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2018er GG aus Württemberg: der etwas andere Riesling

Der Zusammenschluss von Baden und Württemberg im Jahre 1952 zu einem Bundesland war keine Liebesheirat. Württemberger und Badener waren und sind sich in herzlicher Abneigung verbunden. Wenn ausnahmsweise mal nicht, sind sie sich zumindest gegenseitig gleichgültig. Jeder der beiden Volksstämme hat seine eigene Kultur, seine tradierten Werte, seine eigenen Macken, ja sogar seine eigene Hymne, die er gerne intoniert, wenn der Feind nicht mithört – oder gerade dann extra.

Württemberg und Baden – zwei Welten beim Wein

Auch beim Wein stellen Baden und Württemberg zwei Welten dar, die wenig Kongruenzen aufweisen. Baden hat seinen Spätburgunder, Württemberg seinen Lemberger. Baden glaubt an Grau- und Weissburgunder, Württemberg verweist auf seinen Riesling. Dabei gibt es in einigen Bereichen Badens ebenfalls Riesling, im Kraichgau um Heidelberg etwa oder in der Ortenau. Aber wenn ein Badener daran erinnert, verweisen die Schwaben postwendend daran, dass es bei ihnen im Ländle auch Spätburgunder gibt: zwar nicht so viel wie beim Nachbarn, aber mindestens genauso gut. Und auch ihre Weissburgunder und Chardonnay wollen die Württemberger nicht zu gering gewertet wissen, jedenfalls nicht gegenüber den Badenern.

Beide Landesteile haben Grosse Lagen, folglich auch Grosse Gewächse

Zurück zum Riesling. Gute Qualitäten bringt dieser Wein auch im kühlen Württemberg nicht überall. Sein Hauptanbaugebiet ist das Remstal bei Stuttgart. Dazu kommen einzeln Stellen im Unterland, wo man Schilfsandstein oder Gipskeuper vorfindet. In beiden Landesteilen gibt es für den Riesling Grosse Lagen nach der VDP-Klassifikation, folglich auch Grosse Gewächse (GG). Ich habe die 2018er im August letzten Jahres das erste Mal probiert und kürzlich in München das zweite Mal, als die VDP-Weingüter sich in Bayerns Hauptstadt dem Fachpublikum stellten. Meine Eindrücke gebe ich im Folgenden wider, der Gemengelage entsprechend getrennt: zuerst die von denen der Riesling GG aus Württemberg, nächste Woche von denen der GG aus Baden.

Ohne Aldinger ist das Remstal nicht vorstellbar

Am meisten beeindruckt haben mich die GG von Aldinger und Schnaitmann. Ohne sie kann man sich das Remstal nicht vorstellen. Doch gemach: Beide haben eine Riesling-Philosophie, die sich den Massstäben, mit denen Riesling normalerweise gemessen wird, entzieht. Zunächst zu den Brügern Matthias und Hansjörg Aldinger. Ihre beiden Riesling GG sind komplett anders als alles, was in Deutschland als Riesling auf den Markt kommt. Der Untertürkheimer Gips „Marienglas“  ist – so könnte man pointiert sagen – ein weisser Rotwein, zumindest vom Körper und von der Säure her (5,5 gr). Dieser spontan vergorene, 10 Monate im großen Holzfass auf der Vollhefe ausgebaute Wein zeigt null Frucht, dafür umso mehr Hefe-Reduktion, auf Grund des Schalenkontakts deutliche phenolische Noten, unterlegt mit rauchiger Mineralität: ein Riesling für Anspruchstrinker, die genügend andere Weine im Keller haben, um diesen Wein lange liegen zu lassen, ohne dabei zu verdursten (93). Hoch ambitioniert ist auch Aldingers zweites GG, der Fellbacher Lämmler: bis in die Fasern durchgefeilt und stark mineralisch geprägt, aber weniger extrem, weniger muskulös mit respektablen Säurewerten (6,8 gr). „Eleganz pur“ steht auf meinem Zettel (93). Auf eine einsame Insel würde ich allerdings keinen der beiden Weine mitnehmen, sondern Aldingers 2017er Chardonnay Reserve. Bei den Burgundersorten ist das Weingut bärenstark und der 2017er ist der beste Chardonnay, der je aus dem Aldinger-Keller kam.

Schnaitmann: avantgardistische Spitze

Wer Remstal und Riesling sagt, muss auch Schnaitmann sagen. Das Weingut präsentiert derzeit seine 2017er Rieslinge. Die 2018er liegen noch im Keller. Rainer Schnaitmann, das spürt man, hat klare Vorstellungen von dem, wie ein grosser Riesling aus Württemberg beschaffen sein sollte. Kraftvoll und substanzreich, so könnte man das Konzept umschreiben. Also gar nicht sehr viel anders als das, was die Aldingers machen. Sein GG vom Fellbacher Lämmler ist, wie es für Gipskeuper typisch ist, ein sehr physischer Wein, körperbetont, druckvoll mit vielen exotischen Noten, einer sehr moderaten Säure, im Halbstückfass spontan vergoren und knapp zwei Jahre auf der Hefe ausgebaut (92). Noch aufregender finde ich allerdings sein GG vom Uhlenbacher Götzenberg, ein Wein, der Dichte, Feinmaschigkeit und Cremigkeit in sich vereint, dabei sehr expressiv in der Frucht ist, nicht ganz durchgegoren, dafür mit einer für Württemberg geradezu schneidigen Säure (93). Man mag den Riesling-Approach Schnaitmanns und der Aldinger-Brüder lieben oder verwerfen: Sie bilden die avantgardistische Spitze in der Porsche- und Mercedes-Republik.

Bemerkenswerte GG auch von Wöhrwag und Haidle,

Freilich gibt es im Remstal ein halbes Dutzend anderer Weingüter, die mit bemerkenswerten GG vom Riesling aufwarten. Die Wöhrwags aus Untertürkheim gehören zu den wenigen Remstalern, die ihren Fokus auf die Weißweine legen, speziell den Riesling. Ihr GG aus dieser Sorte kommt vom Herzogenberg, einer Gipskeuper-Lage. Entsprechend kräftig ist ihr 2018er, ohne indes überladen zu sein. Der Jahrgang manifestiert sich hier in der reifen Frucht einerseits, die bis zu Mandarinen und Maracuja geht, und der zitrusartigen Säure auf der anderen Seite. Ein sehr gelungenes GG, nicht theatralisch, aber gut strukturiert, leicht rauchig mit Minzenoten und langem Atem (91). Karl Haidles 2018er Pulvermächer GG ist der Riesling mit der größten Power, den ich aus dem Remstal verkostet habe. Sowohl von der Körper- als auch von der Alkoholstruktur stellt er alle anderen Weine in den Schatten: ein typischer 2018er mit all seinen Stärken und Schwächen: extrem viel Substanz und eine extrem markante Säure, dafür etwas rustikal im Ausdruck (91).

Ellwanger mit großem Spannungsbogen

Nicht zu vergessen Jürgen Ellwanger aus Winterbach. Er ist längst kein Geheimtipp mehr, sondern seit Jahren eine erste Adresse für Riesling im Remstal. Sein vom Schilfsandstein kommendes GG vom Schnaiter Altenberg ist ebenfalls ein mächtiger Wein mit einer robusten Säureader. Jetzt im frühen Stadium ist diese noch nicht perfekt eingebunden. Aber das Spiel ist da, man spürt den Spannungsbogen. Auch wenn der Wein stilistisch etwas konventionell ausfällt, würde ich ihm aufgrund seiner Substanz und der guten Prognosen 90 Punkte geben, Etwas ratlos hat mich dagegen Jochen Beurers GG vom Pulvermächer Berge aus dem Jahrgang 2017 gemacht. Vielleicht war der Wein damals grade erst auf die Flasche gekommen und stand noch unter Füllschock. Jedenfalls präsentierten sich die beiden Flaschen nicht besonders gut. Und in München, wo ich den Wein gerne nachverkostet hätte, war Beurer nicht am Start.

Im Unterland liegen Dautel und Graf Adelmann vorn

Weinterrassen Weingut Dautel

Das Remstal ist das Herzstück des Württemberger Riesling-Anbaus. Aber an geeigneten Riesling-Lagen außerhalb des Stuttgarter Raums fehlt es Württemberg nicht. Im Unterland zwischen Heilbronn und Ludwigsburg gibt es zahlreiche Nischen, in denen der Riesling gut gedeiht. Dautel in Bönningheim ist ein Pionierweingut vor allem im Rotweinbereich. Aber was der junge Christian Dautel heute an Weissweinen auf die Flasche bringt, ist ebenfalls begeisternd. Sein 2018er Riesling GG von der Schilfsandstein-Lage Steingrüben kann sich mit den Remstaler Gewächsen locker messen: ein ebenso pikanter wie präziser Wein, gelbfruchtig mit Noten von Salzkaramell und Feuerstein sowie einer markanten Säure (92). Überraschend gut gelungen ist auch das Verrenberg-GG des Fürsten Hohenlohe Oehringen. Es wartet mit viel Zitrus und Kalkpuder auf, ist gut ausbalanciert und besitzt aromatische Tiefe (89). Schnörkellos, sauber, gradlinig und mit gutem Säurepolster das Herrschaftsberg-GG vom Staatsweingut Weinsberg, wenngleich etwas brav (88). Graf Adelmann pflegt beim Riesling seinen eigenen Stil. Das GG von Kleinbottwarer Süßmund besitzt Substanz, Frucht, Schmelz, Finesse und einen schönen Spannungsbogen. Durch den Ausbau in ungetoasteten Barriques wartet der Wein, der den poetischen Namen „Das Lied von der Erde“ trägt, mit interessanten Texturen auf, die ihn samtig und zugänglich machen und gleichzeitig seine Langlebigkeit fördern (90). Der Riesling vom Pfaffenhofener Mühlberg, den Rainer Wachtstetter derzeit präsentiert, kommt noch aus dem Jahrgang 2017: gut gewichtet, säurebetont, trotzdem samtig-weich (89). Graf Neippergs Spitzen-GG vom Schlossberg folgt meiner Meinung nach zu sehr einer Tendenz zur Stoffigkeit. In der Farbe, im hohen Reifegrad, in der fast mediterranen Kräuterwürze weist der Wein dann in einem warmen Jahr wie 2018 Anklänge an einen Ruländer auf (87). Das zweite Riesling GG von der Schwaigerner Ruthe ist zwar etwas schlanker, stilistisch aber ziemlich hausbacken. Beide Rieslinge bleiben hinter den Ansprüchen eines Grossen Gewächs zurück (87).

Geniesst der Riesling in Württemberg immer höchste Priorität?

Gesamteindruck von Württemberg: mittlere bis sehr gute Qualitäten, allerdings ganz eigene Riesling-Profile, die mit Mosel und Rhein nichts zu tun haben. Das zeigt sich schon an der gelb-goldenen Farbtönung, setzt sich in den erdig-vegetalen Würzaromen fort und manifestiert sich schliesslich in der robusten Statur der Weine. Württemberger Rieslinge haben nicht die Leichtfüssigkeit und Filigranität anderer Rieslinge. Ich glaube, dass deshalb viele Weinhändler lieber auf Weiss- und Grauburgunder, Chardonnay oder gar Sauvignon setzen, wenn sie Weissweine aus Württemberg in ihr Sortiment nehmen. Und ich glaube auch, dass viele Winzer – zumindest in der Vergangenheit – dem Riesling nicht oberste Priorität eingeräumt haben. Als Alltagswein reicht er, ist sogar willkommen (ein großer Teil der Trollinger-Rebflächen, die gerodet wurden, wurden mit Riesling bestockt). Aber dass sich in Württemberg Topweine aus dieser Sorte erzeugen lassen – dieser Glauben ist nicht sehr stark ausgeprägt. Und wenn doch Topweine vom Riesling, sprich: GG, dann in Stilistiken, die eher ein Kontrastprogramm zu herkömmlichen Rieslingprofil bieten, um den direkten Vergleich mit Pfalz etc. zu vermeiden. Sei’s drum: Ich finde das gar keine schlechte Idee.

In der nächsten Woche: Riesling GG aus Baden

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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