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After Eight im März: Chardonnay von Ramey und Aldinger, enttäuschender Meursault, Kesselers grandioser Schlossberg und eine VDP-Probe alter Württemberger Rieslinge

Der März brachte die Erkenntnis, dass der Autor dieses Artikels deutlich mehr Weiß- als Rotweine trinkt beziehungsweise probiert hat, was nicht unbedingt mit dessen Vorlieben, sondern mit dem überaus warmen Monat März zu tun hat. Der beste Wein, den ich im letzten Monat getrunken habe, war David Rameys Chardonnay „Ritchie Vineyard“ vom Russian River, Jahrgang 2010: opulent, ausladend, hedonistisch mit reichen Quitten-/Papaya-Aromen und cremiger Hefenote. Das kühle Sonoma steht bei hiesigen Weintrinkern nicht sonderlich hoch im Kurs.

Mit Riesling sozialisierte Weintrinker mögen die schweren, komplexen Chardonnays aus Kalifornien in der Regel nicht. Vielleicht kennen sie sie auch gar nicht. Die meisten würden, vermute ich, die 85,20 Euro, die eine Flasche dieses Weins kostet (jüngster Jahrgang bei Weingarten Eden), eher in ein Netflix-Abo investieren als in so einen Wein, an dem man sich maximal einen Abend laben kann. Wirklich nur einen Abend? David Ramey, den ich noch aus seiner Zeit bei Dominus und Christian Moueix  kenne, sagte damals zu einem amerikanischen Touristen, der gerade bei ihm war und ob des hohen Preises zögerte, mehr als eine Flasche zu kaufen: My wine isn’t cheap, correct, but when you drink it you’ll never forget it. So ähnlich würde ich es auch sehen. Der Touri kaufte eine Kiste.

Enttäuschender Meursault „Sous la Velle“

Der enttäuschendste Weißwein des letzten Monats war der 2009 Meursault „Sous la Velle“ von Anne Boisson, den ich zum ersten weißen Spargel dieses Jahres aufgemacht hatte. Behäbig und ohne jene vibrierende Mineralität, die Händler und Kritiker diesem Wein so wortreich attestieren (56 Euro, jüngster Jahrgang). Die femininen Reize, die er angeblich ausstrahlt, sind entweder nur Einbildung oder in der Flasche geblieben. Vielleicht liegt es am Jahrgang 2009, der viel zu warm für Chardonnay war.

Kürzlich hatte ich einen 2009er Puligny-Montrachet „Clavoillon“ 1er Cru der Domaine Leflaive im Glas, der sich ebenfalls als ein trauriges Exemplar von weißem Burgunder entpuppte, was beim Renommé dieser Domaine und bei einem Preis von 170 Euro pro Flasche eigentlich nicht passieren dürfte.

August Kesseler und Aldinger waren Highlights

Die meisten Weine, die ich in den März-Wochen trank, lagen irgendwo zwischen Frust und Begeisterung. Deutlich mehr in Richtung Begeisterung schlug das Pendel bei August Kesselers 2005er Riesling Rüdesheimer Berg Schlossberg aus, eine Erste Lage, die zwar nicht ganz trocken war (wie so häufig bei Kesseler), aber vor Temperament nur so sprühte. Großes Rieslingkino, sagt man, glaube ich, dazu. Gleiches gilt für Aldingers 2020er Chardonnay vom Untertürkheimer Gips, den ich in Fellbach im Weingut trank, ebenfalls eine Erste Lage (mit 42 Euro preislich allerdings ein GG, was es faktisch auch ist).

Man mag die Weine der Aldinger mit ihren extremen Spontinoten mögen oder nicht. Aber die Mineralität, die Substanz, die Frische – da könnten sich einige Franzosen schon etwas abgucken. So gut ist dieser Wein, dass es weder Seezungenröllchen noch Bretonischen Hummers bedarf, um ihn in vollen Zügen zu genießen. Schwäbische Maultaschen mit „schlontzigem“ Kartoffelsalat, wie Frau Aldinger sagte, reichen aus.

Riesling aus Württemberg – die enttäuschenden neunziger Jahre

Damit bin ich in Württemberg.  Die interessanteste Weinprobe des Monats fand am 28. März im Restaurant „Lamm“ in Hebsack im Remstal statt. 12 württembergische VDP-Mitglieder hatten ein halbes Dutzend Journalisten zu einer Riesling-Verkostung geladen. Es sollten Weine der 1960er bis 1990er Jahre probiert werden – aus einer Zeit also, in der Württemberg noch gar nicht so richtig auf Weinlandkarte Deutschlands eingezeichnet war.

Von links: Gerhard Eichelmann (Deutschlands Weine), Ulrich Sautter (Falstaff), Stephan Reinhardt (Wine Advocate), Harald Scholl (VINUM), Jens Priewe (Weinkenner), Paula Redes Sidore (Trink Magazin)

Ich fange mal mit den trockenen Rieslingen der jüngeren Dekade an: 1999 – der beste Jahrgang seit 30 Jahren, aber: Rainer Schnaitmanns Kabinett vom Fellbacher Goldberg mit Oxidationsnote, Beurers Spätlese vom Stettener Pulvermächer mit massiv überzogener Säure, Drautz-Ables HADES-Riesling völlig vom Holz maskiert. Und so ging es weiter. Graf Neippergs Schlossberg von 1990 ziemlich plump, die 1993er Spätlese des Staatsweinguts Weinsberg von der Burg Wildeck firnig, Beurers erster Versuch mit der Maischegärung und ohne Schwefel (1998) inzwischen völlig oxidiert, Graf Adelmanns 1990er Süssmund Spätlese flau und spannungslos. „Wir wollen uns hier nicht nur von der Schokoladenseite zeigen“, fand Felix Adelmann ehrliche Worte.

Wenig Erbauliches auch aus den Achtzigern

Auch die rest- und edelsüßen Weine dieses Jahrzehnts waren alles andere als überzeugend: Hans-Peter Wöhrwag, der stark auf den damaligen Süßwein-Boom aufgesattelt hatte, ist von seinen 1998er und 1993er Auslesen selbst enttäuscht. Aldingers 1990er TBA ist schon auf dem absteigenden Ast. Gut gehalten haben sich dagegen Dautel mit seinem Riesling vom Besigheimer Wurmberg (1997), Schnaitmann mit seinem Kabinett vom Fellbacher Lämmler (1997) und vor allem Jürgen Ellwanger mit seiner trockenen Schnaiter Altenberg Spätlese und seinem HADES Riesling, beide Jahrgang 1990.

Auch mit seinen Eisweinen von 1998 sticht Ellwanger zum Beispiel das Staatsweingut deutlich aus. Ein ähnliches Bild bietet sich in den Achtzigern. Neipperg, Drautz-Able, Dautel, Aldinger – ihrer aller trockenen Weine sind mehr oder minder ausgezehrt, die HADES-Weine flach und überholzt. Nur das Staatsweingut brilliert 1987 mit einem perfekten Eiswein.

Überraschend gute Weine aus den Siebzigern und Sechzigern

Überraschung dann in den Siebzigern und Sechzigern. Die Rieslinge aus dieser Zeit zeigen sich in wesentlich besserer Verfassung als in den Jahrzehnten davor. Bei den trockenen Weinen stach Graf Adelmann gleich mehrfach heraus, zuerst mit seinem Kleinbottwarer Süssmund (1973), dann mit seinen beiden Brüssele’r Spitzen von 1964 und 1963. Karl Haidle überraschte  mit einer mächtigen trockenen Auslese von 1971 sowie seinem Natur-Riesling von 1966 und seiner Spätlese von 1964, alle drei vom Stettener Pulvermächer und mit feinen, komplexen Tertiäraromen aufwartend. Richtig gut präsentierten sich – ebenfalls überraschend – die Spätlesen aus dem Maulbronner Eilfingerberg des Herzogs von Württemberg von 1970 und 1968.

Ebenso Aldingers rauchig-erdiger Weißriesling Natur von 1969. Geradezu sensationell der Stettener Pfeffer Riesling Natur von Haidle aus 1964, eine Art Gutswein, unangereichert, trocken, leicht. Altersbedingt brilliert der Wein natürlich  jetzt nicht mehr. Aber damals muß er ein Genuss gewesen sein.

Württemberg konnte auch edelsüß

Auch die edelsüßen Tropfen erwiesen sich als sehr viel besser als ihre Pendants aus den achtziger und neunziger Jahren, allen voran eine mahagonifarbene BA von Aldinger aus 1979 sowie zwei BA aus 1967 vom Staatsweingut und von Graf Adelmann – letzterer best wine of the show. Übrigens: Der Auswahl der gereichten Weine waren keine langen Vorverkostungen auf den Weingütern vorausgegangen. Die meisten Weine hatten die Winzer selbst noch nie vorher verkostet. Archive haben die wenigsten Württemberger Weingüter angelegt, und wenn, befinden sich in ihnen meist nur ganz wenige alte Jahrgänge.

Es gab keine Tradition der Qualität in Württemberg

Bleibt die Frage: Wie erklärt sich der eklatante Qualitätsunterschied zwischen den frühen und späten Weinen? Ein bisschen auf die Spur geholfen hat den Winzern und uns Journalisten Daniel Deckers, FAZ-Redakteur und Weinhistoriker, der mehrere Bücher über die Geschichte des deutschen Weins veröffentlicht hat. Er erinnerte daran, dass es, bedingt durch die erdrückende Marktdominanz der Genossenschaften, bis vor wenigen Jahren keine Tradition der Qualität in Württemberg gab. Nur die adeligen Weingüter repräsentierten damals den guten Württemberger Wein (Graf Adelmann, Baron von Gemmingen-Hornberg, Herzog von Württemberg, Graf Neipperg, Graf Hohenlohe-Öhringen).

Aber auch sie wurden von der Begeisterung für die Flurbereinigung, die in den frühen 1970er Jahren durchgeführt wurde, erfasst, die zur Trollingerisierung des Landes geführt hatte (mit Hektarerträgen von 25.000 Kilogramm Trauben und mehr). Nur wenigen bürgerlichen Weingütern gelang es, sich dem Sog der Massenproduktion zu entziehen. Deren Stunde schlug erst in den 1990er Jahren mit der langsamen Hinwendung zum trockenen Wein und zum Riesling. „Riesling war damals auch nicht meine Lieblingssorte“, bekannte Rainer Schnaitmann ganz offen.

Heute schliesst Württemberg wieder an die guten Zeiten von vor fünfzig Jahren an – vor allem die bürgerlichen Weingüter. Die jüngeren GG, die wir vorweg probieren könnten, legen davon unmissverständlich Zeugnis ab.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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