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Bitte festhalten: zwei „umwerfende“ Rote von Enrico Santini

Der Keller, in dem der Wein gärt, ist kaum größer als eine Garage. Und die Flaschen lagern im Erdgeschoß des Wohnhauses von Enrico Santini unter dem Schlafzimmer. Eigentlich nichts zum Vorzeigen, jedenfalls nicht für Besucher, die vorher einen der Prunkkeller der Costa Toscana besichtigt haben.

Doch der Inhalt der Flaschen setzt bei den Gästen immer wieder Glückshormone frei, selbst dann, wenn Santini seinen Wein in den dunklen Gewölben ausschenkt: „Wenn die Augen der Besucher glänzen, brauche ich keinen prunkvollen Keller mehr“, gesteht der 45jährige Winzer.

Besser als viele der großen Namen

Santini ist ein groß gewachsener Mann. Zwei Meter misst er und hat die Statur eines römischen Gladiators. Als Winzer gehört er jedoch zu den kleinen. Nur neun Hektar bewirtschaftet er, die ihm etwa 50.000 Flaschen im Jahr liefern. Doch ihr Inhalt ist besser als vieles Andere, was aus der Toskana kommt und einen großen, bekannten Namen auf dem Etikett trägt. Dass sein Wein trotzdem relativ unbekannt ist, hat mit Santini selbst zu tun: Er hat weder Lust noch Zeit, durch die Lande zu tingeln und seine Weine anzupreisen. Geld für teure PR-Kampagnen besitzt er nicht. Außerdem ist er von Natur aus ein zurückhaltender Mensch.

Angesichts dieser Ausgangslage ist es erstaunlich, dass Santinis Weine in den USA hoch geschätzt und weit verbreitet sind. „Ein vollmundiger Wein mit weichem Tannin und einer aufregenden Aromenmischung von dunklen Beeren, Lakritz, Rauch“, hieß es in Robert Parkers Wine Advocate über Santini. Der Wine Spectator, die Konkurrenz, jubelte: „Simply gorgeous“, was man mit „einfach umwerfend“ übersetzen könnte. Und im Katalog der Sansibar auf Sylt, die den Wein in Deutschland importiert, steht: „Santinis Weine gehören zu den besten des Anbaugebiets und reihen sich würdig in die Phalanx der berühmten Gewächse der Costa Toscana ein.“  Wow!

Der teuerste „Strand“ Italiens

Santinis Reben stehen an einem der teuersten „Strände“ Italiens, zwischen den Dörfern Castagneto Carducci und Bolgheri direkt an der toskanischen Mittelmeerküste. In der Ferne blinkt das azurblaue Band des Meeres, am Horizont liegt die Insel Elba im Dunst. Die Weine werden dort allgemein aus Cabernet Sauvignon, Cabernet franc und Merlot erzeugt. Sie sind tiefdunkel, opulent, tanninreich und von großer Aromentiefe. Sassicaia und der Ornellaia sind Prototypen für die Weine von Bolgheri.

Auch Santinis Weine gehen in diese Richtung. Doch sie unterscheiden sich. Statt Cabernet franc enthalten sie Syrah und Sangiovese: 30 Prozent bei seinem einfachen Wein, fünf Prozent bei seinem Top-Wein. „Sangiovese bringt Säure mit und sorgt dafür, dass der Wein etwas fruchtiger und leicht zu trinken ist“, findet er.

Schon der einfache Wein hat über 91 Punkte

Der einfache Wein heißt Poggio al Moro. Er duftet nach Veilchen, schwarzen Johannisbeeren, Lakritze und Tabak, am Gaumen ist er fruchtig und weich. Weine mit so viel Ausdruck gibt es nicht oft in Italien, und wenn, dann kosten sie gleich so viel wie ein Brunello. Nicht so dieser Wein. Sein Preis liegt deutlich unter 20 Euro.

Und was heißt einfach? Parkers Italien-Statthalter Antonio Galloni hat ihm 91 Punkte gegeben. Zum Vergleich: der 2008 Pavillon Rouge, Zweitwein von Château Margaux, hat bei Parker nur 88 Punkte bekommen und kostet um die 100 Euro. Natürlich ist so ein Vergleich unstatthaft, weil beide Weine aus anderen Anbaugebieten kommen. Aber wenn die Punkte für den Genusswert stehen, hat der Poggio al Moro die Nase vorn.

Montepergoli ist der Spitzenwein

Wem der einfache Poggio al Moro zu zahm ist, darf gern ein Regal höher greifen. Dort steht der Montepergoli, Santinis Spitzengewächs. Der 2006er, der sich jetzt im Handel befindet, ist ein dramatischer Wein, der unbedingt einen großen Bordeauxkelch braucht. Er macht zwar mächtig Druck am Gaumen, läuft aber wie Samt über die Zunge. Kurz: ein Wein von disziplinierter Fülle, kein klobiger Bauern-Cabernet.

Auch der Winzer Santini unterscheidet sich von den anderen Winzern Bolgheris. Er ist kein Profi, sondern ein beseelter Autodidakt. Er hat sich vom Regalauffüller bis zum Einkaufsleiter eines Supermarktes hochgearbeitet. Irgendwann hatte er das Leben mit Anzug und Krawatte satt. Er kaufte sich Weinberge und beschloss Winzer zu werden. Das war 1998: „Ich wollte mit der Natur leben, die Jahreszeiten spüren, einen Wein in die Flasche füllen, von dem ich sagen konnte, es ist mein Wein“, bekennt er ganz offen. Und: „Wenn ich gut bin, ist auch der Wein gut, wenn ich schlecht bin, wird auch der Wein nichts taugen.“

2006 der größte Jahrgang dieses Jahrtausends

In 2006 war nicht nur er gut, auch die Natur meinte es gut mit dem Wein. Er ist der größte Jahrgang des ersten Jahrzehnts nach der Jahrtausendwende, größer wahrscheinlich noch als 2001. Dennoch kostet er kaum mehr als dieser damals. Santini ist auch bei der Preisgestaltung zurückhaltend. Einen Kleinwagen vollzutanken, kostet jedenfalls mehr als eine Flasche Montepergoli. Für einen Sassicaia muss man das Dreifache hinblättern.

Ob sich der Montepergoli zwanzig Jahre oder länger halten wird, ist schwer zu sagen. Santini hat überhaupt erst 2000 angefangen seine Weine zu füllen. Wahrscheinlich macht es wenig Sinn, diesen Wein so lange aufzubewahren. Das Tannin ist reif und weich, so dass er getrunken werden sollte, solange die Frucht frisch ist: in den nächsten fünf bis zehn Jahren. Außerdem liegen mit 2007, 2008, 2009, 2010 und 2011 schon wieder fünf sehr gute, teils sogar große Jahrgänge in den Kellern von Bolgheri. Die Gefahr, dass man in Zukunft nicht mehr auf gleichem Niveau genießen kann, besteht nicht.

Übrigens muss der Kritiker Galloni einen schlechten Tag gehabt haben, als er den 2006 Montepergoli verkostete. Er gab ihm 88 Punkte – weniger als dem Poggio al Moro. Die Holznoten störten ihn. Santini ist ratlos: „Der Wein ist genauso lange im Barrique gelegen wie die Vorgängerjahrgänge, und der Anteil des Neuholzes ist absolut gleich geblieben.“

Eine neue Lektion für den Selfmade-Mann: Manchmal ist der Winzer gut und der Wein trotzdem schlecht – jedenfalls auf dem Papier.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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