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2010 Kajanero: roter Freakwein aus Süditalien

Optisch besticht dieser Rotwein durch seine satte, dunkelrote Farbe. Doch wer einen Schluck von ihm nimmt, merkt schnell, dass er nicht rund und geschliffen ist, wie süditalienische Weine häufig sind. Neben den Kirsch- und Brombeernoten zeigt er Würznoten von schwarzem Pfeffer, Waldpilzen und Sauerkirsche – eine Mischung, die nicht sofort auf der Zunge zu einem harmonischen Ganzen verschmilzt. Nicht jeder empfindet den Wein beim ersten Schluck als lecker, zumal auch das Bouquet ein wenig kraus wirkt.

Doch lecker will dieser Wein gar nicht sein. Er will er selbst sein: ungeschminkt, ehrlich, authentisch. Und so ist er auch, der Kajanero aus dem kleinen Weingut Vestini-Campagnano nördlich von Neapel, wo die Böden aus der Asche erloschener Vulkane bestehen und die Sonne herrliche rote Tomaten, Auberginen, Pfirsiche, Kiwis und Zucchini wachsen lässt – Dinge, die die in der Region recht rührige Mafia nicht sonderlich interessieren.

Mafiafreie Zone

Auch auf die Weintrauben der Provinz Caserta hat die „ehrenwerte Gesellschaft“ bis jetzt kein Auge geworfen, weshalb die Winzer ihre Weine relativ so an- und ausbauen können, wie sie möchten. Der Kajanero ist zum Beispiel aus zwei raren, offiziell ausgestorbenen Rebsorten erzeugt. Die eine heißt Pallagrello, die andere Casavecchia. Von letzterer existierte vor 25 Jahren, als das Weingut gegründet wurde, nur noch ein einziger Rebstock. Er wuchs wild in den Überresten eines verfallenen Hauses. So entstand der Name Casavecchia – altes Haus.

Gegründet wurde das Weingut von zwei Notaren aus Caserta, die ein Refugium auf dem Land suchten, um wenigstens am Wochenende dem Lärm und dem Chaos der Großstadt zu entfliehen. Wein zu erzeugen, war gar nicht ihre Absicht. Doch weil zufällig ein paar Weinberge zu dem Häuschen gehörten, das sie in Besitz nehmen wollten, entschlossen sie sich, die vorhandenen Trauben auch zu keltern.

Unbekannte Rebsorten

Aber um was für Trauben handelte es sich? Keiner im Dorf wusste es. So wurde ein Professor von der Universität gebeten, den Weinberg in Augenschein zu nehmen. Er fand heraus, dass es sich um zwei antike Sorten handelt, die mit keiner der bekannten Rebsorten Italiens verwandt sind. Seitdem interessierten sich die beiden Notare nur noch am Rande für ihre Kanzleien. Die Gewissheit, uralte Rebsorten entdeckt zu haben, ließ in ihnen ähnliche Gefühle aufkommen wie bei Heinrich Schliemann nach der Ausgrabung von Troja. Jede freie Minute verbrachten sie fortan auf ihrem Weingut.

Sie vermehrten die Zahl der Stöcke, so dass heute wieder sechs Hektar mit Casavecchia und Pallagrello bepflanzt sind. Die Casavecchia-Traube ergibt einen weichen, leicht violettfarbenen Wein mit eigenwilligem, rauchig-mineralischen Geschmack. Die Pallagrello liefert dagegen Fülle, Üppigkeit und viel feinkörniges Tannin. Zusammen mit ein paar Anteilen Rotondella und Aglianico, der wichtigsten Rotweinsorte der Region, werden sie zum Kajanero assembliert: etwas ruppig, aber ohne Alkoholexzesse (13 Vol.%) und ohne die in Süditalien weit verbreiteten Marmeladentöne.

Eher Freakwein als Mainstreamer

Ein typischer Freakwein: Er liegt oft monatelang im Keller, ohne dass eine Flasche verkauft wird, berichtet Gerhard Strunz, Inhaber des Italienischen Weindepots in Garmisch-Partenkirchen. Aber dann geht plötzlich die halbe Palette auf einmal weg. Der Wein hat sich geöffnet, und irgendein Altkunde hat es gemerkt. Den Rest besorgt Mundpropaganda.

Wer der Mainstream-Weine müde ist und ein wenig Geduld aufbringt, wird vom Kajanero reich belohnt – auch wenn er der niederste Wein im Sortiment von Vestini-Campagnano ist. Wer die ganze Fülle der antiken Rebsorten schmecken will, sollte freilich zu den Spitzenweinen greifen: Casa Vecchia und Pallagrello jeweils reinsortig gekeltert. Sie kosten 20 Euro.

Übrigens: Die beiden Notare sind inzwischen so gründlich zerstritten, dass sie sich getrennt haben. Sie konnten sich nicht einigen, ob sie ihren Wein einem modernen oder einem traditionellen Önologen anvertrauen sollen. Der ausgeschiedene Notar hat ein paar Reben und eine junge Geliebte mitgegommen und ein neues, eigenes Weingut gegründet. Es heißt Terre del Principe. Den Notarsberuf hat er an den Nagel gehängt.

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2 Kommentare

  1. Den Kajanero haben wir heute frisch geöffnet im Glas. Mittlere Rubinrote Farbe. Der Wein ist wunderbar krautig im Duft und nach einiger Zeit gut ausgewogen. Die Beschreibung von Herrn Priewe trifft voll zu: Pfeffer und Schwammerln. Mal ganz was neues (werden aber Andreas zuliebe den Wein die kommendenTage nochmal nachverkosten).

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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