Im Glühwein-Rausch: Wieso Glühwein früher halluzinogen wirkte

Frau trinkt auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein
Draußen wird es kalt und in unseren Gläsern immer wärmer – die Rede ist natürlich von Glühwein. Der Weinkenner kennt die Geschichte des Glühweins und weiß, wieso der Kultwein einst halluzinogen wirkte und sogar als Medizin Verwendung fand.

Was wären die lan­gen dunk­len Win­ter­aben­de ohne Glüh­wein? Und erst recht die Weih­nachts­märk­te? Trau­ri­ge Zei­ten wären das, ganz trau­ri­ge. Umso drin­gen­der gebührt ein Dank an den Erfin­der des Heiß­ge­tränks aus Rot­wein, fein gewürzt. Doch wer hat’s erfun­den und wann?

Nun, es waren die Römer etwa 100 v. Chr., die Schwe­den 1.600 Jah­re spä­ter und Rau­graf von Wacker­barth im 19. Jahr­hun­dert. Wei­te­re 100 Jah­re dar­auf, war es in den „gol­den roaring twen­ties“ auf ein­mal hip, sich beim Schlitt­schuh­lau­fen, bei Bas­tel­aben­den, auf Christ­kind­märk­ten, Weih­nachts­par­tys oder zum Kar­ne­val täss­chen­wei­se Glüh­wein zu geneh­mi­gen. Und Sil­ves­ter sowie­so, vor dem tra­di­tio­nel­len Sekt um zwölf Uhr und gleich danach wie­der. War­um? Weil das Bür­ger­tum sich nicht genug amü­sie­ren konn­te und weil Glüh­wein so gut schmeckt(e) wie nichts, was man zuvor gekannt hat­te. Viel­leicht noch Eier­punsch, aber das ist ja wie­der etwas anderes.


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Kultgetränk Glühwein – am besten macht man’s selbst

Aus­ge­nom­men wäh­rend der fol­gen­den Kriegs­zei­ten, war Glüh­wein bis in die spä­ten 1980er hin­ein „The win­ter drink“ – und ist es heu­te end­lich wie­der. Wobei wir das, was in der jün­ge­ren Ver­gan­gen­heit aus Tetra­packs als „fer­ti­ger Glüh­wein“ ser­viert wur­de, ein­fach unbe­ach­tet las­sen. Schließ­lich sind Geschmack­lo­sig­kei­ten nicht dazu da, um auch noch auf­ge­wärmt zu werden.

Glühwein-Zubereitung im Topf
Am bes­ten schmeckt er selbst­ge­macht: Winter-Liebling Glühwein!

 

Glüh­wein näm­lich muss nach Rezept zube­rei­tet wer­den. Gut schmeckt oft Glüh­wein von einem Wein­gut, wel­ches den eige­nen Glüh­wein, auf Basis von Dorn­fel­der, Regent oder Spät­bur­gun­der, fer­tig in Fla­schen abfüllt. Die­ser muss dann nur noch erhitzt wer­den. Ansons­ten ste­hen wir selbst am Herd mit dem Rot­wein unse­res momen­ta­nen Lieb­lings­ge­schmacks im Topf, fri­schen Oran­gen­schnet­zen, fei­nem Honig und Gewür­zen aus dem Bioladen.

Das Pro­ze­de­re nimmt eine gute hal­be Stun­de in Anspruch, wobei die Zube­rei­tung und das Erhit­zen (bloß nicht kochen!) ratz­fatz gehen. Für das Zie­hen mit geschlos­se­nem Deckel soll­ten aber 20 bis 30 Minu­ten drin sein und das bei klei­ner Hit­ze. Wenn Glüh­wein gekocht wird, geht der vol­le, inten­si­ve Geschmack ver­lo­ren, in dem jede Zutat ihren eige­nen Cha­rak­ter ent­wi­ckelt hat. Und die­ser Duft..!

So weit, so emo­tio­nal und lei­den­schaft­lich und damit genau der Zeit­punkt, den Geschich­ten um dem Geheim­nis der Erfin­dung des Glüh­weins auf den Grund zu gehen … zumal man sich heu­te der alten Rezep­tu­ren ger­ne wie­der besinnt, wenn auch in ande­ren Dosie­run­gen der Ingre­di­en­zi­en und Zusammensetzungen.

Die Notlösung für schlechten Wein – mit berauschender Wirkung

Auch die Grün­de des Wein­wür­zens waren frü­her ganz ande­re als heu­te. Denn was vor gut 2.000 Jah­ren, wie auch zu des säch­si­schen Rau­gra­fen Wacker­barths Zei­ten (1770-1850) in den Wein gekippt wur­de, war aus­schließ­lich dazu da, die „guten Trop­fen“ irgend­wie trink­bar zu machen. Zum Bei­spiel, wenn sie in ihrem Urzu­stand sau­er gera­ten waren oder dünn wie Gän­se­wein. Wenn sie nach allem Mög­li­chen, aber über­haupt nicht gut schmeck­ten und irgend­wie auch komisch aussahen.

Vom Würzwein zum Glühwein
Frü­her wur­den aller­hand ande­re Zuta­ten zum Würz­wein gegeben.

Dann wur­de Honig für die Süße dazu gemischt und Kar­da­mon, um ande­re Geschmä­cker zu neu­tra­li­sie­ren. Dazu wur­de der Würz­wein, wie jeder ande­re Wein auch, mit Eiweiß oder Gela­ti­ne aus Schwei­ne­haut oder Schwimm­bla­se vom Fisch geklärt. Um dar­aus Würz­wein zu machen, tat man Anis hin­ein und schreck­te auch vor der Zuga­be von gerie­be­ner Mus­kat­nuss nicht ab. Davon kamen sogar 14 Gramm auf einen knap­pen Liter Wein! Das ist umso bemer­kens­wer­ter, da man heu­te weiß, dass die Ein­nah­me von mehr als vier Gramm Mus­kat­nuss fast unwei­ger­lich zu Hal­lu­zi­na­tio­nen und Wahn­vor­stel­lun­gen führt. Eiweiß, Gela­ti­ne oder Fisch­bla­se zur Klä­rung des Weins – das ist auch heu­te noch Usus, aber die­se tüch­ti­ge Zuga­be an Hal­lu­zi­no­gen, Don­ner­wet­ter! Das Gan­ze wur­de erhitzt, weil die Ingre­di­en­zi­en sich im Wein ja auf­lö­sen muss­ten – da war nach einem kräf­ti­gen Schluck was los in der Blutbahn!

Muskatnuss
Mus­kat­nuss wur­de für die Zube­rei­tung des Glüh­weins nicht zu knapp ver­wen­det – mit berau­schen­den Folgen.

Allheilmittel Glühwein: „Paradoxer Gewürzwein”

Dass man die­se Erfah­run­gen auch medi­zi­nisch nut­zen konn­te, bewie­sen schon die alten Römer um 100 v. Chr. mit dem „Gesundheits-Rezept Para­do­xer Gewürz­wein gegen Magen­lei­den und Darm, Schmer­zen in Kopf und Brust und gegen bruns­ti­ge Erschlaffungen“.

Dazu wur­den 15 Pfund Honig (4,9 Kilo­gramm) zu zwei Sex­t­a­ri­en Wein (ca. 1,1 Liter) in ein metal­le­nes Gefäß gefüllt, um die Mischung auf klei­ner Flam­me von Eichen­holz lang­sam zu erhit­zen. Dabei wur­de mit dem Schle­gel (Schnee­be­sen) umge­rührt, bis die Brü­he koch­te. Das anschlie­ßen­de Auf­schäu­men wur­de mit Wein ein­ge­dämmt, so lan­ge bis die Flam­me aus­ge­gan­gen war und das Gemisch abkühl­te. Zwei mal noch wur­de die Pro­ze­dur wie­der­holt, der letz­te Schaum aber wur­de erst am nächs­ten Tag abge­nom­men. Gleich­zei­tig weich­te man fünf Dat­teln in mil­dem Wein ein und rös­te­te die Ker­ne im offe­nen Feuer.

Glühwein Zutaten heute: Orange, Zimt, Sternanis, Zucker
Heut­zu­ta­ge sind die typi­schen Glühwein-Zutaten wesent­lich fruch­ti­ger und süßer als damals.

Dann begann das gro­ße Wür­zen: Vier Unzen Pfef­fer (ca. 110 Gramm), drei Skru­pel (ca. 3,5 Gramm) gemah­le­ne Mastix, je eine Drach­me (ca. 3,5 Gramm) Safran und Narden- oder Lor­beer­blät­ter, die Dat­teln mit ihren Ker­nen wur­den mit knapp zehn Litern (18 Sex­t­a­ri­en) mil­den Weins auf­ge­füllt. Teil­wei­se wur­de auch mehr Wein ver­wen­det, jedoch nur so viel, dass eine „mil­de Wür­ze“ ent­stan­den war. Das Gan­ze wur­de noch mal auf­ge­kocht und dann genos­sen. Übri­gens auch kalt – war ja schließ­lich Medizin!

Aus Würzwein wurde Glühwein

Dass man Würz­wein auch kalt trin­ken kann, das hat­te Rau­graf von Wacker­barth (1770-1850) etwa zur glei­chen Zeit „erfun­den“ wie sei­ne Zusam­men­set­zung des Glüh­weins (um 1840), der übri­gens von ihm zum ers­ten Mal die­sen Namen erhielt, nach­dem die gewürz­ten Wei­ne zuvor Würz­wein hie­ßen. Gewürz­te Wei­ne gal­ten zur dama­li­gen Zeit als beson­ders kost­bar, waren Aus­druck von Wohl­stand und des­halb ein ech­ter Renner.

Den Roten nann­te Wacker­barth anfangs „Hypo­cras“, der Wei­ße wur­de von ihm als erfri­schen­des Som­mer­ge­tränk bezeich­net. Dass man die­se Rezep­te heu­te wie­der kennt, ist Nach­for­schun­gen in den Anna­len auf Schloss Wacker­barth zu ver­dan­ken. Die­se zweit­äl­tes­te Sekt­kel­le­rei Deutsch­lands ist zudem auch Euro­pas ers­tes Erleb­nis­wein­gut. Hier bezieht sich alles auf die Geschich­te des säch­si­schen Wein­baus und sei­ner Jahr­hun­der­te alten Weintradition.

Schloss Wackerbarth zur Weihnachtszeit Belvedere
Das Bel­ve­de­re Schloss Wacker­barth zur Weih­nachts­zeit Belvedere

Ist noch Herbst oder glöggst du schon?

Nun ist die Metho­de Wein mit Gewür­zen und ande­ren Zuga­ben auf­zu­pep­pen nicht ein­deu­tig die Erfin­dung des Rau­gra­fen, doch wird sie auf jeman­den in Sach­sen zurück­zu­füh­ren sein. Denn immer­hin war die Rezep­tur schon min­des­tens ein Jahr­hun­dert zuvor inter­na­tio­nal gewor­den. Schon Anfang des 16. Jahr­hun­derts trank man Glüh­wein am Hof des schwe­di­schen Königs Gus­tav Wasas.

Heu­te heißt das Getränk dort „Glögg“ und dass es von Sach­sen nach Schwe­den gelang­te, ist zwar nicht ver­brieft, doch sehr gut mög­lich und zwar durch die Ehe­schlie­ßung König Wasas mit Katha­ri­na von Sachsen-Lauenburg im Sep­tem­ber 1531. Da kann man doch davon aus­ge­hen, dass die adli­ge Dame die Rezep­tur in der Aus­steu­er mitführte.

Für alle, die es genau wissen wollen

Beim Glüh­wein­re­zept mit Rot­wein kamen laut Wacker­barth

4 Loth Zimmet-Puder

2 Loth Ingwer

1 Loth Anis Körner

1 Loth Gal­ga­nat (Gra­nat­ap­fel)

1 Loth Muskatnüsse

1 Loth Kardamon

1 Gran (1/2 g)  Safran

dazu.

Zube­rei­tung: Erhit­ze, mische und sei­he (sie­be) es und mun­de es mit Honig und Zucker ab!

Das Wackerbarth’sche Rezept für den wei­ßen Würz­wein ist bis auf das „Abrun­den mit Zucker und Honig“ gleich. Doch zur Erin­ne­rung: 1 Loth sind 14 Gramm auf knapp einen Liter Wein! Wie muss der in sei­nem Urzu­stand geschmeckt haben – und wie danach!?

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