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Bestseller „Krisenbox“: Der Wein fürs gute Gewissen in schweren Zeiten

Wolf Wilder und Jörg Horn sind Weinhändler. Sie stehen der Berliner Weinimportfirma Wein & Vinos vor, die sich als „Spaniens Weinspezialist Nr. 1“ in Deutschland versteht. Aber die beiden Mittvierziger besitzen etwas, was nicht jeder Weinhändler hat: feine Antennen für das, was viele Menschen heute ängstigt, ihnen ein schlechtes Gewissen macht, sie vielleicht hindert, relaxt und ohne ideologische Vorbehalte ein Glas Wein zu genießen.

Und das, was ihre Antennen aufgefangen haben, hat sie auf eine Idee gebracht: Statt den 1701ten Flaschenwein aus Spanien zu importieren (1700 Sorten sind schon in ihrem Sortiment), haben sie eine schmucklose Pappbox kreiert, in der ein 3 l-fassender Folienschlauch mit Wein steckt: eine Box für Weiß-, eine für Rotwein. Bag-in-Box lautet der Fachausdruck für eine derartige Verpackung. Oder kurz BiB. Eigentlich nichts Neues. In diesem Fall aber doch.

Krisenbox: Das Klimaschutz-PaketDie Boxen enthalten zwei einfache, aber ordentliche Weine aus zertifiziert organischem Anbau. Keine Hochgewächse, doch besser als mancher teurere Flaschenwein. „10 € und gut“ steht programmatisch auf dem Karton. Und das ist keine Übertreibung: Die Weine sind gut für die Studentenparty, für das Picknick im Grünen, für die allabendliche Pizza oder die Thüringer mit Bratkartoffeln.

Das Besondere ist, dass die beiden Boxen sich unerwartet gut verkaufen. Der niedrige Preis und die relativ gute Weinqualität (80% Macabeo, 20% Sauvignon Blanc aus dem Anbaugebiet Utiel-Requena) dürften dabei sicher eine Rolle spielen. Doch eine mindestens ebenso große Rolle spielt die Verpackung. Ein schlichter, von jeglichem Design-Firlefanz freier Pappkarton, unschuldig weiß, nur mit wenigen Information bedruckt.

Informationen? Botschaften sind es! „Klimaschutzpaket“ ist in großen Lettern auf die Weißweinbox gedruckt.  Zwei grüne Pfeile, die von Joseph Beuys stammen könnten, zeigen, wo der Zapfhahn steckt. Und wer seine Brille dabei hat, kann im Kleingedruckten an der Seite der Box lesen: „Keine schweren, teuren Flaschen! Kein unnötiger Zwischenhandel! Die Weinbox für den ökologisch und ökonomisch bewussten Weingourmet.“

Die Worte lassen das Herz Sinnkrisen-geplagter Zeitgenossen höher schlagen. „Dieser Wein würde jeden Parteitag der Grünen schmücken“ schrieb die Hannoversche Allgemeine Zeitung ein bisschen zynisch, aber treffend. Dabei hat das Wein & Vinos-Duo nicht anderes getan als den Nachhaltigkeitsnachweis ihres BiB-Weins Schwarz auf Weiß auf die Packung zu drucken:

  • 80 Prozent weniger Abfall (als anfiele, wenn der gleiche Inhalt in Glasflaschen gefüllt würde)
  • 55 Prozent weniger CO2-Emissionen durch eingesparte Energie bei der  Glasherstellung und beim Transport des Weins
  • 40 Prozent weniger Kosten durch die preiswerte Umverpackung, wodurch es möglich ist, besseren Wein in den Schlauch zu füllen.

Rolf Wilder und Jörg HornDie gleichen Vorteile gelten auch für den Rotwein. Doch er wartet mit einer anderen Botschaft auf. Diese könnte eher ein Thema auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos sein: „Krisenbewältigung ohne Neuverschuldung“. Es geht um Spanien, aus dessen Provinzen dieser Wein aus der einheimischen Monastrell-Traube kommt. Das Land kämpft um seine Zahlungsfähigkeit. Die Diskussion, ob Spanien wegen der ökonomischen Krise unter den Euro-Rettungsschirm muss, hört nicht auf.

Auch die spanische Weinwirtschaft ist von der Schuldenkrise massiv betroffen. Viele auf Pump finanzierte Weingüter, die in den letzten Jahren hochgezogen wurden, können nun ihre Zinsen nicht mehr zahlen. Und neue Kredite geben die Banken nicht mehr. Was tun? Ganz klar: Den Wein, der eigentlich teuer verkauft werden sollte, einfach in einen Schlauch statt in Flaschen füllen, um ihn billiger anbieten zu können.

Der Käufer der roten Krisenbox leistet so einen Beitrag dafür, dass die Kellereien überleben können und die Weinbergarbeiter in der Region ihren Job nicht verlieren. Als Belohnung für die gute Tat bekommt er einen Wein, der besser ist, als der Preis es vermuten lässt.

Solche Botschaften lesen nicht nur Bankchefs, Bundeskanzler und Basisgrüne gern. Auch viele krisensensible Bürger goutieren sie – besonders in Deutschland.

Die Krisenbox: Zapfhahn eingebautHorn und Wilder ahnten es: „Wir haben uns überlegt, ob wir, wie üblich, den Namen des Weins und seine Herkunft groß auf die Verpackung schreiben oder lieber die Botschaft, die wir mit dem Wein verbinden“, erklärt Wilder. „Am Ende haben wir uns für Letzteres entschieden.“

Ihr Glück. Innerhalb von zwei Tagen war bereits ihr gesamtes Monatskontingent verkauft. Inzwischen sind insgesamt 50.000 Krisenboxen Rot und fast 30.000 Krisenboxen Weiß über ihre Scanner gelaufen. Und das nicht etwa nur im wirtschaftlich klammen Berlin. Über Amazon werden die Krisenboxen in ganz Deutschland ausgeliefert. Selbst beim Münchener Edel-Feinkosthändler Käfer stehen sie im Regal. Die hochmögende Kundschaft findet durchaus Gefallen an dem Wein und schleppt die Pappkartons gern nach Hause. Oder lässt sie sich nach Hause liefern.

Ob reich oder arm: Die Krisenbox finden alle cool. Lieber 10 Euro in spanischen Wein investieren, so das Kalkül der Käufer, als für 50  Milliarden Euro oder mehr bürgen zu müssen für den Fall, dass Spanien pleitegeht.

Das nächste Schlauchwein-Projekt der Berliner ist schon in der Pipeline: eine „Inflationsbox“, die den Aufdruck „Heute 10 €, morgen 20 €, übermorgen 10 DM“ tragen soll. „Wir glauben, dass der Euro in der Krise verlieren wird und wir in zehn Jahren wieder mit DM zahlen werden“, drückt Wilder seine Befürchtungen aus, nicht ohne zu versichern: „Aber die Qualität unseres Schlauchweins wird immer gleich hoch bleiben.“

Wenigstens eine positive Nachricht.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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