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Der Null-Prozent-Trend: Wein ohne Umdrehungen

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Laut Deutschem Weininstitut (DWI) liegt der Marktanteil alkoholfreier Weine in Deutschland zwar noch unter einem Prozent. Doch der Pfeil zeigt nach oben. Immer mehr Menschen, vor allem junge, möchten nicht auf Wein verzichten, wohl aber auf Alkohol: die einen, weil sie Sportler, die anderen, weil sie Lifestyler, Selbstoptimierer, Yoganer, Trennköstler oder anderweitig Diätende sind. Die Tatsache, dass alkoholfreie Weine als vegan, kalorienarm, glutenfrei angepriesen werden, zeigt ziemlich deutlich, für welche Zielgruppe sie geschaffen sind: Großstadt-Hipster. Die Alc-frees, wie sie im Szene-Sprech heißen, kommen aus Frankreich, Italien, Spanien, Österreich und anderen Ländern, und verstärkt auch aus Deutschland. Meist sind es große Kellereien, die dieses Marktsegment bespielen. Aber zunehmend tummeln sich auch kleine in dieser Nische. Fünf dieser Weingüter, allesamt renommierte Familienbetriebe, haben weinkenner.de Flaschen zur Verfügung gestellt, um ihre nullprozentigen Weine zu verkosten.

Eigentlich muss „Wein“ mindestens 7% Vol. aufweisen

Weine? Eigentlich dürften sie gar nicht so heißen. Wein muss laut EU-Bestimmungen mindestens 7 % Vol. Alkohol aufweisen. Doch zusammen mit dem Adjektiv „alkoholfrei“ ist es erlaubt, sie als Wein zu deklarieren, wobei alkoholfrei bedeutet: nicht mehr als 0,5 % Vol. Auf den Etiketten steht deshalb „Riesling alkoholfrei“ oder „Burgunder Cuvée alkoholfrei“. Die Bezeichnung Sekt darf nicht benutzt werden, auch wenn der Wein schäumt. Prickler nennen sich dann offiziell „Schäumendes Getränk aus alkoholfreiem Wein“, wobei die Kohlensäure zugesetzt wird, wie bei Mineralwässern. Hergestellt werden alle alkoholfreien Weine auf Basis desselben physikalischen Grundprinzips, der Vakuumdestillation. Das heißt: Das Ausgangsprodukt ist immer ein fertiger Wein. Dieser wird anschließend entalkoholisiert. Da Flüssigkeiten im Vakuum schon bei Raumtemperatur vollständig verdampfen, lässt sich der Alkohol leicht aus dem Wein herausdestillieren, ohne diesen hoch zu erhitzen (der Verdampfungspunkt von Alkohols läge bei 78,3° C). Für die Vakuumdestillation sind allerdings teure Gerätschaften und ein spezielles Know How notwendig, weswegen alle Winzer, mit denen wir sprachen, nicht selbst entalkoholisieren, sondern ihn in spezialisierten Kellereien im Lohnverfahren entalkoholisieren lassen. Die verdampften Aromen werden aufgefangen und dem Wein nach der Destillation wieder hinzugefügt. „Aromarückgewinnung“ lautet der Fachausdruck.

Marktführer ist die Großkellerei Carl Jung in Rüdesheim

Pionier des alkoholfreien Weins und der mit Abstand größte Produzent dieser Spezialität ist die Kellerei Carl Jung in Rüdesheim am Rhein. Sie produziert jährlich etwa 10 Millionen Flaschen Wein ohne Alkohol, die sie in die ganze Welt verkauft. Neben Riesling und allen möglichen weißen Sortenweinen (und Cuvées) finden sich auch Cabernet Sauvignon, Merlot, Shiraz und Rosés in ihrem Sortiment. Die meisten dieser Weine sind von einfachem Zuschnitt und weisen 35 Gramm oder mehr Restzucker auf (die roten eingeschlossen). Normale Weintrinker und Weintrinkerinnen, die temporär auf Wein verzichten müssen, weil sie schwanger sind oder Medikamente nehmen müssen, werden sich mit diesen Weinen vermutlich nur schwer anfreunden können. Wer hingegen ein Getränk sucht, das geschmacklich einem Wein ähnelt und sich zum Anstoßen besser eignet als Mineralwasser, kann mit den Weinen glücklich werden.

 

Erfolgreiche Start Ups: Kolonne Null und Pfalzwasser

Was heißt ähneln? Die meisten alkoholfreien Weine schmecken ein bisschen wie Limonade ohne Kohlensäure, weil die Wieder-Zusammensetzung der Weinaromen nach der Destillation schwierig ist. Die Firma Pfalzwasser Getränke GmbH aus dem rheinland-pfälzischen Gerbach nennt ihren alkoholfreien Wein folgerichtig Vinnade. Damit der Fruchtgeschmack intensiver zum Ausdruck kommt, werden auch sie, wie alle Limonaden und Fruchtsäfte mit frischem Traubenmost gesüßt. Ohne Restsüsse geht es auch bei Kolonne Null nicht, dem erfolgreichen Startup von zwei Berliner Politikstudenten, die seit 2018 „alcfreie Premiumweine“ produzieren. Von ihrem Neuköllner Loft aus kaufen sie Jungwein bei kleinen, familiengeführten Weingütern ein, testen deren Eignung für die Alkoholdestillation in ihrem eigenen Mini-Labor und lassen dann den ausgesuchten Weinen von Auftragsunternehmen den Alkohol entziehen. Weil trockene alkoholfreie Weine immer etwas herb und dumpf schmecken im Vergleich zu normalen trockenen Weinen, in den der Alkohol die Herbe „betäubt“, ist alles, was sie produzieren, mit Saccharose abgerundet. Anfangs haben die beiden Jungunternehmer nur Weiß-, Rosé- und Schaumweine angeboten. Inzwischen ist es ihnen gelungen, auch alkoholfreie Versionen eines Württemberger und eines spanischen Rotweins zu produzieren, die ihren hoch gesteckten geschmacklichen Ansprüchen genügen.

Heutige Alc-frees besser als die ersten alkoholfreien Gehversuche

Echte Weinliebhaber werden vermutlich nie zu entalkoholisiertem Wein greifen – darüber sind sich die Alc-free-Produzenten einig. Wenn äußere Umstände sie zwingen, auf Wein zu verzichten, steigen sie lieber auf Fruchtsaft, Kombucha, Tee um, oder auf Mineralwasser. Menschen, die Geselligkeit und Weinrituale lieben, aber gerne nüchtern bleiben möchten, kommt die neue Weinvariante jedoch entgegen. Und das muss auch hinzugefügt werden: Vergleicht man die heutigen alkoholfreien Weine mit den durchwachsenen Gehversuchen der Vergangenheit, lässt sich schwerlich abstreiten, dass erhebliche Fortschritte gemacht worden sind, auch wenn den Alc-frees natürlich die Strahlkraft und Spannung eines echten Weins fehlt.

Weingut Allendorf, Oestrich-Winkel
Das Rheingauer Traditionsweingut füllt seit einigen Jahren schon einen alkoholfreien Riesling ab. „Save Water Drink Riesling“ steht auf dem Etikett. Kellermeister Max Schönleber lässt den Wein mit einer Spinning-Cone-Anlage entalkoholisieren. Mit dem Mercedes unter den Vakuumverdampfern lässt sich der Wein in seine Bestandteile zerlegen, so dass der Alkohol recht gezielt und schonend entfernt werden kann. Ein winziger Teil des Alkohols wandert zurück in den Wein, der so zwar deutlich unter dem für alkoholfreie Produkte festgesetzten Wert von 0,5 Volumenprozent bleibt, aber dem Wein ein klein wenig mehr Fülle gibt. Alkohol ist Geschmacksträger.

Das Ergebnis: Ein durchaus ansprechendes Produkt, das vor allem mit einer knackigen Rheingau-Säure, Aromen von grünem Apfel und einem trockenen Empfinden mit wenig Süße punkten kann – auch wenn wir nur wenig Weinigkeit schmecken. Sehr nah am Original ist dafür Allendorfs alkoholfreie Rieslingschorle, welche die mangelnde Länge und die Zitronendrops-Aromatik kaschiert, die in allen verkosteten alkoholfreien Weinen steckt.

Weinschorle Save Water Drink Riesling Free: 3 Euro (0,33 l)

Save Water Drink Riesling Dry: 7 Euro

Bezug: shop.allenorf.de

 

Weingut Bibo Runge, Oestrich-Winkel
Der junge, aufstrebende Rheingauer Betrieb hat erst vor kurzem den alkoholfreien Markt betreten mit einem Riesling namens „Deserteur“. Ähnlich wie der alkoholfreie Riesling von Allendorf wird auch er nach dem Entalkoholisieren mit Kleinstmengen Alkohol abgeschmeckt.

Kellermeister Markus Bonsels bedient sich dabei eines fertig vergorenen extra markanten Rieslings. Der Alkoholgehalt bleibt auch hier deutlich unter 0,5 Volumenprozent.
Das Ergebnis: Bonsels gelingt es nicht nur, einen recht authentischen Weingeschmack zu bewahren, sogar eine gewisse Rieslingtypizität ist spürbar. Aromatisch dominieren roter Apfel, etwas Aprikose. Auch ein klein wenig Petrol und Firn können wir ausmachen. Auch der charakteristische Holzton, der in den „echten“ Rieslingen von Bibo Runge häufig steckt, ist spürbar. Die angesprochene dropsige Zitronenaromatik ist jedoch auch hier auszumachen und das Mundgefühl wirkt verglichen mit den alkoholischen Vorbildern doch recht abgespeckt: dennoch einer unserer Favoriten.

Riesling „Deserteur“ alkoholfrei: 9,50 Euro

Bezug: https://shop-bibo-runge.de

Weinkenner-Garantie! Die­sen Wein bei einem aus­ge­wähl­ten Wein-Fachhändler kau­fen:

 

Sektmanufaktur Strauch, Osthofen
Anders als beim Wein darf alkoholfreier Sekt nicht den Namen des Vorbilds tragen. Denn die Kohlensäure entsteht nicht wie beim Sekt aus der Gärung, sondern wird dem Wein hinzugefügt. Deswegen fehlen alkoholfreien Sekten die hefigen Noten, die aus Sekt so viel mehr machen als einfach Wein mit Kohlensäure. Die alkoholfreien Prickler haben mehr mit einem Perlwein als mit einem Schaumwein gemein. Die rheinhessische Sektmanufaktur Strauch hat zwei alkoholfreie Varianten im Sortiment, einen Riesling Schaumwein „Blanc Pur“ und einen Rosé Schaumwein „Rosé Pur“.
Das Ergebnis: Wir haben eine leichte Präferenz für den Rosé, da durch die beerigen Komponenten die Zitronenbonbon-Aromatik gut kaschiert wird. Positiv überrascht sind wir von der feinen Perlage, die deutlich weniger aufgesetzt wirkt als man das von hinzugefügter Kohlensäure erwartet hätte. Zwar können wir wie erwartet wenig Sektiges ausmachen, ein passables schäumendes Getränk ist dieser Prickler aber allemal.

Riesling Pur: 9,90 Euro

Rosé Pur:10,90 Euro

Bezug: https://strauchsektmanufaktur.de

 

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Weingut Fürst Hohenlohe-Öhringen, Verrenberg
Der einzige Rotwein in unserer Verkostung stammt von VDP-Weingut Fürst Hohenlohe im württembergischen Öhringen. Man wolle weg vom klebrig-süßen alkoholfreien Rotwein, sagt Betriebsleiter Joachim Brand. In der Tat hat sein alkoholfreier Rotwein mit 27 Gramm Restzucker, den Brand ausschließlich mit Traubenmost einstellt, den niedrigsten Zuckergehalt der von uns verkosteten Weine.
Das Ergebnis: Allerdings bestätigt der Wein auch unsere bisherigen Erfahrungen, dass der Weg zu einem zufriedenstellenden Replikat bei Rotwein steiniger ist als bei Weißwein. Meist fehlt ihm die Säure, um die herausgerissene Alkoholfülle wettzumachen. Zwar können wir im Ansatz ansprechende Beerentöne und eine spürbare Vanillearomatik ausmachen. Die weintypische Kraft und Eindringlichkeit will sich jedoch nicht zeigen. Kühl serviert ist das zwar ein passables Getränk, hat mit Rotwein allerdings wenig gemein.

Alkoholfreier Rotwein: 6,50 Euro

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Weingut JJ Leitz, Rüdesheim
Johannes Leitz ist einer der besten Riesling-Winzer im Rheingau – und einer der erfolgreichsten. Er hat alte Terrassen im Rüdesheimer Berg Rottland und im Berg Kaisersteinfels rekultiviert: zwei seiner drei Großen Gewächse kommen vorn dort. 2011 wurde er vom Gault Millau zum Winzer des Jahres gewählt, 2019 erhielt sein Weingut den begehrten 5. Stern. Parallel zu seiner Normalwein-Produktion hat Leitz eine Produktion alkoholfreier Weine unter der Marke „Eins-Zwei-Zero“ aufgezogen. Sie umfasst sechs Weine, darunter auch einen Cabernet Sauvignon Rotwein. Die Produktion dieser Weine ist in die JJ Leitz GmbH ausgegliedert.

Das Ergebnis: Wir verkosteten den Riesling und den Sparkling Rosé. Der Riesling ist mit seiner fulminanten Säure klar als solcher herauszuschmecken. Es dominieren Limette und ungesüßtes Rhabarberkompott. Die Säure wird mit gut 30 Gramm rektifiziertem Traubenmostkonzentrat abgerundet: ein überraschend gut gelungener Wein, auch wenn die mineralischen Noten, die man als Weinliebhaber so sehr schätzt, fehlen. Der Rosé-Sparkler ist noch besser gelungen. Die (moderate) Kohlensäure sorgt für mehr Mundgefühl und Länge. Auch die Restsüße von 35 Gramm puffert die hohe Säure gut ab. Die Herbe verschwindet, der Wein schmeckt fast trocken. Kompliment.

Riesling alkoholfrei 7,90 Euro

Sparkling Rosé 9,90 Euro

Bezug: www.leitz-wein.de

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