Der Tokaji wird immer trockener

Der ungarische Tokaji gilt als Inbegriff des edelsüßen Weins. Inzwischen ist mehr als die Hälfte der Weine trocken. Einer der neuen Stars ist István Balassa. Paul Kern hat mit ihm gesprochen.

Spricht man mit Ist­ván über die Lese, wird klar, was Tokaj für ihn zum kom­pli­zier­tes­ten Anbau­ge­biet der Welt macht. Den Groß­teil sei­ner 49 Par­zel­len, die sich über ins­ge­samt 14 Hekt­ar ver­tei­len und vor allem mit der Reb­sor­te Fur­mint bestockt sind, liest der Ein­zel­la­gen­ver­fech­ter sepa­rat. Sei­ne bes­ten Wei­ne kom­men rein­sor­tig und lagen­rein in die Fla­sche. „Ich bin da ver­rück­ter als mei­ne Nach­barn“, sagt Ist­ván. „Auf die Wis­sen­schaft muss man aber trotz­dem hören.“ Wann er liest, ob er eine Par­zel­le süß oder tro­cken aus­baut, das ent­schei­det Ist­ván unter ande­rem anhand von wis­sen­schaft­li­cher Ana­ly­se des Chlo­ro­phyll­ge­halts der Blät­ter, der ihm Auf­schluss über Boden­be­schaf­fen­heit, Was­ser­spei­cher­ka­pa­zi­tät und Humus­ge­halt geben. Auf weni­ge Meter genau.

Eine stille Revolution

„Tokaj ist das kom­pli­zier­tes­te Wein­bau­ge­biet der Welt“, sagt Ist­ván Balas­sa, wäh­rend er auf Goog­le Maps Pro sei­ne Wein­ber­ge betrach­tet. 49 Par­zel­len bewirt­schaf­tet er, man­che davon nicht grö­ßer als zwei oder drei Reb­zei­len. Win­zern wie ihm ist es zu ver­dan­ken, dass sich unweit des ukrainisch-slowakisch-ungarischen Drei­län­der­ecks in den ver­gan­ge­nen 20 Jah­ren eine stil­le Revo­lu­ti­on voll­zo­gen hat. Spit­zen­wei­ne kamen hier immer her. Aber sie waren süß. „Vinum regum rex vino­rum“, Wein der Köni­ge, König der Wein, steht tra­di­tio­nell auf dem Eti­kett und ver­weist auf die Zeit, als Wein aus Tokaj am Hof des Zaren getrun­ken wur­de – der süße natür­lich. Doch mitt­ler­wei­le hat sich Tokaj gewan­delt, und Ist­ván Balas­sa gehört zur ers­ten Win­zer­ge­ne­ra­ti­on nach die­sem Wan­del. Er setzt auf tro­cke­ne Weine.

István Balas­sa © Balassa

Parzellengenaue Lese

Auch im Kel­ler hat Ist­ván Balas­sa einen exak­ten Plan, etwa bei der Aus­wahl der Holz­fäs­ser. Wel­che Par­zel­le zu wel­chem Toas­ting passt, weiß Ist­ván meist schon vor der Lese. Lagen, die cre­mi­ge­re Wei­ne her­vor­brin­gen, baut er in stär­ker getoasta­ten Fäs­sern aus, exo­ti­sche­re in zurück­hal­ten­de­rem Holz. Wei­ne aus neu­en Fäs­sern lan­den über­haupt nicht bei den Lagen­wei­nen, da sie die fei­nen Unter­schie­de der Ter­ro­irs über­tün­chen wür­den. Den bio­lo­gi­schen Säu­re­ab­bau (BSA) ver­sucht Ist­ván zu ver­mei­den, weil er fin­det, dass er sei­nen Wei­nen Fri­sche raubt.

Seit 20 Jahren nimmt die Bedeutung der trockenen Weine zu

Mehr als ein Jahr­hun­dert lang war die Regi­on in Ost­un­garn für die glei­chen Wei­ne bekannt: die edel­sü­ßen Aszú. Sie sind die unga­ri­sche Vari­an­te einer Beeren- bezie­hungs­wei­se Tro­cken­bee­ren­aus­le­se. Eine zen­tra­le Rol­le spie­len bei den Aszú die soge­nann­ten Putt­on­y­os: Holz­büt­ten, die genau 25 Kilo­gramm edel­fau­ler, vom Botry­tis­pilz rosi­nier­ter Trau­ben­bee­ren fas­sen. Die Wer­tig­keit eines Aszú bemisst sich dar­an, wie vie­le Putt­on­y­os einem Gönci-Fass (134 Liter) voll Most hin­zu­ge­fügt wer­den. Ein 3-Puttonyos, der ein­fachs­te Aszú, besteht so aus etwa einem Drit­tel edel­fau­ler Bee­ren, ein 6-Puttonyos aus etwas mehr als 50 Prozent.

Weinbergshäuschen in der Lage Mézes Mály © Balassa

Furmint ist nach wie vor die wichtigste Rebsorte

Auch Ist­ván Balas­sa kel­tert nach wie vor ein paar Süß­wei­ne, wie vie­le sei­ner Kol­le­gen. Doch sowohl ihr Anteil an der Gesamt­men­ge als auch ihr Bei­trag zum Ruf Toka­js hat abge­nom­men. Weit unter 50 Pro­zent der Pro­duk­ti­on sind edel­süß, und jeder der Top­win­zer hat mitt­ler­wei­le einen tro­cke­nen Spit­zen­wein im Sor­ti­ment. Geblie­ben sind die Reb­sor­ten. Fur­mint ist das tra­di­tio­nel­le Aus­hän­ge­schild, das in den meis­ten Aszú-Weinen 60 bis 80 Pro­zent ein­nimmt und auch heu­te für die tro­cke­nen Wei­ne die mit Abstand wich­tigs­te Reb­sor­te ist. Die zwei­te Toka­jer Reb­sor­te heißt Hárs­le­velű, die zwar immer noch häu­fig ver­wen­det wird, in der ers­ten Rie­ge der Lagen­wei­ne aber kei­ne gro­ße Rol­le spielt. Glei­ches gilt für einen loka­len Mus­ka­tell­er­klon. Die Pio­nier­ar­beit zum Wan­del leis­te­te das bekann­te Wein­gut Sze­psy, das mit dem 2000er Úrá­gya einen Einzellagen-Furmint in die Fla­sche brach­te, der als der ers­te tro­cke­ne Spitzen-Tokajer gilt. Fünf Jah­re spä­ter, 2005, füll­te Ist­ván Balas­sa sei­ne ers­ten tro­cke­nen Wei­ne ab. Heu­te, nur 20 Jah­re nach Szep­sys, ist tro­cke­ner Fur­mint aus Tokaj nicht mehr wegzudenken.

Vulkanische Weine mit zurückhaltender Frucht

Zu Recht, wie Balas­sas Wei­ne bewei­sen. Geprägt sind sie alle­samt vom vul­ka­ni­schen Boden, der die Regi­on domi­niert und für ihr unver­wech­sel­ba­res Pro­fil ver­ant­wort­lich ist. Der Mas­ter­som­me­lier John Szabo, Autor des Buches Vol­ca­nic Wines – Salt, Grit and Power, bezeich­net das als weight­less gra­vi­ty: schwe­re­lo­se Schwer­kraft. Eine Dia­lek­tik, die auch in Ist­váns Wei­nen zu fin­den ist. Sie sind ölig, ohne fett zu sein, schmelzig, ohne nach Hefe zu schme­cken, herb, aber nicht bit­ter. Schon beim ein­fa­chen Toka­ji, dem Guts­wein, wird das deut­lich. Auf ein expres­si­ves Bou­quet folgt eine ange­neh­me Zurück­hal­tung im Mund, wel­che die Frucht nicht zurück­lässt, aber zügelt.

Furmint reagiert sensibel auf Boden und Klima

Eine ähn­li­che Sti­lis­tik weist der Nyulá­s­zó auf, bei dem die öli­ge Tex­tur noch deut­li­cher aus­ge­prägt ist und der geschmack­lich an Bergamotte-Zesten erin­nert: ein kraft­vol­ler, aber aus­ge­wo­ge­ner Wein mit 14 Volu­men­pro­zent Alko­hol, viel Frucht und zar­ter Tann­in­struk­tur. Ganz anders dage­gen der 2017er Dor­gó, der deut­lich weni­ger Frucht, dafür aber mehr Sal­zig­keit mit­bringt und nach Aus­tern­scha­len, Feu­er­stein und Ther­mal­bad schmeckt. Zwei Wei­ne die ver­deut­li­chen, wie sen­si­bel Fur­mint auf Boden und Kli­ma reagiert. 2017 war deut­lich küh­ler als 2018. Außer­dem ist Nyulá­s­zó die expres­si­ve­re Lage, wäh­rend Dor­gó immer etwas schlan­ker, „chablis-like“ schme­cke, so István.

Die Lage Bom­bo­ly © Balassa

Furmint und Riesling – zwei Seelenverwandte

Dass Furmint-Weine vor­züg­lich rei­fen kön­nen, zeigt ein ein­drucks­vol­ler 2010er, eben­falls aus der Lage Nyulá­s­zó. Hier ist die Riesling-Analogie noch kla­rer. Ein dezen­ter Petrol­ton und Aro­men von Rooi­bos­tee erin­nern an deut­lich älte­re Wei­ne aus Deutsch­land. Die Tex­tur ist jedoch immer noch zupa­ckend und zeigt recht viel kna­cki­gen Gerb­stoff. Der süße Sza­ma­ro­d­ni, was sowas wie der klei­ne Bru­der des Aszú aus gan­zen leicht rosi­nier­ten Trau­ben ist, ist geprägt von rei­fer Apri­ko­se, irgend­wo zwi­schen fri­scher und gedörr­ter Frucht. Wür­zi­ge Noten, die an ein­ge­koch­ten Sal­bei­si­rup erin­nern, zeu­gen von blitz­saube­rer Botry­tis, die kein biss­chen muf­fig schmeckt.

Dass Ist­ván bei­des beherrscht, süß und tro­cken, ist typisch für das neue Tokaj. Mitt­ler­wei­le scheint die Regi­on auch inter­na­tio­nal ange­kom­men zu sein. Nach gro­ßen Ver­än­de­run­gen in den Nuller­jah­ren, sta­gniert der Anteil an tro­cke­nen Wei­nen seit eini­gen Jah­ren. Viel­leicht ist Tokaj gera­de an einem Punkt, an dem deut­scher Ries­ling vor zehn Jah­ren war: Die ers­te Wel­le ist durch, und aus den jun­gen Wil­den von einst sind gestan­de­ne Win­zer gewor­den. Wie die Geschich­te in Deutsch­land wei­ter­ging, ist bekannt. Klaus Peter Kel­lers Wei­ne sind heu­te so rar und gefragt wie die bes­ten Bur­gun­der und der­zeit wid­men sich mehr und mehr Win­zer Reb­sor­ten wir Char­don­nay, Sau­vi­gnon Blanc oder Syrah. Und in Tokaj? Ist­ván Balas­sa kratzt mit sei­nem Szent Tamás Fur­mint bereits an der 50 Euro-Marke. Und Ries­ling hat er schon gepflanzt.

Tokaj Balassa: Die Weine

Toka­ji Fur­mint 2018
13,90€ bei borstore.de

Dor­gó Fur­mint 2017
21,90€ bei borstore.de

Nyulá­s­zó Fur­mint 2018
16,90€ bei borstore.de

Nyulá­s­zó Fur­mint 2010
16,90€ bei borstore.de

Sza­mo­rod­ni 2013
der­zeit nicht in Deutsch­land erhältlich

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