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Best of April: Burgunder von Confuron, Olivier Bernstein, Méo-Camuzet, Kistler, Keller, Gantenbein, Fürst und Co.

Es gibt Weine, die sich wegen ihres besonderen Geschmacks im Gedächtnis einbrennen. Manchmal auch, weil man sie so selten im Glas hat. Oder wegen ihres hohen Preises. Auf die Weine, die ich im vergangenen Monat bei einer Probe in Köln getrunken habe, trifft alles zusammen zu. Zumindest der größte Teil der Weine war rar, teuer und – um ein pathetisches Adjektiv zu benutzen – charismatisch. Die Rede ist von Pinot Noir. Einige ganz Schlaue behaupten ja, Pinot Noir sei gar kein Wein, sondern eine Leidenschaft. Stimmte das, brauchten wir keine Gläser, sondern nur Taschentücher, um die Freudentränen zu trocknen. Aber ganz so war es dann doch nicht. 

„Frankreich gegen den Rest der Welt“

Zu der Probe hatte eine große Personalberatung in den Rotonda Business Club geladen. „Frankreich gegen den Rest der Welt“ lautete der Titel. Ich selbst hatte die Weine ausgesucht und kommentiert. Bekanntlich wird Pinot Noir nicht nur im Burgund, sondern in vielen Teilen der Welt angebaut, und alle diese Länder verstehen sich als Herausforderer der großen französischen Pinot Noirs. Von den 12 Weinen, die wir verkosteten, kamen 4 aus dem Burgund, 4 aus Deutschland, 4 aus anderen Ländern. 

Pinot Noir – die nobelste Sorte der Welt © Kistler Vineyards

Bei den Preisen zeigt der Pfeil überall steil nach oben

Die französischen Burgunder gelten weltweit als Benchmark. Seit die Asiaten ihre Liebe zu ihnen entdeckt haben, sind sie teilweise unerschwinglich geworden – sozusagen out of reach für alle, die noch Miete zahlen müssen und Kinder zu versorgen haben. Mindestens 50 Euro werden für einfache Village-Weine aufgerufen, mindestens 80 Euro für einen Premier Cru, die Grands Crus fangen bei 250 Euro an. Die besseren Gewächse – oder sagen wir genauer: die der renommierteren Erzeuger – kosten schnell das Doppelte und mehr. Dabei fließen Freudentränen nicht bei jeder Flasche, auf der Volnay, Chambolle-Musigny oder Chambertin steht. Preislich sind die österreichischen, schweizerischen, kalifornischen, chilenischen, argentinischen, neuseeländischen Pinot Noirs in diese Dimensionen noch nicht vorgestoßen, auch nicht die deutschen Spätburgunder. Der Pfeil zeigt aber auch bei ihnen steil nach oben. 

Bouchard Père: Le Corton erfüllt nicht die Erwartungen

Unter den französischen Burgundern war gleich der erste, der 2010er Le Corton von Bouchard Père eine kleine Enttäuschung. Nicht dass er fehlerhaft oder zu alt gewesen wäre: Aber von einem Grand Cru aus einem großen Jahrgang darf man mehr erwarten. Der Wein war einfach nur furchtbar brav. Leidenschaft? Löste er nicht aus. Sicher, Bouchard Père gehört nicht zu den Top-Erzeugern, was sich auch im Preis ausdrückt. Mit 120 Euro mag er optisch ein Schnäppchen sein, degustativ ist er überteuert. 

© weinkenner

Confuron und Méo-Camuzet: Jeder meisterhaft auf seine Art

Von anderem Kaliber war der 2017er Clos de Vougeot von Jean-Jacques Confuron: hochkomplex mit Trüffel, Lorbeer und rauchiger Würze im Bouquet, zugleich sehr charmant. Er trifft die Erwartungen an einen Grand Cru schon eher. Obwohl noch jung und zu hundert Prozent im neuen Holz ausgebaut (wie es für Grand Crus üblich ist),  dürfte er das Potenzial für 20 Jahre Verfeinerung haben (159 Euro, www.nm-weine.de). Da fängt der Spaß an. Noch spektakulärer der 2015er Nuits-St-Georges „Aux Boudots“ von Méo-Camuzet, der nördlichste 1er Cru der Appellation, was der Feinheit des Weins in einem warmen Jahr wie 2015 natürlich zugute kommt: viel Brombeere, etwas Gummiabrieb, ein Hauch Minze, leicht harzig – sehr komplett.  Die Herzen schlagen höher, der Puls steigt. Vergärung ohne Temperaturkontrolle mit Gärspitzen bei 33°C – riskant, aber in diesem Fall gelungen. Méo – das ist der Maybach unter den Burgunder Weinen. Die 199 Euro, die die Flasche kostet (wenn man sie bekommt), sind gut angelegt (www.koelner-weinkeller.de). Die Reben dieses Cru wurden übrigens 1951 gepflanzt.

Olivier Bernsteins Bonnes Mares: ein Gigant

Ganz großes Burgunderkino war der 2010er Bonnes Mares Grand Cru von Olivier Bernstein, ein Mikro-Négoçiant aus Beaune mit knapp zwei Dutzend Weinen, darunter mehrere Grand Crus. Für Olivier (der übrigens gepflegt Deutsch spricht) ist der Bonnes Mares ein „schwieriger Wein“: in seiner Jugend stürmisch, üppig, zum Beißen, mit den Jahren jedoch delikat und fein. Der 2010er liegt derzeit irgendwo dazwischen: Sandelholz, Vanille, Kokos, Rosen- und Lilienduft – ein Gigant. Oder um eine für Burgunder gängige Metapher zu verwenden: ein gotischer Dom. Übrigens wurde der Wein in diesem Jahr zu 50 Prozent mit Stielen vergoren. Ich habe ihn bei der Sansibar auf Sylt gefunden, für 390 Euro pro Flasche.

Chakra: Argentiniens Interpretation eines Pinot Noir

Diesen Ikonen etwas entgegen zu setzen, das ähnlich viel Charakter, Eleganz, Feinheit hat, ist schwer. Eigentlich soll man es gar nicht versuchen. Pinot Noirs anderer Herkünfte, so wird gesagt, soll man nicht neben französischen Burgundern trinken. Aber jeder tut es, auch die, die immer gerne an diese Regel erinnern. Zu ihnen gehört auch Piero Incisa della Rochetta, ein Enkel des Gründers des italienischen Sassicaia-Weinguts. Er macht in Argentinien Wein, und der kühle Süden des Landes, konkret: Patagonien, ist eines der spannendsten Pinot Noir-Anbaugebiete außerhalb Europas geworden. Aus seinem Weingut Chakra kam 2018 ein Wein, der bei dem US-Weinkritiker James Suckling mit 100 Punkten auf Platz 1 der Bestenliste des Jahres 2020 landete. Es handelte sich um den 2018er Pinot Noir „Treinta Y Dos“. Der Wein heißt so, weil er von Rebstöcken stammt, die im Jahre 1932 gepflanzt wurden.

Wir hatten in Köln den 2016er „Treinta Y Dos“ im Glas: ein feiner, an getrocknete Früchte, Paprikagewürz und schwarzen Pfeffer erinnernder Wein, zartfruchtig, tiefgründig, tanninreich – die argentinische Interpretation eines Pinot Noir. Ein spezieller Wein, ganz anders als die französischen Prototypen, mit ganz eigenem Charakter. Dass 20 000 Kilometer vom Burgund entfernt auf Höhe der Falkland-Inseln ein zartfruchtig-verspielter Wein wächst wie in seiner französischen Heimat, kann nicht erwartet werden, zumal die Weinparzellen in Argentinien wegen minimaler Niederschläge (150 Millimeter pro Jahr) künstlich bewässert werden müssen. Dafür sind die Chakra-Weine auch nicht ganz so kostspielig wie die Pinot Noirs der Alten Welt (99 Euro, www.alpina-wein.de). 

Dry River aus Neuseeland: Vor Kraft berstend

Eine andere Destination auf der südlichen Erdhalbkugel, die sich ebenfalls einen Namen als Pinot Noir-Anbaugebiet gemacht hat, ist Neuseeland. Auf der kühlen Südinsel wachsen zartfruchtige Weine mit knackiger, purer Frucht, die das haben, was Pinot-Liebhaber an diesen Weinen so mögen: Purheit, frische Säure, beerige Süße. Unter den vielen hervorragenden Pinot Noirs des Landes habe ich den Topwein des Kultweinguts Dry River ausgewählt, das in Martinborough liegt, im tageswarmen und nachtkühlen Süden der Nordinsel. Dry River erzeugt einen der besten Neue Welt-Pinot Noirs, die ich kenne: fruit driven mit viel Cassis, Maulbeeren und dunklen Kirschen, dazu schwarze Oliven und ein Hauch von Weihnachtsgewürzen. Klingt phantastisch und ist es auch. Aber die Leichtigkeit eines Burgunders hat der Wein nicht. Er ist konzentriert, dicht, mundfüllend, tanninreich, birst vor Kraft und benötigt unbedingt ein großes Glas (89 Euro bei www.jm-weinshop.de). 

Gantenbein: Schweizer Pinot Noir im Burgunder Stil 

Um die verbotenen Vergleiche noch schiefer zu machen, hatten wir schließlich auch noch einen Schweizer Pinot Noir in die Probe eingebaut: den von Martha und Daniel Gantenbein. Dieser Wein ist einer der hochgelobtesten Pinots außerhalb des Burgunds, schwer zu bekommen, weil immer schnell ausverkauft, hochpreisig (180 Euro, www.jm-weinshop.de). Die Gantenbeins kennen das Burgund und französische Burgunder genauestens. Sie sind mit den Top-Erzeugern bestens vernetzt. In ihrem Privatkeller befinden sich mehr französische als eigene Pinots. Der 2011er, den wir tranken, war schon relativ weit entwickelt. Dennoch baut er keineswegs nur auf Harmonie auf. Er besaß Spannung, setzte Akzente und Kontrapunkte. Wer ihn nicht kennt, mag überrascht sein von der stilistischen Nähe zu den französischen Vorbildern. Aber die Bündner Herrschaft, wo sich die Weinberge der Gantenbeins befinden, liegt gerade mal 300 Kilometer Luftlinie vom Burgund entfernt. Und die stilistischen Parallelen sind gewollt.

Sonoma Coast – die cool climate-Nische © Kistler Vineyards

Kistlers Sonoma Coast-Pinot Noir: best wine of show

Und dann war da noch Steve Kistler. Für internationale Weinkenner ist der Amerikaner eine Institution, anfänglich vor allem für Chardonnay, seit 2001 auch für Pinot Noir. Seine Reben wachsen in unmittelbarer Nähe des Pazifiks bei Bodega Bay, wo die kalten Nebel vom Ozean in der zweiten Tageshälfte den blauen Himmel regelmäßig verhüllen und die Temperaturen drastisch fallen lassen. Sonoma Coast, wie das Anbaugebiet heißt, ist Kaliforniens berühmteste cool climate-Nische. Sie ist ideal für Pinot Noir, die dort puristische, fast karge, aber gleichzeitig ungemein ausdrucksstarke Weine ergibt. Ich hatte das Glück, ein paar Flaschen von Kistlers 2009er Sonoma Coast Pinot Noir vor einem Jahr bei einer Auktion zu ersteigern, und habe es nicht bereut, einen hohen Preis dafür bezahlt zu haben (89 Euro jüngster Jahrgang, www.bremer-weinkolleg.de). Der 2009er befand sich jetzt in perfekter Trinkreife: blau-violett in der Farbe, Duft von Veilchen und grünen Tomaten, am Gaumen samtig mit Aromen von reifer, süsser Beerenfrucht und rauchiger Mineralik: best wine of show. Gearbeitet wird bei Kistler genauso skrupulös wie im Burgund: parzellenweise Nachtlese von Hand, und zwar so früh wie möglich, um die Säure zu erhalten und Überreife zu vermeiden, Spontanvergärung (wobei ein Drittel der Trauben mit Stielen vergoren wird), wenig Umwälzen der Maische, keine Schönung, keine Filterung, Reduktion des Neuholzanteils auf 30 Prozent. 

„Grauwacke“ von Meyer-Näkel: Ein deutscher Village-Burgunder 

Was die deutschen Spätburgunder angeht: Es gibt viele Weine, die sich potenziell mit den großen Pinots Noirs der Welt messen können. Aber die jeweiligen Mengen sind noch kleiner als im Burgund selbst, die Abgabe entsprechend limitiert. Der erste Spätburgunder, den wir probierten, kam von der Ahr: der 2019er „Grauwacke“ von Meyer-Näkel. Ein Ortswein, der natürlich nicht in derselben Liga spielt wie die vorher besprochenen Pinot Noirs, auch preislich nicht (19,80 Euro, www.meyer-naekel.de). Er besitzt nicht deren Komplexität, liegt mehr auf der fruchtigen Seite, gehört aber in seiner Kategorie zu den besten des Jahrgangs 2019. Was ein Land bieten kann, zeigt sich eben nicht nur an den Spitzengewächsen, sondern auch an der Basisweinen und am Mittelbau. Mit den burgundischen Village-Weinen befindet sich dieser Ortswein trotz des etwas raueren Tannins durchaus auf Augenhöhe. 

Jülg: Samtig und hochelegant

Der nächste Spätburgunder, den wir probierten, war das 2019er GG vom Schweigener „Sonnenberg“ aus dem südpfälzischen Weingut Jülg, ein Wein, der von mehreren deutschen Kritikern zu den Top 10 des Jahrgangs gezählt wird. Er fasziniert mit seiner Aromentiefe, der samtigen Textur, der Spannung zwischen vegetabilen Rote Bete-Noten und warmer, beeriger Pinot-Süße. Zusammengefasst: ein hocheleganter, geschliffener, gleichzeitig kraftvoller Wein (35 Euro, www.pinard.de). Auch wenn er jetzt schon gut antrinkbar ist, würde ich raten, ihn fünf Jahre beiseite legen. Die Trauben für ihn  wachsen oberhalb von Wissembourg im Elsass, dürfen aber auf Grund einer Sondergenehmigung zu deutschem Qualitätswein verarbeitet werden. Nur die Kleinlage – in diesem Fall Kostert – darf auf dem Etikett nicht genannt werden. Dort stehen nur die kryptischen Buchstaben K.T. (35 Euro, www.pinard.de).

„Bürgel“ von Klaus-Peter Keller: Spätburgunder der neuen Generation

Von Klaus-Peter Keller hatten wir dann das GG vom „Bürgel“ aus dem rheinhessischen Dalsheim im Glas, ebenfalls Jahrgang 2019. Ein Wein, der im VINUM-Weinguide 93 Punkte, bei Parker sogar 96+ Punkte bekommen hat, Die Lage „Bürgel“ ist kühler als Jülgs „Sonnenberg“, der Wein deshalb etwas schmaler angelegt. Man könnte auch sagen: monothematischer. Aber das Thema, dem sich der Wein widmet (für den übrigens Sohn Felix verantwortlich zeichnet), ist hochkomplex und schließt, neben der Frucht, gleich eine ganze Serie von raffinierten Würzaromen ein, die von Rosenpaprika über Zimt, Sandelholz, Curry bis zu rohem Fleisch reicht. Auch wenn in der Betriebshierarchie noch zwei Spätburgunder über ihm stehen, ist der „Bürgel“ eines der Gewächse der neuen Generation, die für ihre Eleganz und Transparenz auf Fülle und Opulenz verzichten. Wer nicht auf der Kundenliste des Weinguts steht, muss für ihn mindestens 99 Euro hinblättern (www.riesling-und-co.de) – und froh sein, wenn er ein Fläschlein zugestanden bekommt.

„Centgrafenberg“ von Fürst: Packend und hedonistisch

Der strahlende Sieger in der Fraktion der deutschen Spätburgunder war das GG vom „Centrafenberg“ aus dem Bürgstadter Weingut Rudolf Fürst – ein alter Bekannter, wenn es um die Top 10 der deutschen Burgunder geht. Leicht jodig in der Nase mit minzigen und graphitischen Anklängen, ist dieser Wein bei aller Vornehmheit packend, dramatisch, hedonistisch. Allerdings war es der 2015er, den wir tranken: ein warmer Jahrgang, der sich jetzt schon offen präsentiert und dadurch einen Vorteil gegenüber den noch jungen 2019er hat. Mit knapp 70 Euro ist der Wein nach hiesigen Maßstäben teuer, im internationalen Vergleich dagegen relativ preiswert. Parkers Tester Stephan Reinhardt hat geschrieben: „Franken ist das neue Burgund.“ Dem stimme ich nicht zu. Fürst ist ein Solitär in Franken.

Wo Deutschland einzuordnen ist

Natürlich hätte man den internationalen Pinot Noirs auch andere deutsche Spätburgunder gegenüber stellen können: Christmanns “Idig” und „Bienberg“, Fritz Beckers „Heydenreich“, Rings „Felsenberg“, Hubers „Wildenstein“, Salweys „Kirchberg“, Franz Kellers „Eichberg“ oder Ziereisens „Jaspis“. Doch wie schon oben erwähnt, sind all diese Weine knapp und für den, der kurzfristig kaufen muß, schwer zu bekommen. Auch von der Ahr und aus Württemberg gäbe es noch einige Kaliber, die zeigen könnten, dass auch Deutschland in Sachen Pinot Noir international mitspielen kann. Allerdings würde ich mich zu dem Satz bekennen: Wenn die französischen Burgunder gut sind, dann sind sie unübertrefflich.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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