Der Jahrgang 2007 ist in Bordeaux vermutlich der schwächste des neuen Jahrhunderts. Nach übereinstimmenden Aussagen der Kritiker fehlt es den Weinen an Reife und Substanz. Sie präsentieren sich relativ hell in der Farbe, weisen einen relativ niedrigen natürlichen Alkohol auf, sind mager und dünn. Ausserdem haben viele 2007er grüne vegetale Noten in der Nase – Indiz für unreifes Tannin. Die Ursache des Debakels: ein völlig verregneter Juli und August, in denen mit 110 Millimetern mehr als das Doppelte der normalen Niederschlagsmenge gemessen wurde. Allein der warme, trockene September hat verhindert, daß aus dem 2007er ein Katastrophenjahrgang wurde.
Deutliche Worte der Kritiker
Auch die Kritiker machen keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. „Es gibt jede Menge grüner, grasiger, kräuterwürziger Weine, die gar nicht erst auf der Mitte der Zunge ankommen“, lästerte der Amerikaner Robert Parker, der einflussreichste unter den internationalen Verkostern. Von den 348 Weinen dieses Jahrgangs, die er probierte, erhielten nur etwa 10 Prozent mehr als 90 von maximal 100 Punkten. Der Engländer David Peppercorn, Autor zahlreicher Bücher über Bordeaux, hatte nach einer Probe von 164 Crus Bourgeois für die Weinfachzeitschrift Decanter nur Spott für die Weine dieses Jahrgangs übrig: „Ich wusste nicht, daß man im Médoc auch Beaujolais machen kann…“ Sein Kollege Stephen Spurrier fand noch deutlichere Worte: “Ihnen fehlt Frische, ihnen fehlt Lebendigkeit. Sie sind einfach grässlich.“
Ausnahmen bestätigen die Regel
Die Händler, die diese Weine verkaufen müssen, sind um ihren Job nicht zu beneiden. Schon vor der Auslieferung bröckeln die Preise. Passionierte Bordeauxtrinker liebäugeln bereits mit dem Jahrgang 2009, der zwar noch in den Fässern liegt, aber schon mit Lob überschüttet wird. Auch der 2008er Jahrgang, der von Parker überraschend hoch bewertet wurde, ist für Bordeaux-Fans wesentlich interessanter als der 2007er. Nach den Verdikten der Kritiker liegt über diesem Jahrgang ein Fluch. Dabei ist keineswegs alles, was die Jahreszahl 2007 auf dem Etikett trägt, grässlich. Trotz der allgemeinen Mittelmäßigkeit gibt es einige respektable Gewächse. Der Zürcher Weinhändler Philipp Schwander, erster und einziger Master of Wine der Schweiz, fand vor allem im Merlot dominierten Libournais Lichtblicke: „Zahlreiche Weine waren harmonisch, ohne harte, präsente Gerbstoffe aufzuweisen“, schrieb er in der Neuen Zürcher Zeitung. „Das eine frühe Reife begünstigende Terroir Pomerols spielte in diesem sonnenarmen Jahr seine Trümpfe aus.
Charme und Ehrlichkeit
Auch das Anbaugebiet Graves profitierte in dem sonnenarmen Jahr 2007 von der wärmen Grundtemperatur. La Tour Martillac und Haut Bailly haben zum Beispiel sehr gute Weine auf die Flasche gebracht. Ganz zu schweigen vom prominenten Dreigestirn La Mission Haut Brion, Haut Brion, Pape Clément. Das räumt auch Parker ein: „Die Top-Terroirs, die besten Adressen, die kompromisslosesten Chateaubesitzer haben durch ihre skrupulöse Weinbergsarbeit bewunderswert fruchtige, weiche Weine mit seidigen Tanninen hervorgebracht, die sich durch Charme und Ehrlichkeit auszeichnen.“
Einige kleine Domaines und Chateaux haben in 2007 anständige Weine zustande gebracht haben. Hier eine kleine Auswahl von gelungenen Weinen zwischen 8 und 16 Euro:
- Belle Vue (Haut-Médoc)
- Charmail (Haut-Médoc)
- La Croix du Casse (Pomerol)
- Domaine de Courteillac (Bordeaux Supérieur)
- Croix Mouton (Bordeaux Supérieur)
- Joanin Becot (Côtes de Castillon)
- Rollan de By (Médoc)
Einfach zu teuer
In den Spitzenweinen finden sich selbstverständlich keine unreifen Noten. Aber Haut Brion & Co. kosten auch über 300 Euro pro Flasche. Ebenso Lafite, Latour, Margaux, Mouton-Rothschild. Ein hoher Eintrittspreis, um das Privileg zu genießen, einen Wein mit reifem Tannin zu trinken! Das Problem des Jahrgangs 2007 ist denn auch vor allem der Preis. Er lag in der Subskription zwar durchschnittlich 20 Prozent unter dem Niveau des 2006er, bei einzelnen Weinen auch 40 Prozent darunter. Doch dieser ebenfalls sehr mittelmäßige Jahrgang wies seinerseits ein astronomisch hohes Preisniveau auf. Es lag nur wenig unter dem der großen 2005er, dem teuersten Jahrgang aller Zeiten. Trotz des Preisrückgangs ist der 2007er also immer noch viel zu teuer. An der Rhône gäbe es, sagen die Kritiker, in 2007 für dasselbe Geld doppelt bis dreimal so gute Weine.
Gerade gut fürs Mittagsessen
Vor allem aber bleibt die Frage, was mit den Tausenden von Weinen weniger berühmter Terroirs ist? Also mit den Weinen des Médoc? Des Haut-Médoc? Oder mit den einfachen Bordeaux Supérieurs, die teilweise für unter zehn Euro in den Regalen der Supermärkte stehen und die die Brot-und-Butter-Weine der Region darstellen? Sind sie wirklich alle bessere Beaujolais? Durchaus nicht, befand ein Mittester des Decanter und meinte mehrdeutig: „Es sind angenehme Weine zum Mittagessen.“