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2010 an der Rhône: Historisch guter Jahrgang

Weinrebe im Rhônetal | Foto: ©Megan Mallen

Zur Erinnerung: 1998 war ein Jahrhundertjahrgang, das Millenniumsjahr 2000 sowieso. 2001 galt als fast ebenso gut, an der nördlichen Rhône sogar als noch besser. 2002 hörte man keine Fanfarenstöße. Aber danach ging das Konzert weiter: 2003 „unglaublich“, 2004 „exzellent“ sowohl bei den Châteauneufs als auch bei den Gigondas, 2005 „unbeschreiblich“, 2006 so gut wie 2003 und 2004. Und 2007 der „größte Jahrgang“, der Robert Parker je ins Glas kam. Eine kurze Unterbrechung in 2008, aber nur, um 2009 erneut in Superlativen zu schwelgen. Gibt es das überhaupt?

Nicht nur Feuerwehrleute kennen den Satz: Wenn allzu oft „Feuer“ gerufen wird, kommt am Ende keiner mehr zum Löschen, wenn es wirklich brennt. Genau das droht jetzt, da die ersten Weine des Jahrgangs 2010 ins Regal kommen. Dieser Jahrgang, so heißt es, habe schon wieder Jahrhundertqualität.

Delorme und Chapoutier einig: millésime superlatif

Doch diesmal gibt es gewichtige Stimmen, die den Jahrgang tatsächlich für einen ganz außergewöhnlichen halten: Christophe Delorme von der Domaine de La Mordorée, der sich immer wieder über den „Quatsch der Marketing-Spezialisten“ aufregt, spricht allen Ernstes von einem „historischen Jahrgang, wie er einem in einem Winzerleben nur ganz selten begegnet“.

Delorme ist kein grüner Junge. Er hat in den letzten 20 Jahren von Tavel aus den Aufstieg in die dicht besetzte Spitze von Châteauneuf-du-Pape geschafft und ganz nebenbei gezeigt, welch enormes Potential auch in den Böden von Lirac steckt.

Michel Chapoutier, Chef des gleichnamigen Hauses in Tain l’Hermitage mit immenser Erfahrung, nennt 2010 einen „millésime des superlatifs sur Châteauneuf- du-Pape“. Und das Syndicat der Winzer von Vacqueyras ordnet 2010 unter die ganz großen Jahrgänge ein.

„Weiter draußen“, in Vinsobres, das seit 2006 Cru-Status erlangt hat, sieht man es ganz ähnlich: Von Pascal Monier, Direktor der angesehenen Genossenschaft La Vinsobraise bis zum Winzer-Urgestein Denis Vinson (Domaine du Moulin) sind sich alle einig: Es handelt sich um einen herausragenden Jahrgang.

Das Beste seit 1990

Bestätigt werden sie durch den gegenwärtig sicher besten Rhône-Kenner, den selten zu Superlativen neigenden Decanter-Journalisten und Buchautor John Livingstone-Learmonth: „Der Jahrgang 2010 gehört neben 1978 und 1990 zu den besten, die diese Region seit den 1970er Jahren hervorgebracht hat.“ Und weiter: „Die Weine sind reif, zeigen sanfte Tannine und verfügen über Tiefe und Frucht. Dies ist alles gleichmäßig und harmonisch, wie es seit vielen Jahren nicht war.“

Schaut man sich den Klimaverlauf an, so waren die Bedingungen wirklich ziemlich ungewöhnlich – vor allem in einer Zeit, in der die globale Klimaerwärmung die Gefahr zunehmend „heißer“, karamellisierter, breiter Weine mit sich bringt, deren Alkoholwerte dabei sind, durch die Decke zu gehen.

Im Winter vorher fiel Schnee

Der Winter 2009/10 war kalt, für südliche Verhältnisse teilweise sogar bitterkalt. Sogar in Châteauneuf brachte er drei längere Schneeperioden mit sich. Das hatte es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben, und die auf Schnee nicht sonderlich gut vorbereiteten Straßendienste der Region wurden in Alarmstimmung versetzt.

Der feuchte und kalte Frühling sorgte dann zwar dafür, dass sich die üblichen Schädlinge und Krankheiten nicht sonderlich stark entwickeln konnten. Aber die Blüte der Grenache ging ziemlich daneben: Das meiste verrieselte, statt zu Fruchtansätzen zu führen. Syrah, Mourvèdre und Cinsaut waren nicht so stark betroffen. Aber der Start schien missglückt, und Mitte Juni erlebte die Provence schwere Unwetter.

…und dann ein Bilderbuch-Herbst

Was dann kam, erschien den Winzern fast wie ein Wunder: Juli und August heiß und extrem trocken, aber mit teilweise recht kühlen Nächten. Am 6. und 7. September ergiebige Regenfälle, die den noch nicht reifen Rotweintrauben Trockenstress ersparten. Danach kräftiger Mistral und schließlich bei der ab Mitte September einsetzenden, bis in den Oktober dauernden Lese mildes, sonniges Wetter wie aus dem Bilderbuch. Es ließ spät reifenden Parzellen im Norden von Châteauneuf-du-Pape, in den Dentelles de Montmirail über Gigondas und Vacqueyras sowie in den Höhenlagen von Beaumes-de-Venise, Cairanne und Vinsobres die nötige Zeit.

Die Erntemengen waren allerdings bescheiden. Châteauneuf-du-Pape kam auf einen Durchschnitt von 27 hl/ha. In den anderen Appellationen sah es nicht viel besser aus. Stephanie Fumoso von der immer besser werdenden Domaine du Gour de Chaulé in Gigondas, die erst Ende des Jahres oder im nächsten Jahr abfüllen will, erntete nur 26 hl/ha. Serge Férigoule von Le Sang des Cailloux nicht einmal ganz 25 hl/ha.

Seidige Tannine

Grund waren die sehr kleinbeerigen Trauben: Die übliche Maß-Einheit von 200 Beeren wog seit Beginn der Messungen noch nie so wenig wie 2010. Aber es waren dickschalige Beeren, vollgepackt mit ausgereiften seidigen Tanninen ohne jeden „grünen“ Ton und mit einem exzellent gerundeten Säuregerüst, das als Garant für eine hohe Fruchtigkeit und – zusammen mit den Tanninen – für eine ganz ungewöhnliche Lagerfähigkeit gilt.

„Die Weine sind explosiv, die Tannine reichlich, aber von perfekter Seidigkeit, und die Säure ist für die Produktion großer Weine perfekt“, fasst Christophe Delorme seine Beobachtungen zusammen.

Ein erster kleiner Querschnitt, gewonnen anhand von bereits zur Cuvée geformten Weinen aus der Spitzengruppe der jeweiligen Appellation, bestätigt die positiven Einschätzungen. Abgesehen vom ohnehin kühleren Ventoux-Gebiet hatten wir soviel Feingliedrigkeit, Eleganz und Frische auf einem durchaus soliden Tanningerüst wie in den vom Autor überblickten letzten 35 Jahren nicht oft: 2010 scheint wirklich ein hervorragender Jahrgang zu werden.

Und wenn nicht alles täuscht, wird die Lagerfähigkeit dieses Jahrgangs die der meisten Weine aus 1998, 2003 und 2007 in den Schatten stellen.

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