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Altes Weingut, neue Ziele: die Tenuta Carretta

Ein Weingut kann, auch wenn es lange Jahre im Dornröschenschlaf gelegen hat, wieder aufwachen. Die Rede ist von der Tenuta Carretta. Ein stattliches, ja herrschaftliches Weingut mit 75 Hektar Weinbergen, einem Boutique-Hotel mit zehn stilvollen Suiten und einem Restaurant („Ristorante 21.9“), dessen Chef Flavio Costa sich einen Michelin-Stern erkocht hat. Nur der Wein hat selten Schlagzeilen gemacht. Er war solide, aber bieder, glanzlos, ohne Esprit. Das Herz höher schlagen ließ er nicht.

Der erste Schritt ist getan: neues Personal

Giovanni Minetti von Tenuta Carretta
Giovanni Minetti

Das soll sich jetzt ändern. Ein neuer Weingutsdirektor ist da. Giovanni Minetti heißt er, und hat vorher das berühmte Barolo-Weingut Fontanafredda geleitet. Nach den notwendigen Aufräumarbeiten kann er jetzt endlich mit einem neuen, jungen Önologenteam durchstarten. „Die Tenuta Carretta hat phantastische Lagen“, sagt er. „Wir können sehr viel mehr daraus machen als in der Vergangenheit. Und wir wollen es.“

Lagenbesitz in den drei Nebbiolo-Anbaugebieten

Die Tenuta Carretta, 1467 erstmals als Wein erzeugende Hofstelle erwähnt und damit älter als jedes andere heute existierende Weingut im Piemont, kam 1985 in den Besitz der Familie Miroglio, der ein großer Textil- und Modekonzern in Alba gehörte. Die Miroglio waren damals der zweitgrößte Arbeitgeber der Stadt und wollten sich angesichts des beginnenden Aufstiegs der piemontesischen Weine mit einem Weingut schmücken. Einem, das mit Lagenbesitz in den drei bedeutendsten Nebbiolo-Anbaugebieten der Region gesegnet war: Barolo, Barbaresco, Roero. Heute ist die Textilproduktion weitgehend nach Bulgarien ausgelagert. Umso hochfliegender sind die Pläne für die Tenuta Carretta.

Die drei Erfolgskriterien im Piemont: Lage, Lage, Lage

Wer sich auskennt im Piemont weiß, dass die Nebbiolo-Traube eine schwierige Sorte ist. Sie kann grandiose Weine ergeben – und sehr bescheidene. Viel hängt von der Art ab, wie sie vinifiziert wird. Bis heute streiten sich die Barolo-Schulen, was die beste Art ist, mit ihr umzugehen. Gleiches gilt für den Barbaresco und den Roero – die beiden anderen Rotweine, die reinsortig aus der Nebbiolo-Traube gewonnen werden. Doch viel entscheidender ist, dass die Nebbiolo in guten Lagen steht. Nur dort wird das Tannin, das sie in reichlicher Menge enthält, reif, und nur dann ergibt die Sorte große Weine. Das Problem ist, dass die Menge der Barolo, Barbaresco und Roero in den letzten Jahren zwar stark gestiegen ist, aber die Top-Lagen nicht zugenommen haben. Daher gibt es immer größere Qualitäts- und Preisunterschiede bei diesen Weinen. Glücklich ist, wer in einer dieser Lagen vertreten ist, oder gar in zweien oder dreien.

Die Lage Cannubi vom Weingut Tenuta Carretta
Rebstöcke vom Weingut Tenuta Carretta in der Lage Cannubi

Der zweite Schritt: Mengenreduktion und Selektion

Die Tenuta Carretta gehört zu diesen Glücklichen. Im Barolo-Anbaugebiet ist sie in der Spitzenlage Cannubi vertreten, aus der einige der allerbesten Weine kommen. In der Barbaresco-Zone besitzt Carretta eine Monopollage: den steilen Cru Garassino in Treiso. Und im Roero, wo das Weingut selbst steht, zählt der Bric Paradiso ebenfalls zu den renommiertesten Lagen des Anbaugebiets. In diesen Lagen kann die spät gelesene Nebbiolo-Traube voll ausreifen, so lange, bis das Tannin weich und süß ist. Das neue, junge Önologenteam, das jetzt das Zepter schwingt, dünnt die Trauben doppelt aus, bevor diese in die Reifephase gehen. Die Selektion der Trauben für die Lagenweine ist strenger, als sie jemals vorher war, alles was nicht optimal ist, geht in den einfachen Nebbiolo d’Alba. Reduktion der Traubenerträge ist bei der Nebbiolo die wichtigste Qualitätsmaßnahme.

Auf die gestiegenen Erwartungen der Konsumenten eingehen

„Der Barolo und die anderen Nebbiolo-Weine haben eine lange, teilweise glorreiche Geschichte“, resümiert Minetti. „Aber die Situation, in der wir heute leben, ist eine andere als früher. Die Winzer wissen heute mehr über die Traube als ihre Kollegen im vorigen Jahrhundert, mehr über die Böden, auf denen sie steht, haben mehr experimentiert als ihre Vorfahren. Und auch die Erwartungen der Konsumenten an einen großen Wein haben sich geändert. Darauf müssen wir reagieren.“ Beim Wein ist bereits ein Anfang gemacht. Daneben wird Hospitality groß geschrieben. Neben dem Restaurant und der stilvollen Übernachtungsmöglichkeit werden auch Tageausflügler angesprochen und zum Besuch eingeladen: Bei Weinproben im Weinshop können sich Besucher von der Qualität der Weine überzeugen und, wenn sie Zeit mitbringen, auf Vine Trekking begeben: ein beschilderter Rundgang durch die Weinberge, unter anderem durch den Bric Paradiso, mit einer App, die gleichzeitig als Audio Guide fungiert – übrigens auch auf Deutsch.

Roero Riserva „Bric Paradiso“

Roero Riserva DOCG Bric Paradiso

Die Trauben für diesen Wein wachsen in der Hügelzone nördlich des Tannaro-Flusses, wo die Böden sandiger als in der Barolo-Zone sind und jüngeren Ursprungs als in den Langhe. In der Regel hat ein Roero nicht ganz die Komplexität eines Barolo, besitzt aber ebenfalls Tiefe und ein kräftiges Tanninrückgrat – zumindest gilt das für diesen Wein. Da die Tenuta Carretta (die selbst im Dörfchen Piobesi d’Alba im Roero liegt) mit dem Bric Paradiso eine besonders gute Lage besitzt, wird von diesem Roero ausschließlich eine Riserva produziert. Sie lagert 18 Monate in (großen) Holzfässern und kommt erst im vierten Jahr nach der Lese auf den Markt, wenn das Tannin weicher geworden ist und der Wein sich leichter trinken lässt. Der 2013er ist ein kräftiger Rotwein aus einem sehr guten Jahr, feinduftig, üppig, mit geschliffener Frucht. Richtig gut dürfte er aber erst nach weiteren fünf Jahren sein.

Barbaresco „Garassino“

Der 2014er ein sehr sauberer, transparenter Wein von mittlerem Körper, der feingliedrig ist und sich eher durch Eleganz als durch Wucht auszeichnet. 2014 gilt als „schwieriges“ Jahr im Piemont, weil es bis in den Spätsommer hinein kühl war und viel geregnet hat. Die Ausnahme war Barbaresco, wo der September trocken und warm war, so dass die Trauben ausreifen konnten. Davon profitiert der Garassino. Inmitten der Reben dieser Monopollage hat Tenuta Carretta ein kleine Locanda errichtet mit sechs Zimmern und einem Restaurant, in dem die Klassiker der Langhe (wie die Hügelzone um Alba genannt wird) in vorzüglicher Qualität auf den Tisch kommen.

Barbaresco Riserva „Bordino“

Barbaresco Riserva DOCG Cascina Bordino

Die 2012er Riserva ist das Gegenstück zum Barbaresco Garassino. Sie kommt aus einem heißen, sehr trockenen Jahrgang und besitzt entsprechend breite Schultern: ein reicher, ja überschwänglicher Wein mit hartem Tannin und likörhafter Frucht, alkoholschwer und mit viel Extraktsüße ausgestattet, drei Jahre lang im Holzfass gereift und noch immer im eisernen Griff des Tannins. Wenn dieser Wein die Zeit bekommt, um zu reifen, erwartet den Weintrinker eines Tages ein opulenter, eleganter Wein von großer Ausdruckskraft.

Barolo „Cascina Ferrero“

Auch dieser Barolo ist noch jung und hat sich „noch nicht ganz definiert“, wie Gianni Minetti sagt. Im Bouquet ist er noch ziemlich verhalten, am Gaumen aber sind Fülle und Üppigkeit spürbar. Das Tannin ist feinkörnig, die Frucht wird durch die Konzentration, die dieser Barolo aufweist, noch verdeckt – ein Barolo für die nächsten zehn Jahre. Cascina Ferrero ist der Name eines alten Weinguts, das die Tenuta Carretta vor einigen Jahren erworben hat. Die Weinberge um die Cascina herum sind geblieben, sie gehören teils zur Lage Cannubi, teils zum Gemeindegebiet des Nachbardorfes La Morra. Die Cascina selbst beherbergt jetzt ein Restaurant.

Barolo „Cannubi“

Barolo DOCG Cannubi

Die 2,5 Hektar im Herzen der Lage Cannubi sind das Prunkstück der Tenuta Carretta. Der Barolo, der dort wächst, ist ein mächtiger, mitreißender Wein, der im Inneren feinstrukturiert und vielschichtig ist. Der 2013ers besticht mit reifer, satter Frucht und mächtiger Tanninstruktur. Erste Veilchennoten und ein leichter Lakritzton machen sich jetzt schon bemerkbar. Ansonsten ist der Wein extrem kompakt, muskulös und noch sehr verschlossen. Der 2012er ist duftiger, aber nicht ganz so strukturiert. Am besten, man trinkt jetzt den 2011er, der das ganze Spektrum an balsamischen Noten zeigt, die in einem guten Barolo enthalten sein kann: von Moos über verbranntes Gummi und Martini Rosso bis zu Leder und Trüffel. Klingt merkwürdig, ist aber genial.

Barolo Riserva „Cannubi“

Die Riserva aus der Lage Cannubi ist das Schlachtross, mit dem die Tenuta Carretta zu den großen Namen der Barolo-Welt aufschließen will. Basis für den Wein ist eine kleine Parzelle inmitten des Cannubi-Besitzes, in dem die ältesten Rebstöcke zu finden sind. Diese Parzelle wird separat gelesen und separat verarbeitet: lange Maischegärung im offenen Holzbottich, dreijähriger Ausbau in einem kleinen ovalen Holzfass aus französischer Eiche, zwei Jahre Nachreifung auf der Flasche. Der 2013er, der erst nächstes Jahr freigegeben wird, fasziniert schon jetzt mit einem Bouquet, in dem sich Veilchen, Herbstlaub und Lakritz spiegeln, am Gaumen dann getrocknete Pilze und Johannisbrot. Gerade mal 1260 Flaschen wurden von ihm gefüllt. Der 2012er ist etwas sehniger und nicht ganz so tief, der 2011er dagegen ein massiger Wein mit einer Riesenstruktur, der sich gerade zu öffnen beginnt. Der 2010er ist weder der schwerste noch der leichteste Wein, aber der balancierteste, eleganteste und deswegen beste: ein phantastische Nase, differenzierte Frucht mit karamelliger Süße, feinen Kräuterlikörnoten und einer beeindruckenden Frische. Beim Preis ist diese Riserva bereits im Barolo-Oberhaus angekommen. Dafür wird jedem Holzkistchen (er wird nur als Einzelflasche verkauft) ein kleines Seidentüchlein aus der Miroglio-Kollektion beigefügt.

Weine der Tenuta Carretta sind zum Beispiel bei folgenden Bezugsquellen erhältlich: www.hoffmann-otto.de, www.sangiorgiowein.de, www.venos.de

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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