Auf der ProWein nachts um halb eins

ProWein 2012 | Foto: ProWein/Tillmann
Die Weinmesse ProWein ist letzte Woche in Düsseldorf zu Ende gegangen. Auf dem wichtigsten Weintreff des Jahres wird nicht nur getrunken, sondern auch gefeiert. Jens Priewe hat sie überstanden. Sein Nachbericht ist etwas lang geraten. Aber so waren auch die Nächte.

Punkt 18 Uhr tau­chen die ers­ten Auf­räum­kom­man­dos auf. Sie win­den den Gäs­ten die Glä­ser aus der Hand und machen wort­los klar, dass nun Schluss ist. Aber die Mes­se ist des­we­gen nicht zu Ende. Zwar gehen bald die Lich­ter aus. Aber in Wirk­lich­keit ist es erst Halb­zeit. Der zwei­te Teil des Mes­se­mat­ches fin­det in der Stadt statt. Er dau­ert bis Mit­ter­nacht, min­des­tens, und es gibt Stim­men, die behaup­ten, die zwei­te Halb­zeit sei die wich­ti­ge­re. Da trifft man sich bei Schorn oder Ber­ens am Kai, bei Tan­te Anna oder im Mal­kas­ten, im Inn­si­de oder im Monkey’s South, um zu quat­schen und zu fei­ern, abzu­la­chen und abzu­tan­zen. Net­wor­king mit zwi­schen­mensch­li­cher Kom­po­nen­te. Wein wird in der zwei­ten Halb­zeit nicht mehr pro­biert. Er wird getrunken.

Nach der Messe aufs Schiff

Prowein 2012: Neuer Besucherrekord | Foto: ProWein/TillmannAls ich um 18 Uhr die Mes­se ver­las­se, stol­pe­re ich zunächst an Bord der MS River Dream, die ein paar hun­dert Meter vor der Mes­se­hal­le vor Anker liegt. Den Aus­flug­damp­fer hat der Stutt­gar­ter Wein­im­por­teur Die­ter Fischer gemie­tet. Dort prä­sen­tiert er sein ita­lie­ni­sches Wein­sor­ti­ment. Das heißt: nicht er, son­dern die Ita­lie­ner selbst, von denen sich eini­ge auf den schwan­ken­den Boden nicht son­der­lich wohl füh­len und lie­ber den Schet­ti­no gemacht hät­ten. Das Schick­sal der Cos­ta Con­cor­dia steckt ihnen noch in den Kno­chen. Immer wie­der fra­gen sie, ob das Schiff auch sicher ange­täut sei und nicht ken­tern kön­ne. Eini­ge Wei­ne sind so gut, dass ich sie nicht spu­cken möch­te. Ein Feh­ler. Die Rück­kehr an Land über die regen­nas­se Gang­way ist ein Balanceakt.

Nächs­te Sta­ti­on: Brei­den­ba­cher Hof, wo ein Abend­essen anbe­raumt ist. Wir trin­ken Leo Alz­in­gers Stei­ner­tal Sma­ragd und Bern­hard Hubers Gro­ßes Gewächs vom Spät­bur­gun­der aus der Bom­ba­cher Som­mer­hal­de. Spu­cken ziemt sich nicht in so einem Ambi­en­te, bei die­sen Wei­nen schon gar nicht. So sind, als ich mich gegen 23 Uhr aus dem Ses­sel erhe­be, die Zäh­ne blau und die Bei­ne schwer.

Um 23 Uhr zur nächsten Party

Rein ins Taxi zur nächs­ten Par­ty. Irgend­wo in der Stadt, ich weiß nicht wo, fei­ern die Gesell­mann, Ott, Hirsch, Glat­zer und der Rei­set­bau­er. Wenn Öster­rei­cher außer­halb der Lan­des­gren­zen auf­ein­an­der­tref­fen, lie­gen sie sich – anders als die Deut­schen – vor Begeis­te­rung in den Armen: „Jo, gibt’s denn dös?“ Man trinkt Blu Gin oder Grü­ner (nicht Tee, son­dern Velt­li­ner). Ein paar Alpen­veil­chen sind auch dabei. So hei­ßen die Deut­schen aus der süd­deut­schen Ösi-Fraktion. Weil sie Jan­ker tra­gen und das ver­trau­te Du pfle­gen, wer­den sie genau­so geherzt wie die eige­nen Lands­leu­te. „Darf ich Sie küs­sen?“, fragt mich, obwohl ich kei­nen Jan­ker tra­ge, eine unbe­kann­te Brü­net­te. Natür­lich. Ich hal­te die Wan­ge hin.

Um ein Uhr morgens noch Romanée-Conti

ProWein 2012: Spanische Prickler | Foto: ProWein/TillmannGegen halb eins ist dann Schluss, zumin­dest für mich. Müde, aber auf­rech­ten Gangs suche ich mir ein Taxi, um zu mei­ner Schlaf­statt zu fah­ren. Sie liegt in der Düs­sel­dor­fer Alt­stadt. Ich logie­re bei Freun­den. Die Freun­de haben selbst gefei­ert und freu­en sich, dass ich schon so früh kom­me. Von rechts gießt mir jemand den letz­ten Schluck Pal­mer 1990 ins Glas. Links sehe ich, wie der Gast­ge­ber eine Fla­sche der Domaine Romanée-Conti mit Pap­pe zu umman­teln ver­sucht, um eine Blind­pro­be zu machen. Der Kor­ken, der auf dem Tisch liegt, ver­rät: Es ist ein 1985er La Tâche. Ich pro­tes­tie­re. Es sei zu spät und so. Hilft glück­li­cher­wei­se nichts. Der Wein ist so geni­al, dass ein Schluck genügt, um mich aus dem Koma zurück ins Leben zu holen. Zum Spu­cken fehlt mir der Wil­le und ein Napf. Danach kommt noch  der 1983er La Tâche. Den Schluss­punkt setzt dann eine Aspi­rin plus. Es ist mitt­ler­wei­le drei.

Am nächs­ten Mor­gen um 10 ste­he ich wie­der auf der Mes­se. „Wie geht’s?“, fragt Gior­gio Gior­gi, der mir als ers­ter über den Weg läuft. „Etwas kaputt“, ant­wor­te ich. Der lang­jäh­ri­ge Frescobaldi-Repräsentant für Deutsch­land winkt ab: „Macht nichts. Motor kaputt, Auto läuft weiter.“

Angelo Gaja: Was soll ich eigentlich in Düsseldorf?

ProWein 2012: Billigwein immer noch der Renner | Foto: ProWein/TillmannZum fach­li­chen Teil. Über 40.000 Besu­cher haben die Pro­Wein an drei Tagen besucht. Neu­er Rekord. Doch wich­ti­ger ist, dass die Stim­mung bes­ser war als im letz­ten Jahr. Und da war sie schon gut. Der durch­schnitt­li­che Preis eines im deut­schen Lebens­mit­tel­han­del gekauf­ten Weins ist auf 2,63 Euro pro Fla­sche gestie­gen, hat die Gesell­schaft für Kon­sum­for­schung (GfK) am Tag vor der Mes­se­er­öff­nung mit­ge­teilt. Ein gutes Zei­chen. Win­zer und Händ­ler rei­ben sich die Hän­de. Nur Ange­lo Gaja, der bei dem Abend­essen im Brei­den­ba­cher Hof dabei war, reagiert erschro­cken, als er das hört: „Was soll ich eigent­lich hier in Düs­sel­dorf?“ Sein frü­he­rer Export­ma­na­ger Wil­li Klin­ger, jetzt Chef der Öster­rei­chi­schen Wein­mar­ke­ting­ge­sell­schaft, beru­higt ihn: „Dei­ne Wei­ne wer­den nicht im Lebens­mit­tel­han­del angeboten…“

Auch Bru­no Pail­lard, der Champagner-König, hät­te ange­sichts der 2,63 Euro zu Hau­se blei­ben kön­nen. Sein Blanc de Blancs kos­tet um die 70 Euro pro Fla­sche. Trotz­dem hat er ange­kün­digt, per­sön­lich nach Düs­sel­dorf zu kom­men und ein paar alte Jahrgangs-Champagner auf­zu­zie­hen. Sofort bil­det sich eine Trau­be um sei­nen klei­nen Stand. Jeder möch­te einen Schluck 1999er, 1996er, 1995er abkrie­gen. Wer immer nur mit 2,63-Euro-Weinen zu hat, ist für eine Abwechs­lung dankbar.

Gedämpfte Stimmung bei den Franzosen

ProWein 2012: Stimmung besser als im letzten Jahr | Foto: ProWein/TillmannAnsons­ten ist die Stim­mung in Hal­le 5, in der die Fran­zo­sen unter­ge­bracht sind, gedämpft. Elsass, Chab­lis, Côtes-du-Rhône, Beau­jo­lais, Ber­ge­rac, Sud-Ouest – alles kei­ne Mode-Regionen. Ent­spre­chend gelang­weilt hocken die Fran­zo­sen in ihren Kojen und har­ren der Din­ge. Gro­ßes Gedrän­ge dage­gen im Saal, in dem die Châ­teaux der Uni­on des Grands Crus de Bor­deaux ihre 2009er vor­stel­len. Ein magi­scher Jahr­gang, von dem Par­ker sagt hat­te, dass er seit dem 1982er kei­nen bes­se­ren getrun­ken habe. Ich ent­de­cke Ste­phan Neip­perg von Canon-La-Gaffelière in Gedan­ken ver­tieft auf einem Hocker sit­zend. Statt über den 2009er unter­hal­ten wir uns über den 2011er und ande­res. Neip­perg sagt: „Ich fin­de ihn ganz inter­es­sant.“ Aller­dings meint er den Lem­ber­ger, den sein Bru­der Eugen in Würt­tem­berg macht und von dem er mir vor­her erzählt hat.

Spanien für 1,35 Euro

Neben­an bei den Spa­ni­ern schwillt der Geräusch­pe­gel deut­lich an. Spa­ni­en ver­zeich­net seit Jah­ren gro­ße Zuwäch­se im deut­schen Markt. Von den teu­ren Ribei­ras, Prio­ra­tos, Toros pfei­fen sich Leu­te, die mit Anzug, Kra­wat­te und Map­pe unter dem Arm wie seriö­ses Order­pu­bli­kum aus­se­hen, ein Glas nach dem ande­ren rein. In Wirk­lich­keit suchen vie­le hier nur den Ver­de­jo für 1,35 Euro oder den Gar­nacha Rosé für 1,40 Euro. „Die kann ich für 5,70 Euro palet­ten­wei­se ver­kau­fen“, ver­rät mir arg­los einer, der sich als Fach­händ­ler aus Baden-Württemberg vor­stellt. „Abzo­cke der Kun­den“, rutscht es mir raus. „Nun las­sen sie uns doch auch mal ein biss­chen Geld ver­die­nen“, blafft er zurück. Sei­nen Namen will ich ver­schwei­gen. Aber die Visi­ten­kar­te wies unter der Fir­mie­rung den Zusatz „Exklu­si­ve Wei­ne“ auf.

Die Grie­chen sind in vol­ler Mann­schafts­stär­ke zur Pro­Wein gekom­men. Gut, dass sie ihre Wei­ne in Euro, nicht in Drach­men anbie­ten müs­sen. Bul­ga­ri­en, Ungarn, Kroa­ti­en, Slo­we­ni­en, Geor­gi­en zie­hen erstaun­lich vie­le Neu­gie­ri­ge an. Auch die Übersee-Nationen. Die Bra­si­lia­ner wer­den spä­ter sogar von der Pro­Wein als einem „gran­dio­sen Erfolg“ sprechen.

Drei Visitenkarten – Ausbeute eines Tages

Natür­lich ist das alles nicht zu ver­glei­chen mit den Ita­lie­nern, die auf der Pro­Wein all­ge­gen­wär­tig sind. Ein Pro­du­zent aus dem Vene­to zeigt tri­um­phie­rend die Visi­ten­kar­ten von drei Inter­es­sen­ten her, die er heu­te bekom­men hat: die Aus­beu­te von neun Stun­den Aus­har­ren. Ansons­ten ist Bru­nel­lo wie­der gefragt wie vor zehn Jah­ren. Auch der Ama­ro­ne ist im Kom­men. Das Inter­es­se am Baro­lo scheint dage­gen noch zöger­lich zu sein. Zu unter­schied­lich sind die Qua­li­tä­ten der ver­schie­de­nen Erzeu­ger. Der gro­ße Sizilien-Hype ist vor­bei, obwohl eini­ge der bes­ten Pro­du­zen­ten noch gar nicht ent­deckt sind. Umso mehr gesucht ist Apu­li­en. Dort fin­det sich in Ita­li­en am ehes­ten noch jene 1,40 Euro-Ware, die die Händ­ler glück­lich macht.

War­um er kei­ne apu­li­schen Wei­ne im Ange­bot habe, fra­ge ich einen beken­nend italo­pho­ben Händ­ler aus Nordrhein-Westfalen. „Alles gefälscht“, erklärt er mir. Und war­um kei­ne sizi­lia­ni­schen Wein­gü­ter? „Alles Geld­wasch­an­la­gen.“ Das Ita­li­en­bild man­cher Deut­schen scheint immer noch von jenem Titel­bild des SPIEGEL geprägt, das vor 40 Jah­ren einen Tel­ler Spa­ghet­ti mit Revol­ver zeigte.

Der höchs­te Lärm­pe­gel herrscht bei den Öster­rei­chern. Das liegt dar­an, dass die Hal­le 7 dicht bevöl­kert und rela­tiv klein ist – wie das Land. Doch was Öster­rei­cher an Wein mit­ge­bracht haben, ist aller Ehren wert. Vor allem die 2011er Weiß­wei­ne sind herr­lich. Ich pro­bie­re stich­pro­ben­haft die Sma­rag­de von Högl und den Leit­ha­berg von Toni Hartl. Mehr sag ich nicht. Der Rest ist mein Geheimnis.

Deutschland ist unüberhörbar

Und Deutsch­land? Unüber­seh­bar. Wie die Pfalz und der Badi­sche Win­zer­kel­ler sich prä­sen­tie­ren – das sind kei­ne Mes­se­stän­de mehr, das sind Büh­nen­bil­der. Unüber­hör­bar sind die Deut­schen auch. Die Laut­stär­ke erzeu­gen nicht nur mit­tei­lungs­freu­di­ge jun­ge Leu­te, die sich magisch ange­zo­gen füh­len von Ries­ling & Co. Auch die Lautsprecher-verstärkten Vor­trä­ge, Dis­kus­sio­nen, geführ­te Wein­pro­ben sor­gen dafür, dass die Beschal­lung jeder­zeit auf hohem Niveau gewähr­leis­tet ist. Unplug­ged ist hier nichts. Ein­mal Sommelier-Stars wie Tho­mas Som­mer über rhein­hes­si­sche Weiß- und Grau­bur­gun­der reden hören oder Hen­drik Tho­ma beim Pfäl­zer Barrique-Forum zu erle­ben – das ist für sie ein Erlebnis.

Im Laby­rinth der VDP-Güter herrscht spä­tes­tens am Nach­mit­tag nur noch Stopp and Go. Die Gro­ßen Gewäch­se zu pro­bie­ren, das macht auch Eng- und Nie­der­län­dern Spaß, von den Nor­we­gern und Schwe­den ganz zu schwei­gen, die mitt­ler­wei­le die bes­ten Kun­den deut­scher Wei­ne gewor­den sind.

Stopp & Go in der Deutschlandhalle

Selbst in Öster­reich inter­es­siert man sich, obwohl mit Ries­ling gut geseg­net, für das, was die Deut­schen aus die­ser Sor­te machen. Ich lau­fe in dem Gedrän­ge Man­fred Tement und F.X. Pich­ler in die Arme. Letz­te­rer hat­te zwei Tage vor­her im Schloss Bens­berg vom FEINSCHMECKER den Wein Award für sein Lebens­werk bekom­men. Die Mode­ra­to­rin Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger hat­te ihn auf der Büh­ne gefragt: „Man sagt, Sie sei­en wort­karg, Herr Pich­ler.“ Dar­auf Pich­ler: „Das ist rich­tig.“ Als sich unse­re Wege kreu­zen, hat er immer­hin ein paar Wor­te mehr parat. Es sei groß­ar­tig, was er hier gekos­tet habe, sagt er. Und fügt sogar noch ein Wort hin­zu: Teilweise.

Die deut­sche Hal­le war übri­gens die ein­zi­ge, die auch nach dem Schluss­pfiff noch voll war, obgleich die Glä­ser längst ein­ge­sam­melt waren. Am Stand von Mes­sa­ge in a Bot­t­le ertön­te lau­te Rock­mu­sik, dazu gab es Frei­bier. Glä­ser wur­den nicht benö­tigt. Man trank aus der Flasche.

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