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4 Kilos auf Mallorca: Leichte Rotweine im postmodernen Stil

Francesc Grimalt und Sergio Caballero sind ein ungleiches Geschäftspaar. Grimalt arbeitete als Önologe bei Anima Negra, mittlerweile einer der größten Weingüter Mallorcas, Caballero hingegen ist Musiker, Regisseur, Multi-Media-Künstler und Gründer von Barcelonas größtem Electro-Festival „Sonár“. Gemeinsam verfolgen beide eine verrückte Idee: den möglichst besten Rotwein Mallorcas zu keltern.

In der Garage eines Freundes begonnen

Als Grimalt und Caballero 2006 ihren ersten Wein kelterten, hatten sie noch keinen richtigen Keller, vergärten ihre Weine behelfsmäßig in der Garage eines Freundes in Milchkühlern. 2007 bezogen sie ihr Weingut, eine ehemalige Schaffarm in der Nähe der Gemeinde Felanitx im Südosten der Insel. Auch hier starteten sie ohne großes Budget. Knapp 25.000 Euro hatten sie, was in der alten spanischen Währung etwa vier Millionen Pesetos entsprach. Oder flapsig formuliert: 4 Kilos.

Francesc Grimalt und Sergio Caballero

Hellfarbig und alkoholarm

Der Großteil ihrer Rebfläche ist mit Callet bestockt, einer alten mallorquinischen Rebsorte. Aus ihr keltern die beiden den größten Anteil ihrer Spitzencuvées „4 Kilos“ und „Grimalt & Caballero“ sowie des Zweitweins „12 Volt“. Der Basiswein „Motor“ ist sogar ein reinsortiger Callet. Die Rebsorte bringt, anders als man es von mediterranen Terroirs vermuten würde, alkoholarme Weine mit zartem Tannin und heller Farbe hervor. Keiner der Spitzenweine hat mehr als 13 Vol.% Alkohol, der ultrafrische „Motor“ sogar nur 11. Das ergibt sich aus der Kombination aus Boden und Rebsorte. Die für den Weinbau am besten geeigneten Böden nennt man hier call vermell, eine recht grobe kalksteinreiche Erde, die durch Eisenoxid ihre charakteristische rote Farbe erhält. Diese nicht sonderlich fruchtbaren Böden eignen sich perfekt für Callet, eine eigentlich recht wüchsige Sorte mit großen lockeren Trauben und prallen Beeren, die von der kargen mallorquinischen Erde in Schach gehalten wird. Per DNA ist ihr Phenolgehalt niedrig. Auch im warmen Klima bildet sie recht wenig Zucker.

 

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Die „Cabernet-isierung“ Mallorcas

Um das Weingut 4 Kilos zu verstehen, muss man einen Blick auf die jüngste Weinbaugeschichte Mallorquas werfen. Wie eigentlich alle Weinregionen hatte auch Mallorca vor der Globalisierung der Weinwelt seine eigenen autochthonen Rebsorten, vor allem Manto Negro, Callet und Fogoneu, die alle miteinander verwand sind: letztere soll ein Elternteil der Callet sein, erstere wiederum dieser Sorte entstammen. Und wie eigentlich in fast allen Weinregionen geschah auch auf Mallorca das, das was man gern als „Cabernet-isierung“ bezeichnet: internationale Rebsorten bevölkerten plötzlich die Weinberge, in den Kellern machten sich Barriques breit. Grimalt erinnert sich: „Als wir 2006 anfingen, gab es auf Mallorca nur zwei Rotweinstilistiken, lokale Rebsorten mit viel Holz und Extrakt und internationale Rebsorten mit viel Holz und Extrakt“. Callet und Manto Negro ließen sich zwar – glücklicherweise – nicht ganz verdrängen, fanden sich aber häufig als Verschnittpartner gemeinsam mit Cabernet Sauvignon, Merlot oder Syrah in kräftig getoasteten Barriques wieder.

Ànima Negra konterkariert

An dieser Stelle ist auf jeden Fall der Àn/2 von Ànima Negra zu nennen, ein Callet-Fogoneu-Syrah-Blend aus dem Keller von Francesc Grimalts ehemaliger Wirkungsstätte. Der Àn/2 ist ein kraftvoller, konzentrierter Wein mit üppigem Körper und hohem Extrakt. Außerdem ist er, wie zahlreiche Rotweine der Insel, stark vom Holz geprägt, zeigt Tabak, Rauch und speckige Noten. In den 1990er Jahren war Ànima Negra der Pionier für mallorquinische Weine mit internationaler Stilistik. Heute werden etwa eine Viertelmillion Flaschen jährlich vom Àn/2 abgefüllt. Er ist zum Prototyp  des modernen mallorquinischen Rotweins geworden, obwohl er, streng genommen, von überall stammen könnte.

4 Kilos veränderte sich – und veränderte Mallorca

Das ist bei den Weinen von 4 Kilos in der Tat anders, auch wenn Grimalt und Caballero ihren eigenen Weg erst finden mussten. Den Debut-Wein aus dem Jahrgang 2006 kelterten sie aus 85 Prozent Cabernet mit 15 Prozent Callet, ließen ihn 16 Monate in neuen französischen Barriques aus Allier-Eiche reifen – und produzierten so einen Wein, der dem Àn/2 ähnlich ist. Das änderte sich rasch, vor allem die Rebsorte Callet wurde immer wichtiger. Schon zwei Jahre später, 2008, nahm sie die Hälfte der Cuvée ein, 2011 waren es 85 Prozent. Auch steht heute kein einziges neues Barrique mehr im Keller. Die Weine gären in großen Edelstahltanks, eigens gebauten Tontanks oder Holzbbottichen und werden anschließend in gebrauchten Eichenfässern gereift.

Wer die Weine von 4 Kilos nicht kennt, würde sie niemals im warm-heißen mediterranen Klima verorten. Eher wirken sie wie moderne Pinot Noirs im Naturwein-Stil, etwa aus dem Jura oder den Savoyer Alpen. Alle Weine eint eine straffe rote Beerenaromatik, irgendwo zwischen roter Johannisbeere und Holunder, dazu kommt eine herbe Kräuteraromatik, die an Oliven, Pfeffer und dezent an Fenchelsaat erinnert. Durch den Verzicht auf Neuholz treten die Rebsorten-Charakteristika deutlich hervor.

 

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Die Renaissance der Sorte Callet

Callet ist die spannendste Rebsorte der Insel und etwas eigenständiger als Manto Negro, die wir im Keller von 4 Kilos reinsortig aus dem Fass verkosten dürfen. Die beiden verhalten sich etwa zueinander wie Spätburgunder und Frühburgunder: Die Gemeinsamkeiten lassen sich nicht leugnen, aber doch ist ersterer immer etwas eleganter und tiefer als letzterer. Callet hat in den vergangen Jahren ein kleines Revival hingelegt. Lange Zeit nahm ihr Anteil an der mallorquinischen Rebfläche ab, seit ein paar Jahren steigt er wieder – von 151 Hektar im Jahr 2010 auf heute 213 Hektar (Stand 2020), wie Daten des spanischen Landwirtschaftsministerium zeigen. Das nur dem Erfolg von 4 Kilos zuzuschreiben, wäre naiv, aber dennoch haben Grimalt und Caballero mit ihren Weinen im postmodernen mallorquinischen Stil der Weinproduktion der Insel ihren Stempel aufgedrückt – mit Callet und ohne Barriquefässer.

4Kilos: Die Weine

Motor 2019
Ein ultrafrischer Rotwein mit gerade mal 11 Volumenprozent Alkohol. Dieser reinsortige Callet wurde im großen Tontank vergoren, ohne Schwefelzusatz ausgebaut und hat Aromen von weißer Johannisbeere, Berberitze und Kräutern.
Bezug: Für ca. 16 € bei el Mallorquin und Lobenberg

12 Volts 2019
Ein Verschnitt aus Callet und Syrahtrauben, die mit maceration carbonique vergoren wurden: sehr frisch mit prägnantem Pfefferton, knackigen roten Beeren und etwas Fenchelsaat.
Bezug: Für ca. 17 € bei el Mallorquin und Lobenberg

4 Kilos 2019
Die Cuvée ist der Hauptwein von 4 Kilos und besteht aus 80 Prozent Callet, 10 Prozent Fogoneu und 10 Prozent Manto Negro, wobei die Verhältnisse von Jahrgang zu Jahrgang variieren. Der wunderbar zarte Rotwein tritt mit frischer Säure, leichtem Tannin und Aromen von schwarzer Olive, Holunder, roter Johannisbeere und Zitronenschale auf, ist lang und anhaltend.
Bezug: Für ca. 30 € bei el Mallorquin und Lobenberg

Àn/2 (Weingut Ànima Negra)
Dieser Prototyp des modernen mallorquinischen Weinbaus, steht stellvertretend für die Entwicklung seit den 90ern. Er ist stark vom Holz geprägt, hat dabei aber durchaus treffsichere Aromen von Tabak, Vanille, Dörrobst und dunklen Beeren. Für Barrique-Freunde ein Klassiker.
19,90 € bei Lobenberg

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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