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Besuch in der Ruhmeshalle des Schweizer Weins

Über die Landesgrenzen der Eidgenossenschaft hinaus dringt nur wenig Wein. Zu groß ist der Weindurst der Schweizer selbst. Mit rund 48 Litern pro Jahr und Einwohner trinken sie doppelt so viel Wein wie die Deutschen. Da bleibt für den Export nicht allzu viel übrig, zumal es in der Schweiz praktisch keine Massenproduktion gibt. Und da die Schweiz kein Mitglied der EU ist, wären die Zollformalitäten umständlich.

Knapp 15.000 Hektar Weinbau besitzt das Land insgesamt – etwas weniger als das deutsche Anbaugebiet Baden. Die Rebflächen schmiegen sich meist an die Hänge der Voralpen: den nördlichen wie in Graubünden, Neuenburg, Zürich oder Schaffhausen und  den südlichen wie im Tessin. Aber auch im Waadtland am Genfer See und im Wallis, einem der größten Alpentäler der Schweiz, wächst Wein.

Sammlung der besten Schweizer Weine

Um zu verhindern, dass das Wissen über den Schweizer Wein dem großen Weindurst der eigenen Eidgenossen zum Opfer fällt, rief eine Gruppe engagierter Produzenten 2004 das „Mémoire des Vins Suisses“ ins Leben: einen gemeinnützigen Verein, der jedes Jahr von den besten Schweizer Weinen einen großzügigen Lagerbestand zur Seite legt.

So entsteht mit der Zeit eine Sammlung gereifter Weine, ein wahres Wein-Museum. Von Zeit zu Zeit öffnet die Schatzkammer ihre Türen, um einem Kreis von Fachjournalisten, Sommeliers oder Händlern jeweils einen jungen und einen gereiften Jahrgang der jeweiligen Weine zu präsentieren. Naturgemäß werden diese Proben von Jahr zu Jahr interessanter, denn die gehorteten Weine werden immer älter. Bei der Öffnung des „Mémoire“ Ende August in Zürich stammten die ältesten Weine von 1999 und 2000. Das sind Jahrgänge, von denen man auch deutsche oder österreichische Weine erst einmal auftreiben muss. Im eigenen Keller sind sie ja in der Regel längst ausgetrunken.

Einige Tessiner Weine auch in Deutschland erhältlich

Welche Schweizer Weine aber reifen am besten? Von der Rebsorte her würde man die Tessiner Merlot ganz vorne vermuten. In der Tat glänzten einige Weine aus dem italienischsprachigen Landesteil, der sich weinbaulich aber in fester Hand von Deutschschweizern befindet. Ausgezeichnet etwa der 2000er Jahrgang „Montagna Magica“ von Daniel Huber mit seinen Steinpilznoten und dem milden, seidig-geschmolzenen Körper. Sehr gut auch der kernige, nach Schokolade duftende 2001er „Sassi grossi“ von Feliciano Gialdi (in Deutschland als 2003er erhältlich)

Doch auch einige Pinot Noir, überwiegend aus deutschsprachigen Kantonen, stellten ihre Reifebeständigkeit unter Beweis. Eine spannende Stilübung etwa der 2002er Malanser des Winzers Georg Fromm aus Graubünden: floral duftend, feingliedrig und dennoch mit einem festen mineralischen Hintergrund. Bezugsquellen in Deutschland für diesen Wein sind allerdings Fehlanzeige.

Blauburgunder reift gut in der Schweiz

Dasselbe gilt für den Blauburgunder „R“ von Ruedi Baumann aus Oberhallau/Schaffhausen. Der Wein des Jahrgangs 2000 zeigte sich jetzt auf dem Höhepunkt seiner Reife: voller aromatischer Glut, dabei sehr Pinot-typisch, noch immer strukturiert, mit reifem, Fülle gebendem Gerbstoff.

Auf demselben Niveau: Der 2000er Blauburgunder „No. 3“ des Thurgauer Schlossgut Bachtobel, mit einem geradezu trüffeligen Duft und einer Gaumenpräsenz, die spielend Volumen und Feinheit unter einen Hut bringt.

Last not least brillierte auch der 2001 „Raissenaz“ Pinot noir der AOC Morges (Waadt) von Henri Cruchon: mit einem komplexen Duft, in dem auch eine Note von Wildkirsche erkennbar war, und mit einem kraftvollen Kern von stupender Frische – ein urtümlicher Pinot, der noch weitere Reserven hat.

Gutedel heißt in der Schweiz Chasselas

Die Schweiz ist natürlich auch ein Land des Chasselas, dem schweizerischen Pendant zum Gutedel. Immer wieder beeindruckend ist das Reifevermögen der Weine vom Genfersee, vor allem der Chasselas aus der Steillage Dézaley östlich von Lausanne. Der 1999er „La Médinette“ von Louis Bovard zeigt einen reifen Safranduft, während sein viskos getragener und salzig unterfütterter Körper noch immer voller jugendlicher Spannkraft ist.

Ebenfalls aller Ehren wert: Der 2002er „Le Brez“ des Biodynamikers Raimond Paccot von der Domaine La Colombe aus dem Gebiet La Côte, westlich von Lausanne. Die AOC Féchy ist eher für ihre einfachen Trinkweine bekannt (oder besser gesagt, verrufen) – doch Paccots Wein zeigte einen positiv gereiften Duft mit karamelisierten und würzigen Noten und eine immer noch vife Gaumenstruktur (ohne Bezugsquelle in Deutschland).

Nicht zuletzt kann die Schweiz auch mit Rebsorten-Spezialitäten punkten. Eine Entdeckungsreise lohnen beispielsweise der Räuschling „Seehalden“ von Hermann Schwarzenbach aus Meilen (Zürichsee), der Completer von Peter und Rosi Hermann aus Fläsch (Graubünden), oder Walliser Raritäten wie die Petite Arvine „Maitre de Chais“ der Genossenschaft Provins oder der Cornalin von Anne-Catherine und Denis Mercier. Um solche Weine trinken zu können, und seien es nur die neuesten Jahrgänge, muss man sich aber schon selbst zu den Eidgenossen bemühen.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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