After Eight im Januar: Pinot Gris, Winzersekt, Hubers Weißer Burgunder und Tscheppes Orange-Weine

Von wegen „dry january". Auch im ersten Monat des neuen Jahres wurde bei Jens Priewe Wein getrunken - allerdings erst nach 20 Uhr.

Vie­le Kol­le­gen und Freun­de legen im Janu­ar eine Trink­pau­se ein. Ich nicht. Für mich ist der dry janu­ary, wie das Bun­des­ge­sund­heits­mi­nis­te­ri­um ihn nach eng­li­schem Vor­bild aus­ge­ru­fen hat, ein Monat wie jeder ande­re. Mei­ne Devi­se lau­tet: wenig, aber gut trin­ken. Und ein­mal im Jahr die Leber­wer­te che­cken. Da im Janu­ar kaum Wein­pro­ben statt­fin­den und vie­le Restau­rants noch geschlos­sen sind, ver­la­ger­te sich der Wein­ge­nuss auf die hei­mi­schen vier Wän­de. Wenn ich den Korb mit Leer­gut sehe, den ich zum Glas­con­tai­ner brach­te, glau­be ich, dass im Janu­ar pan­de­mie­be­dingt ein paar Fla­schen mehr als sonst geköpft wor­den sind. Soll ja bei vie­len Men­schen so gewe­sen sein, wenn ich die ent­spre­chen­den Mel­dun­gen der OECD rich­tig gele­sen habe. Ich lie­ge also voll im Trend.

Rotweine können ermüdend sein – besonders die besseren

Das Auf­fäl­li­ge war in der Nach­be­trach­tung, dass ich mehr Weiß­wei­ne als Rot­wei­ne auf­ge­macht habe. Dabei gilt der Win­ter doch eigent­lich als Rot­wein­zeit. Bemer­ken auch Sie, lie­be Leser, dass Sie in der letz­ten Zeit mehr wei­ßen als roten Wein trin­ken? Die Trink­sta­tis­tik sagt, dass das in Deutsch­land so ist, auch wenn ins­ge­samt immer noch mehr Rot­wein kon­su­miert wird. Gibt es etwa eine schlei­chen­de Rot­wein­mü­dig­keit? Wenn ja, liegt das mög­li­cher­wei­se auch dar­an, dass die moder­ne Öno­lo­gie dafür gesorgt hat, dass die Rot­wei­ne immer dich­ter, immer struk­tu­rier­ter, immer ver­ti­ka­ler, also objek­tiv betrach­tet immer bes­ser, aber sub­jek­tiv auch schwe­rer und ermü­den­der wer­den. Die Alko­hol­ge­hal­te stei­gen wie die Infla­ti­ons­ra­te. Soviel Steak und Hirsch­keu­len kann man gar nicht essen, wie man bräuch­te, um ein Pen­dant zu hoch­wer­ti­gem Rot­wein zu haben. Rot­wei­ne sind manch­mal anstren­gend, beson­ders die bes­se­ren. Weiß­wei­ne dage­gen sind fri­scher, leich­ter, unkom­pli­zier­ter. Und Deutsch­land erlebt mit der Riesling-Renaissance der­zeit ja sowie­so einen Weißweinboom.

Zind-Humbrechts Pinot Gris „Roche Calcare“

Das neue Jahr hat zwar gera­de erst begon­nen. Aber selbst wenn ich das alte mit in die Betrach­tung ein­be­zie­he, war der Pinot Gris „Roche Cal­cai­re“ von Zind-Humbrecht aus dem Elsass sicher einer der bes­ten Wei­ne, die ich im letz­ten Monat getrun­ken habe. Kör­per­reich und kräf­tig, ja, das ist er, aber nicht dick oder behä­big. Frucht zeigt er wenig, dafür umso mehr Mine­ra­li­tät. Das Beson­de­re des Jahr­gangs 2019 ist, dass er von vier Grands Crus kommt: Clos Winds­buhl, Clos Jeb­sal, Heim­bourg und Roten­berg. Sie alle sind auf Kalk­stein gele­gen, der ver­hin­dert, dass der Wein in die Brei­te geht: schlank, aber kom­plex mit einer mes­ser­schar­fen Säu­re – völ­lig unty­pisch für einen Pinot Gris. Man könn­te ihn zu Hum­mer und zu Hering trin­ken. Ich trank ihn zu einem kurz ange­bra­te­nen Filet vom See­saib­ling, das ich mit Teri­ya­ki und gerös­te­tem Sesam bestri­chen habe – ein Rezept des von mir sehr geschätz­ten Koch­buch­au­tors Stevan Paul, kin­der­leicht zuzubereiten.

Der „Roche Cal­cai­re“ hat ein paar Gramm Rest­zu­cker mehr als sonst (9 Gramm ins­ge­samt), weil die Par­tie vom Clos Winds­buhl, von dem er nor­ma­ler­wei­se zu hun­dert Pro­zent kommt, in 2019 nicht ganz durch­ge­go­ren war, was bei Spon­tan­ver­gä­run­gen bekannt­lich pas­sie­ren kann. Was macht ein bio­dy­na­mi­scher Win­zer in die­ser Situa­ti­on? Statt Rein­zucht­he­fen in den gären­den Most ein­zu­rüh­ren, ver­schnei­det er den Wein mit ande­ren durch­ge­go­re­nen Par­tien. So bekommt der Wein­trin­ker in 2019 einen fast tro­cke­nen Wein von vier Grands Crus zum Preis eines Ers­ten Gewäch­ses (das es im Elsass offi­zi­ell nicht gibt). Ein Schnäpp­chen: Bei www.unserweinladen.de kos­tet der Wein 24 Euro.

Hubers Weißer Burgunder und Bambergers Pinot-Jahrgangssekt

Der zwei­te Weiß­wein, der den Rah­men des All­täg­li­chen spreng­te, war der Wei­ße Bur­gun­der „Bie­nen­berg“ aus dem Breis­gau­er Wein­gut Bern­hard Huber: kei­ne die­ser quit­te­gel­ben Spät­le­sen, die nach gesüß­tem Apfel­kom­pott und Bana­nen­scha­le schme­cken und in Baden jah­re­lang als bes­se­re Ries­lin­ge gal­ten. Die­ser Wein ist von mitt­le­rem Kör­per, leicht flin­tig, sub­til limo­nig und mit einer fei­nen Röst­no­te aus­ge­stat­tet (28,50 Euro, www.weinfurore.de). So schnell war ein Gro­ßes Gewächs bei mir zu Hau­se sel­ten leer. Ähn­lich ver­hielt es sich mit einem Win­zer­sekt, den mir Hei­ko Bam­ber­ger aus Med­ders­heim an der Nahe zur wohl­wol­len­den Prü­fung zuge­schickt hat­te: ein Jahrgangs-Schäumer (2015), der leicht­fü­ßig über den Gau­men läuft, des­sen hoher Spätburgunder-Anteil aber macht, dass auch ein biss­chen Fleisch am Kno­chen ist (19 Euro, www.weingut-bamberger.de).

So wird ver­hin­dert, dass man beim Trin­ken nur Luft im Mund hat. Als Ape­ri­tiv ist die­ser Sekt eigent­lich zu scha­de. Ein Freund hat­te mir zu Weih­nach­ten eine gan­ze Keu­le spa­ni­schen Bellota-Schinken geschenkt, von dem ich mit einem extra nach­ge­schärf­ten Mes­ser dün­ne, mund­ge­rech­te Schei­ben abtrug. Der Schin­ken beglei­te­te den Sekt, nicht umge­kehrt. Bam­ber­ger gehört, fin­de ich, zu den bes­ten Sekt­er­zeu­gern in Deutschland.

Zwei grenzgeniale Weine aus Österreich

For­dernd, aber leicht zu trin­ken sind die bei­den nächs­ten Weiß­wei­ne, von denen ich Ihnen berich­ten muss. Bei­de stam­men aus der Süd­stei­er­mark. Bei­de kom­men von beseel­ten, natur­lie­ben­den Win­zern, deren beruf­li­ches Ethos sich an Prin­zi­pi­en und Wer­ten der tra­di­tio­nel­len Land­wirt­schaft und Kel­ler­tech­nik ori­en­tiert. Bei­de arbei­ten bio­dy­na­misch, wenn auch auf ganz unter­schied­li­che Wei­se. Und bei­de sind Brü­der. Die Rede ist von Ewald und Andre­as Tschep­pe. Es sind grenz­ge­nia­le Wei­ne. Sie bie­ten Trin­k­erleb­nis­se, die Men­schen nicht ken­nen, die immer nur Lug­a­na, Sancer­re, spa­ni­schen Alb­ari­ño oder Ries­ling Guts­wein trinken.

Ich wür­de sie nicht als Orange-Weine bezeich­nen, obwohl sie vie­le Her­stel­lungs­merk­ma­le auf­wei­sen, die für die­se Kate­go­rie von Wei­nen zutref­fen: Mai­sche­stand­zeit, Spon­tan­ver­gä­rung im offe­nen Holz­bot­tich, Ver­zicht auf Tem­pe­ra­tur­kon­trol­le, kein Schö­nen, kein Fil­tern, kei­ne Schwe­fe­lung (oder zumin­dest nur mini­ma­ler Schwe­fel­zu­satz). Aber wenn man sie unbe­dingt als Orange-Wein kate­go­ri­sie­ren möch­te, muss ich hin­zu­fü­gen, dass sie abso­lut feh­ler­frei sind: null Oxi­da­ti­on, kei­ne Unfri­sche, kei­ne Vini­fi­ka­ti­ons­feh­ler. Und dass sie nicht oran­ge leuch­ten, son­dern zitronengelb.

Werlitsch – Wein ohne Primäraromen

Der bekann­te­re der bei­den Win­zer ist Ewald Tschep­pe. Sein Wein­gut heißt Wer­lit­sch­hof. Die Wei­ne hei­ßen Ex Vero I, II und III. Von letz­te­rem hat­te ich mir, als ich Tschep­pe vor ein paar Jah­ren besuch­te, einen Kar­ton mit sechs Fla­schen mit­ge­nom­men, ihn dann aber in mei­nem Kel­ler ver­ges­sen. Beim Umräu­men habe ich ihn wie­der ent­deckt und zwei Fla­schen des Ex Vero III auf­ge­macht – der Werlitsch-Spitzenwein. Die Trau­ben wach­sen hoch an dem Hang, an des­sen Fuß sich das Wein­gut befin­det. Dort sind die Böden beson­ders stei­nig, beson­ders arm an Humus, die Erträ­ge mit 35 Hek­to­li­tern pro Hekt­ar beson­ders nied­rig. Aus wel­chen Trau­ben­sor­ten der Wein besteht, ist ziem­lich egal. Die Werlitsch-Weine haben sowie­so kei­ne Pri­mär­aro­men (um die Neu­gier zu befrie­di­gen: der Ex Vero III besteht zu 90 Pro­zent aus Sau­vi­gnon und zehn Pro­zent Morillon).

Der 2011er, den wir tran­ken, ist ein cre­mi­ger, über­ra­schend fri­scher Wein mit viel Hefe-Reduktion. Wer will, kann Limo­nen­ab­rieb, Arti­scho­cken, Feu­er­stein, grü­nen Klee, Earl Grey in ihm ent­de­cken. Mich fas­zi­nier­te die­ser Wein, zwei mei­ner Mittrin­ker frem­del­ten mit ihm. Sie ver­miss­ten Frucht und sie stör­te das Reduk­ti­ons­bou­quet. Trotz­dem, die bei­den Fla­schen waren schnell leer, trotz aller Vor­be­hal­te. Die aktu­el­len Jahr­gän­ge sind, wie ich vor einem Jahr fest­stel­len konn­te, sogar noch einen Tick fei­ner (44,57 Euro, www.weinco.de).

Wein aus dem Erdfass: Andreas Tscheppe

Noch eigen­wil­li­ger sind die Wei­ne von Andre­as Tschep­pe, dem Bru­der. Auf sie passt der Begriff Orange-Wein eher. Der, den ich trank, hat­te eine gelb-rötliche Far­be, war eben­falls extrem cre­mig und prunk­te mit Tee- und Oloroso-Sherry-Aromen (hat aber nur 12,5 Vol.%). Einen Jahr­gang trug der Wein nicht auf dem Eti­kett (aus der Lot-Nummer auf dem Rücke­ti­kett konn­te man aber schlie­ßen, dass es sich um 2014 han­delt). Auch ein Name fehl­te. Das Eti­kett schmückt nur die Abbil­dung eines Hirsch­kä­fers. So heißt der Wein bei den Tschep­pes auch nur „Hirsch­kä­fer“. Andre­as und sei­ne Frau Eli­sa­beth benut­zen übri­gens für alle ihre Wei­ne bota­ni­sche Moti­ve: eine Blaue Libel­le, einen Segel­fal­ter, einen Sala­man­der, einen Schwal­ben­schwanz – Nütz­lin­ge, die immer sel­te­ner vor­kom­men, so wie Wei­ne mit ihrer Stilistik.

Auch der „Hirsch­kä­fer“ (übri­gens ein rein­sor­ti­ger Sau­vi­gnon blanc) ist mit eige­nen Hefen ver­go­ren, unge­schönt, unge­fil­tert und gänz­lich unge­schwe­felt. Im Unter­schied zu sei­nem Bru­der hat Andre­as die Fäs­ser, in denen die Wei­ne rei­fen, in der Erde ver­gra­ben. Ob das nur sym­bo­lisch gemeint ist oder dem Wein tat­säch­lich gut tut, ver­mag ich nicht zu beur­tei­len. Fakt ist, dass sei­ne Wei­ne außer­ge­wöhn­lich sind mit all den wil­den Geschmacks­no­ten, wie sie ein nor­mal vini­fi­zier­ter und geschwe­fel­ter Wein nie ent­wi­ckeln wür­de. „Der Wein erzählt die Geschich­te von sei­nem Boden und vom Jahr­gang, ich durf­te ihn beglei­ten“, beschreibt Andre­as sei­ne Rol­le bei der Wein­wer­dung. Nor­ma­ler­wei­se fin­de ich wenig Gefal­len an Natur­wei­nen, aber die­ser stei­ri­sche Land­wein ist famos – ein fun­keln­der Edel­stein in einer qua­li­ta­tiv hoch­ste­hen­den, aber immer uni­for­mer wer­den­den Wein­welt. Übri­gens: Inzwi­schen tra­gen Andre­as’ Wei­ne auch einen Jahr­gang auf dem Eti­kett. Der 2019er „Hirsch­kä­fer“ kos­tet rund 79 Euro. Im Han­del ist er schnell aus­ver­kauft. Am bes­ten man fragt im Wein­gut nach, wo er zu bekom­men ist (www.at-weine.at).

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