Alexandre Thienpont ist verantwortlicher Leiter und Mitbesitzer des Pomerol-Weinguts Vieux Château Certan, das 2010 den besten Wein seiner langen Geschichte erzeugt hat (gegründet 1770). Doch nun geht es darum, ob der Jahrgang 2011 ein würdiger Nachfolger wird. Die Möglichkeit besteht. Doch Prognosen sind schwer zu stellen. Denn einen Vegetationsverlauf wie dieses Jahr hat es in Bordceaux noch nicht gegeben: eine nie dagewesene Hitzewelle im Frühsommer, die die Fruchtansätze vieler Reben regelrecht verbrannt hat, dann ein unnormal kühler Juli.
Der Zweimeter-Mann Thienpont (der auch für die Weinberge von Le Pin zuständig ist, das einem anderen Mitglied der Thienpont-Familie gehört), legt sich immerthin schon auf den Lesezeitpunkt fest: Anfang September – so früh wie noch nie. Ob 2011 nur ein mengenmäßig großer oder auch ein qualitativ großer Jahrgang wird, lässt sich noch nicht sagen. Im Gespräch mit dem in Bordeaux lebenden Engländer Andrew Black, das am 28. Juli stattfand, verrät er immerhin, dass der 2011er vielleicht dem Jahrgang 1983 ähneln werde …
Vieux Château Certan (abgekürzt VCC) bewirtschaft 13,5 Hektar auf demselben Hochplateau, auf dem auch L’Evangile, Trotanoy und Lafleur liegen. Die Weinberge sind zu 60% mit Merlot, zu 30% mit Cabernet Franc und zu 10% mit Cabernet Sauvignon bepflanzt. Insgesamt werden 50.000 bis 60.000 Flaschen erzeugt.
Andrew Black: Die Primeur-Kampagne 2010 ist beendet. Wie lief sie für Vieux Château Certan?
Alexandre Thienpont: Echt gut.
Andrew Black: Haben Sie die gesamte Ernte verkauft?
Alexandre Thienpont: Ja, wir haben alles verkauft. Wie immer.
Andrew Black: Ihr Eröffnungspreis war höher als 2009 …?
Alexandre Thienpont: Ja, weil 2010 ein herausragender Jahrgang und die Menge sehr klein war.
Andrew Black: Verlief die Kampagne unkomplizierter als erwartet?
Alexandre Thienpont: Für uns verlief sie ruhig, aber für Bordeaux im Allgemeinen war es eine harte Kampagne.
Andrew Black: Warum unkompliziert für Sie?
Alexandre Thienpont: Wir haben die Preisfindung dem Markt überlassen. Angesichts der Qualität und der Menge lagen wir damit richtig.
Andrew Black: Es gab viele herausragende Weine in 2010, aber nicht jeder hat sie so gut verkaufen können wie Vieux Château Certan …
Alexandre Thienpont: Vieux Château Certan genießt heute einen sehr guten Ruf, und in 2010 haben wir mit unserem Wein eine Qualität erreicht, die wir meiner Meinung nach nicht übersteigen können. Der Jahrgang ist im wörtlichen Sinne herausragend.
Andrew Black: Das Jahr 2011 hat nach allem, was man hört, wenig verheißungsvoll begonnen. Die Temperaturen stiegen bereits im Frühjahr auf 41 Grad Celsius. Teile von Pomerol sind durch die Hitzewelle hart getroffen worden.
Alexandre Thienpont: Ja, so eine Hitze zu so einem frühen Zeitpunkt habe ich in meinen 26 Jahren auf Vieux Château Certan noch nicht erlebt. Teile der Reben sind in der Sonne regelrecht verbrannt.
Andrew Black: Wie stark ist Vieux Château Certan betroffen?
Alexandre Thienpont: Rund 20 Prozent unserer Reben sind verbrannt, vor allen die Reben in den nach Westen gelegenen Weinbergen.
Andrew Black: Diese Trauben sind wahrscheinlich komplett verloren …?
Alexandre Thienpont: Sie sind verbrannt und ausgetrocknet. Wir mussten durch die Reben gehen und die verbrannten Beeren herausschneiden: zum einen als Vorsichtsmaßnahme, um die gesunden Trauben vor Ansteckung zu schützen, zum anderen aus psychologischen Gründen – es sah einfach nicht gut aus.
Betroffen vor allem Châteaux mit warmen Böden
Andrew Black: Einige Winzer hatten, bevor die große Hitze einsetzte, Netzschwefel gespritzt gegen Oidium (Echter Mehltau, Anm. d. Red.). Dadurch sollen die Hitzeschäden noch verstärkt worden sein. Ist das der Grund, weshalb Vieux Château Certan so stark von der Hitze betroffen ist?
Alexandre Thienpont: Wir arbeiten mit Netzschwefel gegen Oidium, um nicht auf systemische Mittel zurückgreifen zu müssen. Aber wir hatten bereits einige Tage vor der Hitzewelle nicht mehr gespritzt. Die Schäden werden nur dann verstärkt, wenn man ein paar Stunden vor Einsetzen der Hitze Schwefel anwendet.
Andrew Black: Was ist dann der Grund für den Sonnenbrand Ihrer Reben?
Alexandre Thienpont: Der Schwefel ist jedenfalls nicht Schuld. Es ist ein Problem des Terroirs. Die wärmsten, am frühesten reifenden Terroirs, wie wir sie zum Beispiel auf Vieux Château Certan haben, sind am gefährdetsten. Der sich aufheizende Kieselsteinuntergrund schafft Temperaturen wie in einem Ofen.
Begrünung der Weinberge wäre eine Hilfe gewesen
Andrew Black: Was hätten Sie tun können, um die Schäden zu vermeiden?
Alexandre Thienpont: Wir hätten die Rebenflure begrünen müssen. Weinberge mit Grünsaat zwischen den Rebzeilen sind von der Hitzewelle nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
Andrew Black: Auch nicht in den früh reifenden Terroirs von Pomerol?
Alexandre Thienpont: Auch dort nicht. Château Gombaude Guillot, das organisch arbeitet und eine Gründecke zwischen den Reben angelegt hat, registriert keine Sonnenschäden.
Andrew Black: Das heißt: Jene Nachbarn, die wie Sie zwischen den Zeilen pflügen, haben die gleichen Probleme wie Vieux Château Certan?
Alexandre Thienpont: Ja, außer Pétrus, so weit ich weiß. Pétrus hat etwas kühlere Böden.
Andrew Black: Als die Hitzewelle vorbei war, hat es ziemlich viel geregnet …
Alexandre Thienpont: 25 Millimeter. Aber nicht alles auf einmal, sondern in Schüben, so dass die Reben sich zwischendurch immer wieder vom Wasserstress erholen konnten.
Andrew Black: Wie sind jetzt Ihre Einschätzungen für den Jahrgang 2011?
Alexandre Thienpont: Schwierig zu sagen. Einen solchen Sonnenbrand wie im Juni habe ich noch nie erlebt. Ich weiß also nicht, wie die Reben auf einen so frühen Hitzestress reagieren. Der Juli war dann kühler als normal. Insgesamt ein ungewöhnlicher Vegetationsverlauf. Wenn ich einen Vergleich heranziehen müßte, würde ich sagen: ähnlich wie 1983.
Andrew Black: Viel hängt vom Wetter im August ab. „Août fait le moût“ sagt man in Bordeaux (frei übersetzt: der August bringt die Oechsle, Anm. der Red.). Kann man von einer sehr frühen Lese ausgehen?
Vegetationsvorsprung von drei Wochen
Alexandre Thienpont: Wir hatten einen Vegetationsvorsprung von drei Wochen, der durch die kühle Periode wieder etwas zusammengeschmolzen ist. Aber dann hat der Regen während der Veraison (Blaufärbung der Trauben, Anm. d. Red.) wieder den alten Abstand hergestellt. Ich würde also sagen, dass wir immer noch drei Wochen Vorsprung haben.
Andrew Black: Wann werden Sie dann mit der Ernte beginnen?
Alexandre Thienpont: Gleich Anfang September.
Andrew Black: Wird die Menge geringer ausfallen durch die Hitzewelle?
Alexandre Thienpont: Nein, der Behang ist derzeit üppig. Die Beeren sind dick. Wir sind dabei auszudünnen, um ein Gleichgewicht herzustellen und um den Trauben Luft zum Atmen zu geben.
Andrew Black: Frühe Lese bedeutet gewöhnlich einen guten Jahrgang, bei der Sorte Cabernet Franc sogar einen sehr guten Jahrgang …
Alexandre Thienpont: Die Aussichten sind zweifellos gut. Ende August werden wir wissen, ob wir nur einen reichen oder auch einen guten Jahrgang bekommen.
Der 2010 Vieux Câteau Certan ist im Vergleich zu qualitativ ähnlichen Pomerol-Weinen preiswert. In der Subskription kostet er ab 235 Euro/Flasche (inkl. MwSt).
Bezug: www.alpinawein.de, www.aux-fins-gourmet.de, www.bacchus-vinothek.de, www.c-und-d.de, www.gute-weine.de, www.pinard.de, www.ungerweine.de, www.weinco.at u.a.