz auf die chinesische Kundschaft aus.
Signale für ein Ende des Bordeaux-Hype
Doch ob die Nachfrage so hoch ist wie die Eröffnungspreise, wird sich erst bei der zweiten Tranche zeigen, die die Châteaux freigeben. Zweifel daran sind erlaubt. Denn trotz der unstrittigen Qualität des 2010ers gibt es Signale, die zur Vorsicht gemahnen. Erstens sind die Preise für den 2009er zuletzt leicht gefallen. Zweitens liegt ein großer Teil der 2009ers noch unverkauft in den Kellern der Châteaux. Drittens hat Parker den Jahrgang 2008 kürzlich abgewertet. Und viertens verkauft sich der 2007er, der jüngste physisch auf dem Markt befindliche Jahrgang, derzeit außerordentlich zäh.
Zum ersten Mal hat die Union des Grands Crus de Bordeaux, die Vereinigung der klassifizierten Bordeaux-Châteaux, deshalb in der letzten Woche im Rahmen des London Wine Fair zu einem Tasting dieses kleinen – viele Fachleute sagen: überflüssigen – Jahrgangs geladen. „England ist ein wichtiger Kunde, zu dem wir historisch gewachsene Bindungen haben“, erklärte Monique Montepini vom Pomerol-Château Clinet. „Wir möchten auch in Zukunft auf diesem Markt präsent sein.“
Sylvie Cazes, Präsidentin der UGCB, fügte etwas zweideutig hinzu: „Wir möchten unsere Verbundenheit mit England und dem internationalen Weinhandel intensivieren und allen Beteiligten die Möglichkeit bieten, den 2007er Jahrgang nachzuprobieren.“
Die kleinen Jahrgänge für die lieben europäischen Freunde, die Perlen für China.