Der Juni hatte es in sich. Er war heiß, so heiß, dass ich ohne Klimaanlage in meinem Studio unter dem Dach keinen klaren Satz hätte formulieren können. Und auch die Klimaanlage reichte nicht immer aus, um cool zu bleiben. Also gab ich mir hitzefrei und verlegte die Arbeit auf den frühen Morgen und den späten Abend. Insofern passte es gut, dass im Juni das Thema Champagner für mich ganz oben stand. Der Meininger Verlag hatte für den 20. Juni ein Event namens 100 Prozent Champagner organisiert, und zwar in der Stadt, in der ich lebe. Man glaubte wohl, dass der Champagner in München besonders heftig sprudelt. Stimmt ja auch. Jedenfalls waren 50 Champagnerhäuser gekommen, um sich zu präsentieren.
Neues von Lanson, Agrapart, Vazard-Coquart, Gosset, Vauversin, Henri Giraud
Etwa vier Dutzend Champagner habe ich verkosten können, geniale und banale, billige und teure, rare und Wald- und Wiesen-Schäumer. Die Erkenntnis war, dass sich in der Champagnerwelt, die äußerlich so abgeklärt und kommerziell wirkt, viel getan hat und viel tut. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass ein Haus wie Champagne Lanson, dessen Produkte ich nie so fürchterlich aufregend fand, in den letzten zehn Jahren die Qualitätsschraube stark angezogen hat: langes Hefelager und Verzicht auf Malo, um nur zwei essentielle Punkte zu nennen. Le Black Réserve Brut ist ein echtes Prestige-Produkt, mit dem man Siege feiern und Niederlagen verschmerzen kann, um einen bekannten englischen Premierminister zu zitieren (44,90 Euro in den Heinemann-Shops). Andere wie Vazard-Coquart verlängern nicht das Hefelager, verwenden aber gereiftere Basisweine für die Flaschengärung. Die Idee: mehr Terroir-Ausdruck. Champagne Gosset, auch nie ganz oben auf meiner Dringlichkeitsliste, beeindruckte mich mit einer außerordentlich reichen Grande Réserve, die ebenfalls ohne Malo auf die Flasche kommt – eine Reaktion auf den Klimawandel.
Viel experimentiert wird mit der Tirage. Agrapart, einer der Stars der Champagner-Szene und Extra Brut-Verfechter, hat einen Expérience Brut Nature auf den Markt gebracht, bei dem nur Traubensaft als Tirage hinzugefügt wird, ohne Zucker (237 Euro, www.kierdorfwein.de). Champagne Vauversin benutzt für seinen Ordage als Tirage eine Mischung aus frischem Traubensaft und einer Réserve Perpetuelle, die er eigens dafür angelegt hat (73 Euro, www.champagner-characters.com). Champagne Henri Giraud experimentiert mit oxidativer Vergärung im Keramikgefäss. Spannende Entwicklungen abseits des Mainstream, die Sascha Speicher, Chefredakteur des Meininger Sommelier-Magazin und Kurator der Veranstaltung, kenntnisreich erläuterte.
Aber um es gerad heraus zu sagen: Der Mainstream hat mir oftmals besser gefallen. Bei Pol Roger, ein für große Experimente unverdächtiges Champagnerhaus, braucht man sich gar nicht bis zur teuren Spitzencuvée Winston Churchill hochzutrinken, um zu erkennen, dass auch die wohlfeileren Varianten in ihrer Kategorie alle Kriterien erfüllen, um zu den Spitzen gezählt zu werden – die einfache Brut Réserve eingeschlossen (38,90 Euro, www.tesdorpf.de). Oder das Winzerfamilie Tarlant, die weniger im Keller experimentiert, dafür in den Weinbergen biodynamisch arbeitet. Ihr Zero ist ein Beispiel dafür, dass auch ein Champagner ohne jede Dosage fein sein kann (46 Euro, www.vinaturel.de).
Philipponnat und Billecart-Salmon
Wenn ich ohne Rücksicht auf Budgets sagen sollte, was mir persönlich am besten gefallen hat, dann würde ich Philipponnat und Billecart-Salmon nennen. Billecart-Salmon schenkte zum Beispiel seinen 2009er Vintage Extra Brut aus, der zu 85 Prozent aus Pinot Noir gewonnen ist, entsprechend breite Schultern hat und im Inneren doch extrem fein zizeliert ist (69 Euro, www.wein-direktimport.de). Und Philipponnats Grand Blanc Extra Brut 2015, ein Champagner so stämmig wie eine deutsche Eiche, aber mit Zweiglein so fein und zart wie ein junges Limonenbäumchen (59,50 Euro, www.edelrausch.de). Grosses Kino.
Die Top-Cuvée von Philipponnat habe ich leider verpasst: den Clos des Goisses aus den steilsten Parzellen von Mareuil mit den ältesten Rebstöcken. Schade. Im Test von Meiningers Champagner-Magazin landete dieser Champagner auf Platz 1, deutlich vor Dom Pérignon und Krugs Grande Cuvée. Immerhin konnte ich ein paar Tage später den 2006er Clos des Goisses auf einer Auktion für 160 Euro ersteigern (statt normalerweise 285 Euro). Immer noch viel Geld, zugegeben. Aber diesen Clos des Goisses sollte, wer Champagner liebt, mindestens einmal im Leben getrunken haben – wobei ich zu bedenken gebe, dass das Leben kurz und die Flaschenzahl gering ist. Ich werde berichten, wenn ich die Flasche geköpft habe.
Perrier-Jouët und sein Banquet of Nature
Einen anderen Champagner möchte ich auch noch erwähnen, den ich ein paar Tage später zu einem „Banquet of Nature“ in kleinem Kreis in der Villa Wagner in München ausgiebig geniessen konnte: den Belle Époque von Perrier-Jouët. Ein alter Bekannter, stimmt, aber hoch geschätzt. Er prägt sich schon wegen der Jugendstilflasche mit den japanischen Anemonen, die sich um sie ranken, ins Gedächtnis ein. Mit durchschnittlich 150 Euro ist auch er nicht unbedingt preiswert zu nennen. Aber für Leute, die sich sonst nichts gönnen, ist er gerade richtig. An dem betreffenden Abend hatte ihn mir Séverine Frerson, die Kellermeisterin von Perrier-Jouët und eine ausgewiesene Sensorik-Expertin, neben der ich platziert war, nahe gebracht, und sie konnte ihn mir wesentlich präziser beschrieben als ich ihr die Vorzüge der Stadt Münchens (sie war das erste Mal in München).
Zuerst tranken wir 2012er Jahrgang aus der Magnum (Séverine: „Weissdorn, Lindenblüte, Ingwer, Ananas…“), dann den 2006er Belle Époque Blanc de Blancs („Für mich das Epitom eines grossen Blanc de Blanc-Champagners“). Zum Schluss gab es noch den 2005er Belle Époque Rosé aus der Methusalem („Pastellrosa mit Duftnoten von Pfingstrose und Kumquads, am Gaumen rosa Grapefruit, Mandarinen und Brioche“). Unglaublich frisch sei dieser Wein noch immer, raunte ich ihr zu. Sie meinte: „Wärmend.“ Okay, also genau das Richtige für den nächsten Winter.
Ricasolis Merlot Casalferro – neu ausgerichtet
Hitze hin, Hitze her. Ohne Rotwein geht es nicht, auch wenn das Quecksilber im Juni mehrmals Höchststände erreichte. Am neugierigsten war ich auf neuen Casalferro, von dem mir Francesco Ricasoli eine Flasche zugeschickt hatte mit Bitte um ein Urteil. Der reinsortige Merlot kommt in 2018 erstmals von drei sorgfältig ausgewählten Parzellen, die mit ihrer vorwiegend sandigen Struktur für die Sorte besonders geeignet sind. Im Unterschied zu seinen Vorgängern ist der 2018er weniger ausladend, dafür straffer, schnörkelloser, gradliniger ohne Schokonoten und Röstaromen. Auf den ersten Schluck wirkt er fast unkompliziert, beim zweiten aber zeigt sich seine enorme Tiefe. Wer eine Ahnung davon hat, wie gut Merlot auch in der Toskana gelingen kann (ich sage nur Galatrona und Masseto), der legt den Wein für ein paar Jahre beiseite und freut sich auf später. 9000 Flaschen gibt es jetzt nur noch von ihm, der Preis ist dafür auf 48 Euro gestiegen (www.superiore.de).
Erwartungen enttäuscht: Chateau Margaux 1982
Mit großer Neugier hatte ich auch die Magnumflasche der 2001er Chianti Classico Riserva „Rancia“ von der Fattoria Felsina geöffnet, die ich in einer dunklen Ecke meines Kellers gefunden und zum Abendessen mit einem Freund hochgeholt hatte. Den hohen Erwartungen hielt der Wein nicht ganz stand. Fortgeschrittener Reifezustand auf der einen, hartes Tannin auf der anderen Seite – Kontrast statt Spannung. Trotzdem behaupte ich, dass der „Rancia“ einer der besten Lagenweine im Chianti Classico ist. Richtig enttäuscht war ich dagegen von einem anderen Rotwein, dem Weinfreaks normalerweise auf Knien hinterherrutschen – Chateau Margaux 1982: extrem animalisch, sperrig, hoffnungslos rustikal.
Von der noblen Eleganz, die den 1983er beispielsweise auszeichnet, keine Spur. Wenn ich mir die Verkostungsnotizen dieses Margaux bei Parker anschaue, ahne ich, was der Grund sein könnte. Große Unterschiede von Flasche zu Flasche – diese Feststellung taucht bei mehreren Testern auf. Ärgerlich nur, wenn man eine falsche Flasche erwischt, um mit ihr den Finalteilnehmern des FEINSCHMECKER-Wettbewerbs „Weinchampion des Jahres“ die hohe französische Weinkultur zu demonstrieren.
Diagon von Markogianni: in keine Schublade passend
Und gab es sonst nichts, was eine lobende Erwähnung wert wäre? Doch, der 2019er Diagon. Dieser Wein kommt aus Griechenland, und zugeschickt hatte ihn mir Haris Papapostolou aus Ulm, der sich mit seiner Weinhandlung The Winehouse auf den Import hochwertiger griechischer Etiketten spezialisiert hat. Der Diagon, Weingut Markogianni, ist ein völlig eigenständiger, in keine Schublade passender Wein, wie er im Mainstream-Europa selten geworden sind. Um ihn zu genießen, muss man aber kein Exzentriker oder Naturwein-Nerd sein: ein überraschend dunkler, konzentrierter Roter aus der (nahezu) ausgestorbenen Lefkada-Traube, die noch an einigen Stellen des antiken Olympia im Nordosten des Peleponnes zu finden ist.
Sie ergibt einen kräftigen, dicht gewobenen Wein mit spürbarem, aber nicht harten Tannin und delikaten Aromen von Kirschkonfitüre und Nelken (19,90 Euro, www.the-winehouse.de). Papapostolou meint, der Diagon könnte in ein paar Jahren im Pantheon der griechischen Spitzenweine landen und zum Sammlerstück werden. Hoffentlich nicht. Wein will getrunken werden.