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Besuch auf Schloss Vollrads: vom Cabinet zum Kabinett

Vor 300 Jahren wurde auf Schloss Vollrads im Rheingau der Cabinet-Keller errichtet – ein Archiv für die besten Rieslinge des Gutes. Den Keller gibt es noch. Doch statt Cabinet wird auf dem Schloss heute Kabinett erzeugt. Anne Krebiehl MW erklärt den Unterschied.

Schloss Vollrads
Schloss Vollrads

Mit seiner niedrig gewölbten Decke aus Backsteinen und seiner Gittertür ist der Cabinet-Keller auf Schloss Vollrads kaum größer als ein bescheidenes Einzelzimmer  – aber viel Platz brauchte man damals ja nicht. Nur die erlesensten, besten Weine wurden dort lange gelagert: penible Auswahl erhöhte lediglich die Exklusivität. Während der Cabinet-Keller des nahegelegenen Klosters Eberbach der wohl berühmteste ist, ist der Cabinet-Keller auf Schloss Vollrads der urkundlich zuerst erwähnte. Er verkörpert die Idee des Cabinets geradezu perfekt: „Ein kleines und geheimes Zimmer (…) darinnen man studiret, schreibt, die kostbaresten Sachen verwahret.“ So zitiert man auf Schloss Vollrads ein Universallexikon aus dem Jahre 1733.

Vollrads erster Cabinet-Wein stammt von 1728

Wohnturm mit Cabinet-Keller
Wohnturm mit Cabinet-Keller

Die alten Wirtschaftsunterlagen belegen es: Es ist genau 300 Jahre her, dass der Maurermeister Johann Muter im Jahre 1716 mit 150 Florin, 10 Malter Korn und 2 Ohmb Bier vom Schlossherren Johann Erwein Graf von Greiffenclau für den Bau des Cabinet-Kellers entlohnt wurde. Er hatte den kleinen Keller in den Stein gehauen und sowohl Luftschächte, einen Kamin, eine Treppe und eine gewölbte Decke gemauert. Der erste Beleg vom Verkauf solcher Cabinet-Weine folgt dann im Jahre 1728. Ob das Konzept des Cabinets auf Schloss Vollrads erfunden wurde, weiß niemand, ebenso wenig wie weitläufig der Brauch und der Begriff im Rheingau zu dieser Zeit verbreitet waren. Die Bezeichnung Cabinet stand nämlich nur für eines: allerhöchste Qualität der in Cabinet-Kellern gereiften Rieslinge. Und so blieb es auch für lange Zeit.

Der Cabinet konnte eine Spätlese sein – oder mehr

Im November des vergangenen Jahres kam ich in den Genuss, eine Reihe gereifter deutscher Weine aus einem privaten Keller in England zu probieren: Zunächst war ich im Begriff, die Flasche ‚Cabinet‘ des Jahrgangs 1964 bei den anderen Kabinetten in die Verkostungsfolge einzuordnen – dann las ich das Etikett noch einmal: Es war das Hochheimer Kirchenstück Spätlese ‘Cabinet’ des Hessischen Staatsweinguts. Und nein – das war keinen Widerspruch, sondern gelebte, deutsche Weinkultur. Meine Notizen zu diesem 1964 lauten: „Noten von Pfirsich, sehr duftendes, reifes Rieslingaroma, diese nahtlose Synthese von Kräutern, Zitrusschalen und honigartiger Vollmundigkeit…“ Zeit konnte diesen Cabinet-Weinen nichts anhaben. „Mit dem Begriff Cabinet beschrieb man die besten Weine des Jahrgangs. Man vergab dieses zusätzliche Attribut nur an die großartigsten Weine“, erklärt Rowald Hepp, heutiger Direktor von Schloss Vollrads, anlässlich der Feier zum 300. Jahrestag der ersten urkundlichen Erwähnung.

Seit dem Weingesetz von 1971 gibt es nur noch Kabinette

Riesling-Traube auf Schloss Vollrads
Riesling-Traube, Schloss Vollrads

Das alles hatte ein jähes Ende mit dem deutschen Weingesetz von 1971, das diesen jahrhundertealten Ausdruck höchster Qualität einfach tilgte. Der „Cabinet“ verschwand, die Bezeichnung „Kabinett“ kam. Sie stand und steht für die unterste Prädikatsweinstufe. Diese wird bekanntlich nicht über die Qualität, sondern ausschließlich über das Mostgewicht definiert. Wie bei so vielen Dingen des 1971er Gesetzes wollte man die Vergangenheit wohl ganz schnell hinter sich lassen, aber sich gleichzeitig im Glanz der alten Zeiten und Nomenklaturen sonnen.

Auch VDP-Betriebe müssen nicht auf „Kabinett“ verzichten

Das ist nun knapp 45 Jahre her. Seitdem steht „Kabinett“ für einen Wein mit niedrigem Alkoholgehalt, aber vollem Geschmack. Das heißt: Der VDP hat diese Bezeichnung eigentlich gerade abgeschafft für trockene Weine. Dessen Mitglieder kennen nur Gutsweine, Ortsweine, Erste Lagen-Weine und Große Gewächse. So lautet die Hierarchie. Nicht-VDP-Mitglieder benutzen die Bezeichnung Kabinett selbstverständlich weiter. Und auch VDP-Betriebe müssen nicht zwangsläufig auf das Prädikat verzichten. Sie haben das Recht, ihren Gutswein auch „Kabinett trocken“ zu nennen, allerdings ohne Angabe der Lage. Besonders Betriebe, die nur in einer einzigen Lage begütert sind, aber mehrere Abstufungen im Gutsweinbereich anbieten, nutzen diese Möglichkeit.

Ein Kabinett wird nie im Vollradser Cabinet-Keller landen

Neues Kabinett-Etikett

Zu diesen Betrieben gehört Schloss Vollrads. Es besitzt 80 Hektar Weinberge, alle in der Lage „Schloss Vollrads“. Der Gutsweine waren und sind zahlenmäßig die wichtigsten Weine des renommierten Schlosses. In so einem Fall muss es innerhalb des Gutsweinbereichs qualitative und preisliche Abstufungen geben: von einfachen, süffigen Sommerwein bis zum leichten, mineralisch-fruchtigen Speisebegleiter. Letzterer heißt Kabinett trocken. Er erfreut sich bis heute großer Nachfrage, nicht nur bei Schloss Vollrads, sondern auch bei anderen Weingütern im Rheingau, an Mosel und Nahe. So gesehen, ist der Begriff „Kabinett“ noch heute hochaktuell (sofern sich hinter dieser Bezeichnung keine dicken, freiwillig deklassierten Spätlesen verbergen, wie es bei manchen Betrieben im Rheingau mangels leichter Weine der Fall ist).

Auch wenn sie nie im alten Vollradser Cabinet-Keller landen werden: die neuen Kabinette stehen für den unnachahmlichen, deutschen Riesling-Stil. Wo sonst auf der Welt gibt es Weine, die ebenso grazil wie tiefgründig sind? Wo sonst ist unbeschwerter Genuss mit so viel Geschmack und Lebendigkeit gepaart? Ein Romantitel, der mir in diesem Zusammenhang einfällt, heißt „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Bei einem Riesling Kabinett ist das leichte Sein für mich sehr erträglich.

Übrigens: Der Tag der Offenen Tür am 4. September 2016 ist dem Thema „300 Jahre Kabinett“ gewidmet.


Der Wein


2014 Schloss Vollrads Riesling Kabinett trocken
Preis: 11,50 Euro
Bezug: www.schlossvollrads.com


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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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