Rheinhessen und seine 2019er Großen Gewächse: Von begeisternd bis epochal

© Gunderloch
Der Gewinner des Jahrgangs 2019 ist Rheinhessen, meint Sebastian Bordthäuser. Er hat die Großen Gewächse (GG) probiert - und keinem weniger als 92 Punkte gegeben.

Der Jahr­gang 2019 hat in Rhein­hes­sen nach mei­ner Mei­nung die höchs­te Dich­te an Spit­zen­wei­nen her­vor­ge­bracht, die es in den letz­ten Jah­ren gege­ben hat. Obwohl er als drit­ter Jahr­gang in Fol­ge zu den Hit­ze­jahr­gän­gen zählt, ist es den VDP-Winzern gelun­gen, span­nungs­ge­la­de­ne, teil­wei­se hoch­klas­si­ge Wei­ne zu erzeu­gen. Nach­dem ich auf der „Vor­pre­mie­re“, die der Ver­band Deut­scher Prä­di­kats­wein­gü­ter regel­mä­ßig Ende August für Händ­ler, Som­me­liers und Fach­jour­na­lis­ten in den Kur­haus­ko­lon­na­den in Wies­ba­den ver­an­stal­tet, 32 rhein­hes­si­sche GG des Jahr­gangs 2019 ver­kos­ten konn­te, steht mein Urteil fest: Die bes­ten GG sind über den bes­ten 2018ern anzu­sie­deln. Das auf­fäl­ligs­te Phä­no­men ist, dass die Unter­schei­dung in küh­le und war­me Jahr­gän­ge in 2019 nicht mehr greift. 2019 ver­eint Rei­fe und hohe Säu­re. Er hat fri­sche und den­noch ver­ti­ka­le Wei­ne her­vor­ge­bracht, die Tie­fe besit­zen und ein gro­ßes Ent­wick­lungs­po­ten­ti­al haben. Dazu kommt, dass das Kor­rek­tiv des Rest­zu­ckers aus­ge­dient hat. Die rhein­hes­si­schen GG wir­ken tro­cke­ner als noch vor fünf Jah­ren. Die­se Ent­wick­lung fußt in der Erkennt­nis, dass das größ­te Kapi­tal die Böden sind. Die meis­ten GG stam­men min­des­tens aus nach­hal­ti­ger, wenn nicht sogar aus bio­lo­gisch oder zer­ti­fi­ziert bio­dy­na­mi­scher Bewirt­schaf­tung – alle GG des Roten Hangs bei Nier­stein bei­spiels­wei­se. Die nach­hal­ti­ge Wein­bergs­be­ar­bei­tung ermög­licht es auch in war­men Jah­ren, rei­fe Wei­ne mit nied­ri­gem Alko­hol­ge­halt zu erzeu­gen, teil­wei­se sogar unter 12 Vol.%.  Dadurch wird das Pro­fil der Lagen enorm geschärft. Die Spit­zen des Jahr­gangs 2019 in Rhein­hes­sen tra­gen jeden­falls den Titel „Gro­ßes Gewächs“ zu Recht.

Dreimal Scharlachberg, dreimal bestechende Qualität

Ich begin­ne mit drei GG vom Bin­ge­ner Schar­lach­berg. Er galt lan­ge als eine der wert­volls­ten Lagen Deutsch­lands und kehrt, nach­dem es vie­le Jah­re still um ihn gewor­den war, nun wie­der in den Fokus der Auf­merk­sam­keit zurück. Sein Name lei­tet sich ab von den schar­lach­ro­ten, mit Eisen­oxid durch­zo­ge­nen Schie­fer­ver­wit­te­rungs­bö­den, die teils mit star­ken Quarzit-Adern durch­setzt sind. Den Auf­takt macht der Schar­lach­berg vom Wein­gut Bischel mit rei­fen Apri­ko­sen und Zitrus in der Nase, dazu mit deut­li­chen Kräu­ter­no­ten. Am Gau­men zeigt sich der Wein balan­ciert mit würzig-herbem Antrunk, pikan­ter Säu­re und vis­ko­ser Hap­tik – ein mar­kan­ter Ries­ling und ein for­mi­da­bler Ein­stieg in die Pha­lanx rhein­hes­si­scher Wei­ne (92). Mehr auf der freudvoll-fruchtigen Sei­te ist die Inter­pre­ta­ti­on von Kruger-Rumpf. Kräu­ter­wür­zig unter­legt von gel­bem Frucht­mark und stei­ni­ger Mine­ra­lik, wirkt er etwas weni­ger exal­tiert und gleich­zei­tig Publikums-affiner. Ker­nig herb am Gau­men bie­tet er ein struk­tu­rell hap­ti­sches Erleb­nis, das von sat­ter, rei­fer Frucht flan­kiert wird (94). Der drit­te Wein, Wagner-Stempels Schar­lach­berg, eröff­net mit leich­ter Reduk­ti­on und rau­chi­gen Noten – distink­ti­ve Kräu­ter­wür­ze grun­diert von nas­sem Stein und der Essenz gel­ber Äpfel und wei­ßer Pfir­si­che. Die Nase wirkt noch etwas dis­pa­rat, der Gau­men bie­tet jedoch einen kla­ren Aus­blick in die gran­dio­se Zukunft die­ses GG: Es zeigt sich eng­ma­schig und dicht, salin pul­sie­rend mit ordent­li­chem Bass und enor­mer inne­rer Span­nung bei lan­gem, küh­lem Nach­hall (96) – ein Wein, der die Güte und Grö­ße der Her­kunft schlüs­sig zusammenfasst.

Gunderloch kann es: Grosse Gewächse mit nur 11,5 Vol.% Alkohol

Die rhein­fer­ne­re Lage Hun­dert­gul­den bei Appen­heim zählt zu den kalk­hal­tigs­ten Lagen Rhein­hes­sens. Die Wei­ne von dort sind in ihrer Jugend oft etwas ver­na­gelt. Die­ses Jahr aller­dings zeigt sich Bischels GG von dort erstaun­lich offen mit rei­fer, gel­ber Frucht, unter­legt mit Kalkstein-Mineralik und leicht äthe­ri­scher Kopf­no­te. Sei­ne pikan­te Säu­re, die rei­fe, fül­li­ge Frucht und die fein­her­be Phe­n­o­lik bil­den ein kon­tu­rie­ren­des Ele­ment (93). Wei­ter zum Roten Hang: Johan­nes Has­sel­bach vom Wein­gut Gun­der­loch hat die­ses Jahr als ein­zi­ger ein GG vom Nacken­hei­mer Rothen­berg ange­stellt (Kühling-Gillot hat­te sein „wur­zel­echt“ GG vom Rothen­berg zurück­ge­zo­gen). Es weist, wie auch sei­ne ande­ren GG, ledig­lich 11,5 Vol.% Alko­hol auf: bemer­kens­wert, denn der Rote Hang ist bekann­ter­ma­ßen eine sehr war­me Lage. Dabei wirkt der Rothen­berg kei­nes­falls schlank oder zu früh gele­sen, ganz im Gegen­teil. In der Nase oszil­liert er zwi­schen dunk­ler, rau­chi­ger Mine­ra­lik und fri­scher Frucht, die an Zitrus, grü­ne Man­da­ri­nen, Oran­gen­blü­ten­was­ser und gel­be Äpfel erin­nert. Dazu kom­men nas­se Kie­sel­stei­ne, wei­ßer Pfef­fer und Veti­ver. Fein­glied­rig, leicht und tän­ze­risch zeigt er sich am Gau­men, flir­rend und den­noch tief­grün­dig (94+).

Die glorreichen Drei aus dem Niersteiner Pettenthal

Das fol­gen­de Trio vom Pet­ten­thal wur­de von Gun­der­loch, Schät­zel und Kühling-Gillot bestrit­ten. Gun­der­loch zeigt sich aber­mals trans­pa­rent und vibrie­rend, dezent gelb­fruch­tig mit pro­fun­der Stei­nig­keit und mar­kan­ter, dunk­ler Mine­ra­lik, straff gewirkt und den­noch mit Fül­le und Schub (95). Kühling-Gillots Pet­ten­thal mar­kiert die­ses Jahr die Spit­ze der GG vom Roten Hang. Mit allen Aroma-Reglern auf Maxi­mal­an­schlag wur­de das Ter­ro­ir for­mi­da­bel auf die Fla­sche gebracht. Stei­nig mit extrakt­rei­cher Frucht zeigt er sich in der Nase dis­zi­pli­niert mit leich­ten Rauch- und Kräu­ter­no­ten, bis er am Gau­men zur vol­len Grö­ße auf­läuft. Das Leit­mo­tiv ist die rei­fe Säu­re, an der sich alle wei­te­ren Para­me­ter wie Mine­ra­lik, Phe­n­o­lik und die vis­ko­se Hap­tik ori­en­tie­ren (97). Kai Schät­zels Pet­ten­thal ist wie die bei­den Vor­gän­ger eben­falls auf der rauchig- stei­ni­gen Sei­te. Unter der Schätzel-typischen Reduk­ti­ons­no­te ten­dier­te die Frucht jedoch ein­deu­tig mehr ins Zit­ri­sche. Ent­ge­gen sei­nes fili­gra­nen Auf­tritts in der Nase baut sein GG am Gau­men kom­pro­miss­los Druck auf. Mit hoher inne­rer Span­nung model­liert ihn sei­ne ver­ti­ka­le rei­fe Säu­re als sehnig-kerniges Erleb­nis. Die jugend­li­chen Gerb­stof­fe sind fein wie Schmir­gel­pa­pier mit aromatisch-herber Kom­po­nen­te und eben­falls mode­ra­ten 11,5% Alko­hol (95+). Chapeau!

Ölberg – zweimal ganz verschieden interpretiert

Der Nier­stei­ner Ölberg trat im Dop­pel von Kühling-Gillot und Schät­zel an. Der Kühling-Gillotsche Ölberg ist in der Jugend stets schnell zugäng­lich und prunkt mit fei­ner Kräu­ter­wür­ze auf fes­tem mine­ra­li­schem Fun­da­ment. Mit Blü­ten­no­ten und redu­zier­ter Frucht im Ober­ton­be­reich zeigt er sich am Gau­men als hap­ti­sches Erleb­nis mit fes­tem Grip und der auch hier alles struk­tu­rie­ren­den, jugendlich-reifen Säu­re, die die Marsch­rich­tung vor­gibt und damit bes­tes Rei­fe­po­ten­ti­al anzeigt (94+). Schät­zels Ölberg war im Antrunk wie in der Nase dage­gen von juve­ni­lem Unge­stüm geprägt, mit Zündplättchen-Duft und einer ordent­li­chen Por­ti­on Rauch- und Geröll­no­ten, die sich am Gau­men fort­set­zen. In der Jugend stets etwas stör­risch und geprägt vom low Inter­ven­ti­on-Aus­bau, benö­ti­gen Schät­zels Wei­ne stets Fla­schen­rei­fe, um ihr Poten­ti­al aus­zu­spie­len. Ein Wein, der Ein­stei­ger irri­tie­ren könn­te, die Gedul­di­gen aber belohnt (93).

© Gun­der­loch

Dreimal Hipping von Gunderloch, Kühling-Gillot und Schätzel

Schliess­lich Hip­ping. Gun­der­lochs GG aus die­ser benach­bar­ten Lage ist dies­mal aus­ge­spro­chen rau­bei­nig: reduk­tiv in der Nase, unter­legt von rei­fer, exo­ti­scher Gelb­frucht, im Antrunk drah­tig, ker­nig, straff und mit fes­tem Grip am Gau­men – ein Wein fast zum Kau­en. Mit sei­nem sali­nen Fun­da­ment ver­tritt er eine ani­mie­rend küh­le, puris­ti­sche Sti­lis­tik, doch mit gro­ßer Vibra­ti­on und Nach­hall (95). Kühling-Gillots Hip­ping zeig­te sich, wie so oft in der Jugend, von der kräu­te­ri­gen Sei­te mit der typi­schen Mine­ra­lik des Rot­lie­gen­den im Roten Hang. Gebet­tet auf rei­fer, gel­ber, teils auch exo­ti­scher Frucht ist er am Gau­men reich­hal­tig, aber gleich­zei­tig mit straff geschnür­tem phe­n­o­li­schem Kor­sett. Ani­mie­rend ist er bereits jetzt, was in Anbe­tracht der Res­sour­cen, die er birgt, aller­dings einen gera­de­zu fahr­läs­si­gen Umgang mit sei­nem Poten­zi­al dar­stel­len wür­de (96). Kai Schät­zels Hip­ping ist noch geprägt von den letz­ten Gär­no­ten, die an Hefe und Zünd­schnur erin­nern. Dar­un­ter schlum­mern attrak­ti­ve Pfirsich- und Mara­cu­ja­no­ten, die in ein fes­tes mine­ra­li­sches Kor­sett gebet­tet sind. Die fein­kör­ni­ge Phe­n­o­lik raut ihn am Gau­men auf wie fei­nes Schmir­gel­pa­pier und gar­niert ihn mit ani­mie­ren­den Bit­ter­no­ten, die ihm zusätz­li­chen Trink­fluss und eine zusätz­li­che Schlag­zahl ver­lei­hen (95). Bleibt St. Ant­o­nys GG vom Orbel: Nase nach voll­rei­fem Pfir­sich, gelb­fruch­tig am Gau­men mit sub­ti­ler Wür­ze von rotem Pfef­fer und Feu­er­stein. Die Säu­re ist auch hier das Leit­mo­tiv, die prä­sen­ten, jugend­li­chen Gerb­stof­fe soll­ten sich bald inte­grie­ren: ein tief­grün­di­ger Wein mit Mut zur Phe­n­o­lik, was mir per­sön­lich sehr gut gefällt (94).

Brüder Dr. Becker, Gutzler, Bischel, Wagner-Stempel

Die bei­den GG des Wein­guts Brü­der Dr. Becker, der Fal­ken­berg und der Tafel­stein aus Dien­heim, zei­gen sich bei­de gelb­fruch­tig mit mar­gi­na­len Wachs-Noten, leicht rau­chig, spi­cy, am Gau­men mine­ra­lisch mit saftig-voluminösem Auf­tritt und stof­fi­ger Frucht (bei­de 92). Das Lieb­frau­en­stift Kir­chen­stück von Gutz­ler geht dage­gen in die Vol­len: Die sat­te, gel­be Frucht wird von der Säu­re förm­lich über den Gau­men getrie­ben, flan­kiert von packen­der Phe­n­o­lik. Das alles wirkt sti­mu­lie­rend und selbst­er­klä­rend (93). Unter­schied­li­cher wie es kaum geht sind die bei­den GG vom Heer­kretz aus Sie­fers­heim. Wäh­rend Bischel auf die Zugäng­lich­keit durch Frucht setzt und unge­dul­di­gen Wein­kon­su­men­ten bereits jetzt weit geöff­ne­te Trink­fens­ter anbie­tet, zeigt sich das ent­spre­chen­de GG von Wagner-Stempel weit­aus zuge­knöpf­ter. Im rau­chi­gen Entree domi­nie­ren zunächst Aro­men von dunkleb Bee­ren und nas­sen Stei­nen. Am Gau­men ist der Wein flei­schig, dicht, mit pul­sie­ren­der mit Säu­re und her­ber Phe­n­o­lik sowie außer­or­dent­li­cher Län­ge und Tie­fe (95+). Wagner-Stempels Höll­berg zeigt sich hin­ge­gen offe­ner und ist über sei­ne rei­fe, sat­te Frucht leicht zugäng­lich. Der war­me Cha­rak­ter des Wei­nes spie­gelt den Jahr­gang, wird in sei­ner Fül­le stets durch die prä­sen­te, rei­fe Säu­re dis­zi­pli­niert und zeigt sich im Kon­trast zum eher intel­lek­tu­el­len Heer­kretz von sei­ner jovia­len Sei­te (94).

Battenfeld-Spanier und sein Frauenberg: kristalline Brillanz

Kom­men wir zu den GG aus West­ho­fen und dem süd­li­chen Won­ne­gau. Battenfeld-Spanier ist in bei­den Anbau­zo­nen ver­tre­ten. Den Ein­stieg macht der ful­mi­nan­te Frau­en­berg aus Nieder-Flörsheim. Sorg­te die bereits 1290 erst­mals erwähn­te Lage noch vor zehn Jah­ren teils für irri­tier­tes Kopf­schüt­teln, legt der Frau­en­berg heu­te alle Kar­ten auf den Tisch und zählt zwei­fels­frei zu den Spit­zen­la­gen Rhein­hes­sens. Mit verwegen-rauchigem Bou­quet kün­digt sich die­ser hoch­mi­ne­ra­li­sche Wein an. Am Gau­men bestä­tigt er die­sen Ein­druck. Die Extrakt­sü­ße und Frucht tra­gen zur kräf­ti­gen Struk­tur des Weins bei, die sich um die rei­fe, alles defi­nie­ren­de Säu­re schmie­gen. Mit kris­tal­li­ner Bril­lanz und polier­tem Gerb­stoff hat der Frau­en­berg enor­mes Poten­ti­al. Die­ses GG hat nicht nur die Lage, son­dern die gesam­te Regi­on wie­der in die ers­te Rei­he kata­pul­tiert (97+).

Zwei ganz unterschiedliche GG aus der Lage Aulerde

Aus der Lage Auler­de in West­ho­fen kom­men zwei GG. Das vom Wein­gut Groe­be ist fül­lig und von rei­fer Gelb­frucht geprägt, die sich vom Antrunk bis zum Nach­hall streckt und belegt, dass ein gro­ßer Wein in der Jugend nicht immer ver­schlos­sen sein muss (93+). Die Wittmann’sche Auler­de ist weni­ger frucht­ge­prägt. Die gewohn­ten, tropisch-gelbfruchtigen Aro­men zei­gen sich die­ses Jahr reser­vier­ter. Sei­ne Auler­de ist ein durch und durch struk­tu­rell gepräg­tes GG, das nicht durch Frucht­fül­le, son­dern mit einem gleich­schenk­li­gen Drei­eck aus Säu­re, Phe­n­o­lik und Mine­ra­li­tät zu über­zeu­gen weiß. Mit fei­ner Sal­zig­keit und viel Grip am Gau­men balan­ciert die­ser Wein die redu­zier­te Frucht gut aus und hüllt ihn in ein figur­be­ton­tes Gewand aus sei­di­gem Zwirn – ein Wein mit dun­kel­fruch­ti­gem Nach­hall und küh­ler Mine­ra­lik, und das bei frap­pie­ren­der Län­ge (94+). Das Kir­chen­stück von Battenfeld-Spanier führt uns von West­ho­fen wie­der ins süd­li­cher gele­ge­ne Hohen-Sülzen. Unter den drei GG die­ses Wein­guts ist das Kir­chen­stück stets das zugäng­lichs­te und fruch­tigs­te. Oszil­lie­rend zwi­schen Kräu­ter­wür­ze und leicht rau­chi­ger Kopf­no­te wirkt die­ser Wein der­zeit noch etwas unent­schlos­sen. Aber am Gau­men bril­liert er mit sub­ti­ler Frucht und sei­di­gem Gerb­stoff (94).

Kirchspiel und Brunnenhäuschen – da spielt die Musik

Das West­ho­fe­ner Kirch­spiel wur­de uns Jour­na­lis­ten die­ses Jahr nur von Witt­mann und Groe­be zur Ver­kos­tung gereicht. Groe­be bleibt auch hier sei­ner Sti­lis­tik treu, die stets auf eine prä­sen­te Frucht als Leit­mo­tiv setzt. Die ist gut ein­ge­fasst in die typi­sche Kirchspiel-Mineralik, wird dabei von noblem Bit­ter­stoff flan­kiert, lässt den Wein aber etwas weni­ger tief­grün­dig erschei­nen (93+). Doch dies ist Kri­tik auf höchs­tem Niveau. Witt­manns West­ho­fe­ner Kirsch­spiel lockt mit gel­ber Pfir­sich­frucht, einem Hauch von Ana­nas und reich­lich Zitrus­aro­men, die sich am Gau­men in einem weit gespann­ten Säu­re­bo­gen mani­fes­tie­ren. Im Antrunk kennt die­ses GG dann kei­ne Gna­de: Feins­te Gerb­stof­fe bau­en sich auf der Zun­ge auf und kumu­lie­ren mit der her­ben Phe­n­o­lik zu einem tie­fen Bass, der den Gau­men schwin­gen lässt. Die sei­di­gen Gerb­stof­fe sind eng­ma­schig und dicht, die Frucht ord­net sich dem struk­tu­rel­len Arran­ge­ment des Weins unter (95). Witt­manns Brun­nen­häus­chen legt mei­nes Erach­tens noch eine Schip­pe drauf: sei­di­ge Tex­tur, nahe­zu kris­tal­li­ne Frucht von wei­ßen Johan­nis­bee­ren und wei­ßem Pfir­sich, vor Extrakt fast bers­tend. Getrie­ben von einer mar­kan­ten Säu­re wirkt das Brun­nen­häus­chen am Gau­men sal­zig und straff mit enor­mer Län­ge und ätherisch-kühlem Nach­hall, der an Bach­min­ze erin­nert: ein epo­cha­ler Wein (97).

Keller oder Wittmann – wer hat beim Morstein die Nase vorn?

Die drei Wei­ne aus dem West­ho­fe­ner Lage Mor­stein von Gutz­ler, Kel­ler und Witt­mann ste­hen eben­falls für hohes rhein­hes­si­sches Niveau. Gutz­ler star­tet mit vol­ler Frucht vor­aus: saf­tig, extrakt­reich, dicht mit guter Balan­ce von Frucht, Säu­re und Extrakt (94). Das ein­zi­ge in Wies­ba­den ange­stell­te GG von Klaus-Peter Kel­ler befeu­er­te vie­le Dis­kus­sio­nen zwi­schen den Ver­kos­tern, wes­sen Mor­stein der bes­se­re sei, der von ihm oder der von Witt­mann. In der Nase nahe­zu ver­schlos­sen, zeigt er sich am Gau­men als fest geschnür­tes, struk­tu­rel­les Meis­ter­werk: enorm dicht ohne ein Gramm Bal­last oder Fett. Sei­ne mar­kan­te Säu­re ist die struk­tu­rel­le Ach­se, an der sich Mine­ra­lik, Phe­n­o­lik und Extrakt auf­fä­deln wie an einer Per­len­ket­te, um dann punkt­ge­nau in der Mit­te der Zun­ge zu lan­den (96). Witt­manns Mor­stein wirkt danach etwas lei­ser. Er ver­zich­tet auf den lau­ten Auf­tritt, agiert sub­ti­ler. Sei­dig und fein, wirkt er im Antrunk fast schüch­tern, läuft aber dann schnell zu vol­ler Grö­ße auf. Ich notier­te: vibrie­rend, kon­zen­triert, fines­se­reich, kom­pri­miert, sei­dig mit fei­nem, fast pul­ve­ri­sier­ten Tan­nin, zar­therb nach Grape­fruit schme­ckend, Spit­zen­klas­se (96+). Schliess­lich noch Battenfeld-Spaniers Zel­ler­weg Am Schwar­zen Herr­gott aus Möls­heim: dun­kel­fruch­tig, mine­ra­lisch, sonor, macht er ordent­lich Druck am Gau­men ist er auf Augen­hö­he mit den GG von Kel­ler und Witt­mann (96+).

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