After Eight im Februar: Barolo von Gaja & Co., Pinot Noir von Kistler, Jülg, Meyer-Näkel und Martin Wassmer

Jens Priewe trinkt Wein erst nach acht Uhr abends. Aus seinem Februar-Tagebuch geht hervor, dass diesmal einiges richtig Gute dabei war.

Im letz­ten Wein­ta­ge­buch von Janu­ar hat­te ich geschrie­ben: Rot­wein kann ermü­dend sein, beson­ders der dunk­le, kon­zen­trier­te, holz­be­ton­te Rot­wein. Stimmt. Des­halb habe ich zu mei­ner eige­nen Über­ra­schung in der letz­ten Zeit mehr Weiß­wein als sonst getrun­ken, selbst im Win­ter. Ich behaup­te den­noch: Rot­wein ver­schafft, wenn er gut ist, die grö­ße­re Befriedigung.

Wenn er nicht gera­de Trol­lin­ger heißt, ist Rot­wein facet­ten­rei­cher im Geschmack, aro­m­en­tie­fer, üppi­ger. More seduc­ti­ve heißt es in den Kom­men­ta­ren eng­li­scher Wein­kri­ti­ker so oft: ver­füh­re­ri­scher.  Nicht jeder und nicht jede Weintrinker*in wird das so emp­fin­den. Vie­le Leu­te, vor allem die jün­ge­ren, spre­chen hoch­klas­si­gem Rot­wein den Trink­fluss ab und sagen: er sei ein­fach nur sät­ti­gend. Man trin­ke ein Glas, aber kei­ne Fla­sche. Mag sein – oder auch nicht.

Barolo von Renato Corino: Flasche leer

Am Ende hängt alles vom Wein selbst ab. Ein Rot­wein, bei dem bei mir regel­mä­ßig die Voll­zugs­mel­dung „Fla­sche leer“ ertönt, ist der Baro­lo. Er ist schwer, üppig, anspruchs­voll und nicht gera­de für sei­nen “Trink­fluss” berühmt. Aber er ermü­det nicht. Ist nicht sät­ti­gend. Er macht im Gegen­teil Appe­tit. Auf wei­ße Trüf­fel zum Bei­spiel, die es lei­der nach Weih­nach­ten nicht mehr gibt. Aber auch auf ande­res. Ich scheue mich nicht, Baro­lo zu Brat­kar­tof­feln und Roast­beef  zu trin­ken. Oder zu Pas­ta mit Hühn­chen­le­ber. Oder zu einem Stück Com­té. Und es braucht nicht unbe­dingt die gro­ßen Namen der Barolo-Welt, um zu genießen.

Rena­to Cori­no ist einer der klei­nen, unbe­kann­te­ren Win­zer, des­sen Baro­lo zwar kein Fer­ra­ri ist, aber ein gutes Ral­ly Car von Lan­cia ist auch nicht zu ver­ach­ten. Als ich vor Jah­ren mal mit FEINSCHMECKER-Lesern, die eigent­lich nur wegen der Trüf­feln ins Pie­mont gekom­men waren, bei Cori­no war, da hat­te ich Mühe, sie wie­der ein­zu­fan­gen und zum Gehen zu bewe­gen. Sie lie­ßen sich immer noch ein Glas ein­schen­ken, und noch eins und noch eins. Eine Fla­sche des 2011er, den wir damals tran­ken,  fand ich noch im Kel­ler und habe sie sofort geköpft: rela­tiv schlank mit fei­ner Frucht, wei­chem Tan­nin, mal­zi­ger Süße und moo­si­ger Wür­ze (Cori­nos Lagen-Barolo gibt es für knapp 50 Euro bei www.gerardo.de).

Mauro Veglios „Paiagallo“ und Gajas „Conteisa“

Ein ange­se­he­ner Stutt­gar­ter Wein­händ­ler hat­te mir kürz­lich gesagt, dass er mit Baro­lo nichts anfan­gen kön­ne und Men­schen nicht ver­ste­he, die Baro­lo mögen. Viel­leicht steht er mehr auf gepimp­te würt­tem­ber­gi­sche Lem­ber­ger oder aus­tra­li­sche Block­bus­ter. Viel­leicht hat er auch immer nur mit­tel­mä­ßi­ge oder dilet­tan­ti­sche Baro­lo getrun­ken, die es reich­lich gibt. An einem guten Baro­lo wür­de er, hof­fe ich, sei­nen Spass haben. Anfang Febru­ar hat­te mir Mau­ro Veglio  – eben­falls einer der klei­nen Win­zer – zum Bei­spiel eine Fla­sche 2016er Baro­lo „Paiagal­lo“ zum Pro­bie­ren geschickt: ein ele­gan­ter, Baro­lo mit geschlif­fe­nem Tan­nin aus einer Lage, die nur weni­ge ken­nen, die aber direkt neben der Para­de­la­ge Cannubi-Muscatel am Rand des Dor­fes Baro­lo liegt (€ 65, www.huelsmann-wein.de). Und über­haupt nicht anstran­gend, die­ser Wein. Barolo-Skeptiker könn­ten es zum Bei­spiel mal mit ihm versuchen.

Nach­dem “Paiagal­lo” hat­te ich mich so in den Baro­lo ein­ge­trun­ken, dass ich mir gleich noch eine Fla­sche geneh­mig­te. „Cont­ei­sa“ stand auf dem Eti­kett, Jahr­gang 2006. Der Erzeu­ger ist dies­mal kein Unbe­kann­ter: Gaja. Offi­zi­ell ist der Wein nur ein Lang­he Neb­bio­lo, weil er ein paar Pro­zent Barbera-Trauben ent­hält (was für einen Baro­lo nicht erlaubt ist). Aber da die Trau­ben aus der Lage Cere­quio kom­men, einem Grand Cru des Barolo-Anbaugebiets, kann man ihn getrost als Baro­lo bezeich­nen: ein extrem fei­ner, balan­cier­ter Wein, der mit Beeren- und Min­ze­aro­men auf­war­tet und viel Gra­nat­ap­fel und schwar­zen Pfef­fer ent­hält. Wenn die Fla­sche nicht geleert wur­de, lag es nur dar­an, dass ich an jenem Abend allein war. Zwei Tage spä­ter, als ich das letz­te Glas genoss, schmeck­te der Wein übri­gens noch bes­ser. Seit 2013 fir­miert der „Cont­ei­sa“ wie­der offi­zi­ell als Baro­lo (€ 205, www.bremer-weinkolleg.de).

Grandios: reifer „Vigna Rionda“ von Pira

Am fol­gen­den Wochen­en­de hat­te ich Freun­de ein­ge­la­den. Auf den Tisch kam ein Onglet vom Wagyu-Rind, das ich vor­mit­tags um 11 Uhr ins Rohr gescho­ben und dort acht Stun­den bei nur 80 Grad sanft geschmort hat­te. Onglet ist ein in Deutsch­land wenig bekann­ter Pre­mi­um Cut. Beim Rhein­gau­er Gourmet- und Wein­fes­ti­val hat­te ich vor ein paar Jah­ren das ers­te Mal ein Onglet geges­sen, Sven Elver­feld vom „Aqua“ in Wolfs­burg war der Gast­koch, und ich hat­te eini­ge Baro­lo, die dazu gereicht wur­den, zu kom­men­tie­ren. So rosa­rot und saf­tig prä­sen­tier­te sich mein Onglet beim Anschnitt, dass ich mich ent­schloss, noch tie­fer in den Wein­kel­ler zu stei­gen, um etwas Pas­sen­des zu die­sem Fleisch zu fin­den. Ich ent­schied mich für einen 2001er Baro­lo „Vigna Rion­da“ von Pira, ein wenig bekann­ter, aber sehr guter Produzent.

Wer sich im Anbau­ge­biet von Baro­lo aus­kennt, weiss, dass Vigna Rion­da eine her­aus­ra­gen­de Ein­zel­la­ge beim Dorf Ser­ral­un­ga ist. Von dort kom­men immer extrem schwe­re, jodi­ge, tann­in­star­ke, lang­le­bi­ge Baro­lo (berühmt ist der von Masso­li­no, frü­her auch der von Bru­no Gia­co­sa). Der 2001er, der als ganz gro­ßer Jahr­gang gilt, mach­te sei­nem Ruf alle Ehre: trans­pa­ren­tes Gra­nat­rot, mar­kan­ter Duft von Herbst­laub und Trüf­feln, auf der Zun­ge zim­t­i­ge Süße mit einer pikan­ten Aspi­rin­no­te – ein tol­ler Stoff und jetzt genau auf dem Höhe­punkt (77 Euro bei www.gute-weine.de, jun­ger Jahr­gang). Anstran­gend war nur das stän­di­ge Nachschenken.

Clerico und sein Barolo „Mentin Ginestra“

So schnell war die Fla­sche leer, dass ich bald für Nach­schub sor­gen muss­te, dies­mal in Gestalt eines „Men­tin Gine­s­tra“ von Cler­i­co. Cler­i­co gehör­te zu den Baro­lo Boys, die mit ihren Barrique-Barolo und unkon­ven­tio­nel­len Auf­trit­ten sei­ner­zeit für viel Furo­re gesorgt hat­ten, deren Wei­nen man damals aber gern die Lager­fä­hig­keit absprach. Sein Baro­lo aus dem gro­ßen 1999er Jahr­gang wider­leg­te das Vor­ur­teil. Er war so spek­ta­ku­lär gut, dass man sich fast schäm­te, sich in poli­tisch beweg­ten Zei­ten es so gut gehen zu las­sen. In jedem Fall belohn­te der Wein für zwan­zig Jah­re War­ten (€ 75 jüngs­ter Jahr­gang, www.lieblings-weine.de). Ich erin­ne­re noch die Wor­te, die Dome­ni­co Cler­i­co mir mit­gab, als ich ihn weni­ge Mona­te vor sei­nem Tod besuch­te: „Trin­ke was dir schmeckt, aber ver­giss den Baro­lo nicht.“

Kistlers grandioser Pinot Noir aus Sonoma Coast

Zu den High­lights des Monats Febru­ar gehör­ten noch drei deut­sche Spät­bur­gun­der und ein Pinot Noir aus Kali­for­ni­en, die eben­falls zu den Rot­wei­nen gehö­ren, in denen man baden könn­te. Den Vogel schoss der Kali­for­ni­er ab: der 2009er Pinot Noir von Kist­ler gehör­te zum Bes­ten, was ich in mei­nem Leben an Pinot Noir getrun­ken habe – die Côte de Nuits ein­ge­schlos­sen. Gefühlt ein 100 Punkte-Wein. Ich hat­te ihn einst auf einer Auk­ti­on für rela­tiv wenig Geld erstei­gert und fra­ge mich, wer so einen guten und raren Wein weg­gibt. Jetzt bin ich gespannt, wie er bei den Teil­neh­mern einer Pinot Noir-Probe ankommt, die ich in ein paar Wochen in Köln mode­rie­ren soll. Zwei Fla­schen habe ich näm­lich noch. Sie wer­de ich öff­nen. Eine gro­ße Rol­le für das posi­ti­ve Urteil hat natür­lich gespielt, dass der Wein sich jetzt in opti­ma­ler Trink­rei­fe befin­det: auf der einen Sei­te süße Himbeer-Candies und schwe­rer Moschus­duft, auf der ande­ren mit Rest­fri­sche aus­ge­stat­tet und einem Hauch von grü­nen Toma­ten – typisch für die küh­le, pazi­fik­na­he Sono­ma Coast (85 Euro, www.schreiblehner.com, jüngs­ter Jahrgang).

Rising Star beim Spätburgunder: Jülg

Beim Pinot Noir voll­zieht sich die Zei­ten­wen­de lang­sa­mer als in der Poli­tik. Schon vor Jah­ren zeig­ten die bes­ten Kali­for­ni­er, dass sie mit den Fran­zo­sen auf Augen­hö­he sind. Und auch in Deutsch­land ändern sich die Zei­ten Schritt für Schritt. Nach dem der Fokus jah­re­lang fast aus­schliess­lich auf Ries­ling gelegt wur­de, arbei­ten vie­le jun­ge Win­zer ihren Ehr­geiz inzwi­schen auch am Spät­bur­gun­der ab. Hohe Schu­le ist zum Bei­spiel das 2019er Spät­bur­gun­der GG „Son­nen­berg“ von Jülg aus der Süd­pfalz: ein Wein, der schon beim ers­ten Schluck mit sei­ner Ele­ganz und Frucht­sü­ße gera­de­zu betäubt. Nicht nur ich zäh­le die­sen Wein zu den Top 10 in Deutsch­land. Seit eini­gen Jah­ren schon sahnt Johan­nes Jülg mit sei­nen Lagen-Spätburgundern beim Rot­wein­preis von Mei­nin­ger ab. In der brei­ten Öffent­lich­keit ist Jülg dage­gen noch nicht so rich­tig ange­kom­men. Die Trau­ben für den Wein kom­men aus der Klein­la­ge Kos­tert, die auf der fran­zö­si­schen Sei­te des Schwei­ge­ner Son­nen­bergs liegt. Den­noch darf er als deut­scher Qua­li­täts­wein auf den Markt kom­men. Nur die Nen­nung der Klein­la­ge ver­bie­tet die deut­sche Wein­ge­setz­ge­bung. Zur Erken­nung trägt er des­halb die kryp­ti­schen Buch­sta­ben K.T. auf dem Eti­kett (35 Euro, www.pinard-de-picard.de).

Meyer-Näkels Spätburgunder „Grauwacke“

Wenn wir schon bei der Zei­ten­wen­de und den 2019ern sind, muss unbe­dingt auch Meyer-Näkels Spät­bur­gun­der „Grau­wa­cke“ von der Ahr erwähnt wer­den: ein Orts­wein in der 19,90 Euro-Klasse, wie es ihn nicht immer und nicht über­all in Deutsch­land gibt. Mit sei­ner mine­ra­li­schen Schär­fe und den sub­ti­len Gra­phit­fa­cet­ten bie­tet er mehr als nur das übli­che Spätburgunder-Mantra Frucht, Frucht, Frucht (www.meyer-naekel.de). Erkennt­nis: Es muss nicht immer ein GG sein, um die Magie des Pinot Noir ali­as Spät­bur­gun­der zu ent­de­cken. Aller­dings habe ich drei Tage an der Fla­sche getrun­ken. Erst der drit­te Tag ent­lock­te dem noch jun­gen Wein end­lich sein Pinot-Aroma. Am bes­ten also, ihn gleich karaffieren.

Spätburgunder „Schlatter“ von Martin Waßmer

Die Karaffier-Prozedur konn­te ich mir bei dem drit­ten Spät­bur­gun­der spa­ren, den ich mir im Febru­ar gegönnt habe. Es war der 2010er „Schlat­ter“ von Mar­tin Waß­mer aus Bad Krot­zin­gen im süd­li­chen Baden. Kein Lagen-, son­dern ein Selek­ti­ons­wein, wie er bei Wass­mer heißt, also ein geho­be­ner Orts­wein: rela­tiv aus­la­dend mit viel Lakrit­ze und war­mer Frucht, die jetzt im Rei­fe­sta­di­um an getrock­ne­te Goji­bee­ren erin­nert. Sti­lis­tisch eher old school. Also: mit ordent­lich Fleisch am Kno­chen. Weil Waß­mer, des­sen Län­de­rei­en vor allem in der Rhein­ebe­ne lie­gen, wo er Spar­gel und Erd­bee­ren anbaut, beim Wein bur­gun­disch denkt, habe ich zum „Schlat­ter“ ein­fach nur einen Epois­ses geges­sen, wie die käse­ver­rück­ten Fran­zo­sen es tun, wenn ein Bur­gun­der im Glas ist (28 Euro, jüngs­ter Jahr­gang, www.weingut-wassmer.de).

Zu guter Letzt: ganz grosses Kino

Wie Sie, lie­be Leser, gemerkt haben, war der Febru­ar ein Monat, in dem nicht aus­häu­sig geschlemmt und gefei­ert, son­dern der Koch­löf­fel meist in der eige­nen Küche geschwun­gen wur­de. Nur ein­mal war ich bei Freun­den ein­ge­la­den. Ein Wein, der bei die­ser Gele­gen­heit aus­ge­schenkt wur­de, gehört aber unbe­dingt in die­sen Arti­kel hin­ein, obwohl es ein wei­ßer war. Ich will nicht viel Wor­te um ihn machen, nur drei: ganz gro­ßes Kino. Damit Sie wis­sen, um wel­chen Wein es sich han­del­te, habe ich schnell das Han­dy gezückt und die Fla­sche foto­gra­fiert (was ich bei frem­den Leu­ten nor­ma­ler­wei­se nicht tue). Es war übri­gens der Jahr­gang 2006.

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