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Bio-Experiment aus der Pfalz: Haben Sie schon mal Piwis probiert?

Klaus Rummel liebt blühende Landschaften. „Einen Bio-Weinberg muss man mit bloßen Augen von konventionellen Weinbergen unterscheiden können“, findet das 48jährige Pfälzer Urgestein. „Es muss dort grünen und sprießen. Hummeln und Schmetterlinge müssen dort fliegen. Es muss Leben zwischen den Reben sein.“ Seine Frau Susanne, gleichaltrig, fügt hinzu: „Die Natur kann atmen in unseren Weinbergen.“

Die Rummels sind Biowinzer in Nußdorf, einem 1500-Einwohner-Flecken in der Südpfalz nördlich von Landau. Und sie sind es nicht nur mit Leib und Seele, sondern auch mit Köpfchen. Sie bringen keinen Kunstdünger aus. Sie spritzen keine Insektengifte. Unkrautvernichtungsmittel sind für sie völlig tabu. So kommt es, dass ihre Weinberge in Wirklichkeit Weingärten sind. Buchweizen, Lupinen, Phacelia, Erbsen, Ringelblumen wachsen zwischen den Rebzeilen. Das einzige, was die Rummels gelegentlich spritzen, ist Kupfer und Netzschwefel. Anorganische Chemie also, durch die die Rebstöcke gestärkt werden, ohne die Natur zu belasten. In Teilen ihrer Weingärten müssen die Rummels in manchen Jahren gar nicht mehr spritzen. Die Reben werden inzwischen selbst mit den Schädlingen fertig.

Die Robustheit der alten Wildreben wiederbekommen

Der Weingarten des Bio-Winzerehepaares Rummel in Nußdorf in der PfalzEs ist aber nicht nur der Verzicht auf die chemische Keule, die Rummels Weingärten erblühen lässt. Über die Hälfte ihrer 12 Hektar Reben sind mit Piwis bestockt. Piwi ist die Abkürzung für pilzwiderstandsfähige Rebsorten. Sorten also, die gezielt auf Widerstandsfähigkeit gegen den Echten (Oidium) und den Falschen Mehltau (Peronospora) gekreuzt worden sind. Das heißt: Es wurden bekannte europäische Kulturreben wie Sauvignon blanc, Pinot noir oder Cabernet mit anderen Reben gekreuzt, in deren genetischem Code noch die Eigenschaften alter Wildreben sind: jene Robustheit zum Beispiel, die sich in größerer Widerstandsfähigkeit gegen Schädlinge äußert. Die Europäerreben haben diese Eigenschaften im Laufe der Evolution (und der genetischen Selektion) verloren. Wenn es gelänge, beides – die Robustheit der alten Reben und den guten Geschmack der Europäerreben – in einer Rebsorte zu vereinen, könnte man als Winzer mit einem Minimum an Schädlingsbekämpfung, vielleicht sogar ohne Spritzen auskommen.

Piwis sind zwar nicht gänzlich pilzresistent, aber zu 80 Prozent widerstandsfähig gegen Peronospora und Oidium, den beiden am häufigsten in Deutschland vorkommenden Pilzkrankheiten. „Mit den Piwis spare ich bis zu acht Spritzgänge pro Saison und kann so den Kupfereinsatz minimieren“, ist Klaus Rummel glücklich.

„Deutscher Tafelwein aus Versuchsanbau“

Freilich hätte der Piwi-Anbau keinen Sinn, wenn die Weine nicht schmecken würden. Doch Rummels Gewächse sind herzhafte, saubere Tropfen, die kraftvoll und kernig über die Zunge laufen, bisweilen auch durchaus Feinheit aufblitzen lassen. Sie heißen einfach 1er, 5er, 17er entsprechend der letzten Ziffern der „Zuchtnummern“. Als Qualitätsweine dürfen sie nicht in den Verkehr gebracht werden. Auf den Etiketten steht „Deutscher Tafelwein aus Versuchsanbau“. Für Klaus Rummel kein Problem: „Unsere Kunden wissen genau, dass sie bei uns Qualität kriegen.“

Das Bundesministerium für Landwirtschaft fördert den Anbau der Piwis. 2005 belegten die Rummels den 1. Platz beim Förderpreis des Ökologischen Weinbaus. Renate Künast, die damalige Ministerin, überreichte ihnen persönlich die Urkunde. Seitdem ist für Rummel klar: „Neue Reben braucht das Land.“

Seit 1987 schon Piwi-Anbau

Der Weinkeller von Klaus und Susanne RummelDie ersten Piwi-Reben hatte er bereits 1987 gepflanzt. Er hatte sie vom staatlichen Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof im pfälzischen Siebeldingen bekommen. Die weiße Sorte besaß damals noch keinen Namen, sondern trug nur die Sortennummer: Gf-Ga 54-14. Sie war lediglich zum Versuchsanbau zugelassen. Zwei Jahre später ernteten die Rummels ihre ersten Piwi-Weine und fuhren mit einem lila bemalten Oldtimer-Omnibus zum Evangelischen Kirchentag nach Berlin, um die Frucht ihrer Arbeit vorzustellen.

Schon damals war die Resonanz hervorragend. Doch als sich Rummel daraufhin entschloss, den Piwi-Anbau auszuweiten, bekam er Ärger mit dem Bundessortenamt. Der Anbau von unautorisierten Sorten ist in Deutschland nämlich stark reglementiert. Auch eine andere pilzresistente Sorte, diesmal für Rotwein, durften die Rummels damals noch nicht anbauen. Erst 1996, als diese Sorte unter dem Sortennamen Regent freigegeben wurde, konnten sie einen Hektar mit ihr bestocken.

Mehrere Piwis in eigener Regie gekreuzt

1999 tat sich Klaus Rummel dann mit einem privaten Züchter aus der Schweiz zusammen, der seinen Sauvignon, seinen Spätburgunder und seinen Cabernet  im Weinberg mit dem Samen ausgewählter anderer Reben bestäubte – welchen, daraus machte der Schweizer ein Geheimnis. Jedenfalls entstanden in Rummels Weingärten auf diese Weise mehrere neue Piwi-Sorten. Die interessantesten nannte er Cabernet blanc, Pinotin, Cabertin.

Zusammen mit der Regent und der ersten Weißwein-Piwi von 1987 (die inzwischen unter dem Namen „Staufer“ in die Sortenrolle eingetragen ist) bedecken die pilzwiderstandsfähigen Sorten heute mehr als die Hälfte der 12 Hektar Weingärten, die die Rummels in Nußdorf bewirtschaften. Die Weine aus ihnen sind schnell verkauft und daher immer knapp. Auch in seinem Dorf ist der eigenwillige Bio-Winzer inzwischen wieder gut gelitten: „Am Anfang“, gibt er zu, „hatte es ein bisschen gekracht.“

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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