Website-Icon Weinkenner.de

Andrea Franchetti: Winzer im eigenen Weinkosmos

Andrea Franchetti verstarb am 06. Dezember 2021.

Vor einer Woche, in den Morgenstunden des 6. Dezember 2021, ist einer der besten, zugleich ungewöhnlichsten Winzer Italiens gestorben: Andrea Franchetti. Er wurde 72 Jahre alt und hinterlässt zwei Weingüter: die Tenuta di Trinoro in der Toskana und Passopisciaro am Ätna in Sizilien. Die Weine beider Weingüter, so verschieden sie sind, haben ihm eine weltweite  Bekanntheit und eine große Fangemeinde verschafft, vor allem in den USA und Frankreich, aber auch in Deutschland. Mit riesigem Aufwand und höchster Präzision erzeugte er Weine, die nicht einfach nur gut, sondern spannend, ja: spektakulär sind. Wenn sie beim breiten Publikum wenig bekannt sind, so liegt das nur daran, dass es von ihnen nur sehr begrenzte Mengen gibt und dass sie nicht ganz billig sind. Die Spitzenweine vom Ätna kosten über 50, der Trinoro über 250 Euro.

Reben bei Trinoro.

Cabernet franc wurde für ihn zur Schlüsselsorte

Franchettis Weine passen in keine Schublade. In Italien, das seine Traditionen ebenso stolz wie (oft auch) unkritisch vor sich her trägt, sind sie Solitäre. Sie knüpfen an keine Tradition an. In seinem toskanischen Weingut pflanzte er nie Sangiovese, sondern Cabernet Sauvignon, Merlot, Petit Verdot. Er war von der Überlegenheit französischer Sorten überzeugt. Aus diesen Sorten waren die ersten Jahrgänge seines Trinoro komponiert. Bei den italienischen Weinkritikern fielen die Weine durch oder wurden ignoriert. Das anspruchsvolle Publikum hingegen liebte sie vom ersten Jahrgang an. Sie sind opulent, hochkonzentriert, hedonistisch, schon früh relativ zugänglich, bleiben aber über Jahre hinaus frisch. Mittlerweile hat Franchetti einen Großteil des Cabernet Sauvignon durch Cabernet franc ersetzt. Sie wurde für ihn zur Schlüsselsorte. In den letzten beiden Jahrgängen 2018 und 2019 hat sie die Cabernet Sauvignon  und die Petit Verdot ganz verdrängt und den Trinoro mit ihrer Pikanz und ihrer Frische noch einmal kräftig aufgewertet. Robert Parkers Wine Advocate vergab 100 Punkte für den 2019er und 98+ Punkte für den 2018er.

Rosa Kuppel von Franchettis Kate in der Toskana.

Große Liebe zu Bordeaux

Die Wertschätzung der Cabernet franc hatte mit Franchettis Liebe zu Bordeaux zu tun, speziell zu den Weinen aus Saint Emilion. Sie war aber auch eine Reaktion auf die steigenden Temperaturen. Schon Mitte der 1990er Jahre hatte Franchetti begonnen, drei bis zu 600 Meter hoch gelegene Parzellen seines Besitzes mit Cabernet franc zu bestocken. 2014 füllte er erstmals drei sortenreine Cabernet franc-Weine dieser Lagen ab (Campo di Magnacosta, Campo di Tenaglia, Campo di Camagi). Inzwischen werden diese drei fast so hoch bewertet wie der Trinoro.

Die Familie hatte mit Wein nichts zu tun

Franchetti war ein ungewöhnlicher Mensch: hochgewachsen, asketisch wirkend, sehr zurückgenommen (was ihm manche als Schroffheit auslegten), fast scheu. Gänzlich unitalienisch jedenfalls. Er besaß eine amerikanische Mutter und einen italienischen Vaters mit jüdischen Wurzeln. Sein Urgroßvater war Händler, Bankier und Großgrundbesitzer. Ihm gehörte beispielsweise die berühmte Casa d’Oro am Canale Grande in Venedig, die unter seiner Regie damals aufwendig restauriert wurde. Sein Vater war Alpinist, Kunstsammler und Betreiber der ersten Gondelbahn in Cortina d’Ampezzo. Wein spielte in der Familie keine besondere Rolle. Franchetti wuchs in Rom bei der Mutter auf, umgeben von Künstlern und Intellektuellen. Er beschrieb sich als introvertriert und gab zu, lange Zeit mit sich gehadert zu haben.

Weingut Passopisciaro am Ätna.

Die Idee: einen Super-Super Tuscan zu erzeugen

Nach der Schulzeit begann er die Welt zu bereisen in der Hoffnung, dabei irgendwelche Talente in sich zu entdecken. Danach lebte er mehrere Jahre in New York, wo er erfolgreich italienische Spitzenweine an Top-Restaurants verkaufte – zu obszön hohen Preisen, wie er mir selbst erzählte. Reich wurde er damit dennoch nicht, aber ein erster Bezug zu Wein war hergestellt. Nachdem er wieder nach Italien zurückehrt war, verkaufte er ein Bild des berühmten amerikanischen Malers Cy Twombly, das ihm ein Onkel vererbt hatte. Mit dem Erlös erwarb er im menschenleersten Teil der Toskana an der Grenze zu Latium 200 Hektar Wald und Weideland samt einer verfallenen Kate, die hoch an einem Hang völlig isoliert  inmitten wilder mediterraner Macchia lag. Über einen Teil des Gemäuers wölbte eine halbrunde Kuppel – Indiz dafür, dass sich dort früher eine Kapelle befand. Dorthin zog Franchetti sich zurück, um sich, umgeben von Wildschweinen und giftigen Vipern, auszuprobieren und nachzudenken. Er schlief auf einer Matratze auf dem Boden und lebte die erste Zeit nur aus dem Koffer. Irgendwann fiel ihm ein, dass noch niemand versucht hatte, in dieser einsamen, weitab aller bekannten Appellationen liegenden Gegend Wein zu machen. Er entschloss sich, nach Bordeaux zu reisen und auf mehreren Châteaux zu arbeiten, um das Handwerk zu lernen. Anfang der 1990er Jahre pflanzte er schließlich die ersten Reben in der Toskana: im Dichtstand mit 10.000 Stöcken pro Hektar, so wie er es in Frankreich gesehen hatte. Die Setzlinge hatte er aus Bordeaux mitgebracht. Jean-Luc Thunevin von Chateau Valandraud war sein wichtigster Lehrmeister und Ratgeber. Die Idee, die er sich in den Kopf gesetzt hatte: einen Super-Super Tuscan zu erzeugen. Der Grundstein der Tenuta di Trinoro war gelegt.

Illustre Personen zu Gast

Heute stehen auf Trinoro 22 Hektar unter Reben. Die Kate, in der er damals hauste, ist in einen bewohnbaren Zustand versetzt, aber immer noch schmucklos und spartanisch eingerichtet. Nur die Kuppel ist markant pink gestrichen. Der Weg hinauf zu ihr ist nach wie vor unbefestigt und führt durch einen kleinen Bach. Über ihn kommt man trockenen Fußes nur im Schlusssprung oder, wenn das Rinnsal im Sommer wegen Trockenheit kein Wasser führt. Die Küche der Kate besteht aus alten Bauernmöbeln. Die Regale biegen sich unter dem Gewicht Dutzender Einmachgläser, gefüllt mit Tomaten, Paprika, Quitten und anderen Gemüsen, die aus dem eigenen Garten stammen. Wasser kommt aus der eigenen Quelle. Kommunales Wasser wollte Franchetti sich und den Gästen, die er zu sich einlud, nicht zumuten. Trust yourself only, pflegte er zu sagen. Zu den Gästen gehörten viele illustre Personen, die dem Charisma seiner Weine erlegen waren. Aus Deutschland zum Beispiel Otto Schily, Peer Steinbrück, Christine Lagarde. Sie wurden vom Hausherrn mit einem alten Rover nach oben chauffiert.

Bevor er seine Weine einschenkte, servierte er Riesling

Auch ich war mehrfach zu Gast bei Franchetti. Zu meinen Ehren servierte er einmal einen Riesling von Dr. Loosen, bevor wir uns seinen eigenen Weinen zuwandten. Ein peruanisches Ehepaar bereitete derweil frittierte Artischocken und eine Lammschulter zu. Abends vor dem Kamin erzählte er mir, wie er in jungen Jahren mit dem Fahrrad und per Anhalter durch Afghanistan gereist sei und seine Reisekasse mit Reiseberichten aufbesserte, die er an eine italienische Zeitung verkaufte. Dass er in New York mit dem Weinverkauf nicht reich geworden sein, erklärte er damit, dass er mehr Spesen als Umsatz machte. Und er sagte auch, dass es eigentlich gar nicht sein Plan gewesen sei, Wein zu machen. Romane zu schreiben, das war sein Wunsch – ein Wunsch, der unerfüllt blieb, weil sein Talent zum Weinmachen einfach zu groß war.

Franchettis Weine sind erhältlich bei folgenden Weinhändlern: www.superiore.de, www.gute-weine.de, www.ungerweine.de, www.dallmayr-versand.dewww.fischer-trezza.de

Die mobile Version verlassen