2010 an der Rhône: Historisch guter Jahrgang

Weinrebe im Rhônetal | Foto: ©Megan Mallen
An der Rhône wurde wieder ein Jahrhundertjahrgang ausgerufen. Doch im Gegensatz zu den vorhergehenden „Jahrhundertjahrgängen“ hat, so meint Stefan Krimm, unser eher vorsichtig urteilender Rhône-Spezialist, 2010 an der Nördlichen und Südlichen Rhône tatsächlich nahezu komplette Weine hervorgebracht.

Zur Erin­ne­rung: 1998 war ein Jahr­hun­dert­jahr­gang, das Mill­en­ni­ums­jahr 2000 sowie­so. 2001 galt als fast eben­so gut, an der nörd­li­chen Rhô­ne sogar als noch bes­ser. 2002 hör­te man kei­ne Fan­fa­ren­stö­ße. Aber danach ging das Kon­zert wei­ter: 2003 „unglaub­lich“, 2004 „exzel­lent“ sowohl bei den Châ­teau­neu­fs als auch bei den Gigon­das, 2005 „unbe­schreib­lich“, 2006 so gut wie 2003 und 2004. Und 2007 der „größ­te Jahr­gang“, der Robert Par­ker je ins Glas kam. Eine kur­ze Unter­bre­chung in 2008, aber nur, um 2009 erneut in Super­la­ti­ven zu schwel­gen. Gibt es das überhaupt?

Nicht nur Feu­er­wehr­leu­te ken­nen den Satz: Wenn all­zu oft „Feu­er“ geru­fen wird, kommt am Ende kei­ner mehr zum Löschen, wenn es wirk­lich brennt. Genau das droht jetzt, da die ers­ten Wei­ne des Jahr­gangs 2010 ins Regal kom­men. Die­ser Jahr­gang, so heißt es, habe schon wie­der Jahrhundertqualität.

Delorme und Chapoutier einig: millésime superlatif

Etikett 2009 LiracDoch dies­mal gibt es gewich­ti­ge Stim­men, die den Jahr­gang tat­säch­lich für einen ganz außer­ge­wöhn­li­chen hal­ten: Chris­to­phe Delor­me von der Domaine de La Mordo­rée, der sich immer wie­der über den „Quatsch der Marketing-Spezialisten“ auf­regt, spricht allen Erns­tes von einem „his­to­ri­schen Jahr­gang, wie er einem in einem Winz­er­le­ben nur ganz sel­ten begegnet“.

Delor­me ist kein grü­ner Jun­ge. Er hat in den letz­ten 20 Jah­ren von Tavel aus den Auf­stieg in die dicht besetz­te Spit­ze von Châteauneuf-du-Pape geschafft und ganz neben­bei gezeigt, welch enor­mes Poten­ti­al auch in den Böden von Lirac steckt.

Michel Chapou­tier, Chef des gleich­na­mi­gen Hau­ses in Tain l’Hermitage mit immenser Erfah­rung, nennt 2010 einen „mil­lé­si­me des super­la­tifs sur Châteauneuf- du-Pape“. Und das Syn­di­cat der Win­zer von Vac­quey­ras ord­net 2010 unter die ganz gro­ßen Jahr­gän­ge ein.

„Wei­ter drau­ßen“, in Vins­obres, das seit 2006 Cru-Status erlangt hat, sieht man es ganz ähn­lich: Von Pas­cal Moni­er, Direk­tor der ange­se­he­nen Genos­sen­schaft La Vins­obrai­se bis zum Winzer-Urgestein Denis Vin­son (Domaine du Moulin) sind sich alle einig: Es han­delt sich um einen her­aus­ra­gen­den Jahrgang.

Das Beste seit 1990

Logo M. ChapoutierBestä­tigt wer­den sie durch den gegen­wär­tig sicher bes­ten Rhône-Kenner, den sel­ten zu Super­la­ti­ven nei­gen­den Decanter-Journalisten und Buch­au­tor John Livingstone-Learmonth: „Der Jahr­gang 2010 gehört neben 1978 und 1990 zu den bes­ten, die die­se Regi­on seit den 1970er Jah­ren her­vor­ge­bracht hat.“ Und wei­ter: „Die Wei­ne sind reif, zei­gen sanf­te Tan­ni­ne und ver­fü­gen über Tie­fe und Frucht. Dies ist alles gleich­mä­ßig und har­mo­nisch, wie es seit vie­len Jah­ren nicht war.“

Schaut man sich den Kli­ma­ver­lauf an, so waren die Bedin­gun­gen wirk­lich ziem­lich unge­wöhn­lich – vor allem in einer Zeit, in der die glo­ba­le Kli­ma­er­wär­mung die Gefahr zuneh­mend „hei­ßer“, kara­mel­li­sier­ter, brei­ter Wei­ne mit sich bringt, deren Alko­hol­wer­te dabei sind, durch die Decke zu gehen.

Im Winter vorher fiel Schnee

Grenache-Rebe im Winter | Foto: ©BerndtFDer Win­ter 2009/10 war kalt, für süd­li­che Ver­hält­nis­se teil­wei­se sogar bit­ter­kalt. Sogar in Châ­teau­neuf brach­te er drei län­ge­re Schnee­pe­ri­oden mit sich. Das hat­te es seit Jahr­zehn­ten nicht mehr gege­ben, und die auf Schnee nicht son­der­lich gut vor­be­rei­te­ten Stra­ßen­diens­te der Regi­on wur­den in Alarm­stim­mung versetzt.

Der feuch­te und kal­te Früh­ling sorg­te dann zwar dafür, dass sich die übli­chen Schäd­lin­ge und Krank­hei­ten nicht son­der­lich stark ent­wi­ckeln konn­ten. Aber die Blü­te der Gren­ache ging ziem­lich dane­ben: Das meis­te ver­rie­sel­te, statt zu Frucht­an­sät­zen zu füh­ren. Syrah, Mour­vèd­re und Cinsaut waren nicht so stark betrof­fen. Aber der Start schien miss­glückt, und Mit­te Juni erleb­te die Pro­vence schwe­re Unwetter.

…und dann ein Bilderbuch-Herbst

GigondasWas dann kam, erschien den Win­zern fast wie ein Wun­der: Juli und August heiß und extrem tro­cken, aber mit teil­wei­se recht küh­len Näch­ten. Am 6. und 7. Sep­tem­ber ergie­bi­ge Regen­fäl­le, die den noch nicht rei­fen Rot­wein­trau­ben Tro­cken­stress erspar­ten. Danach kräf­ti­ger Mis­tral und schließ­lich bei der ab Mit­te Sep­tem­ber ein­set­zen­den, bis in den Okto­ber dau­ern­den Lese mil­des, son­ni­ges Wet­ter wie aus dem Bil­der­buch. Es ließ spät rei­fen­den Par­zel­len im Nor­den von Châteauneuf-du-Pape, in den Den­tel­les de Mont­mi­rail über Gigon­das und Vac­quey­ras sowie in den Höhen­la­gen von Beaumes-de-Venise, Cai­ran­ne und Vins­obres die nöti­ge Zeit.

Die Ern­te­men­gen waren aller­dings beschei­den. Châteauneuf-du-Pape kam auf einen Durch­schnitt von 27 hl/ha. In den ande­ren Appel­la­tio­nen sah es nicht viel bes­ser aus. Ste­pha­nie Fumo­so von der immer bes­ser wer­den­den Domaine du Gour de Chaulé in Gigon­das, die erst Ende des Jah­res oder im nächs­ten Jahr abfül­len will, ern­te­te nur 26 hl/ha. Ser­ge Féri­goule von Le Sang des Caill­oux nicht ein­mal ganz 25 hl/ha.

Seidige Tannine

Chateauneuf du Pape - Mann mit WeinfassGrund waren die sehr klein­beer­i­gen Trau­ben: Die übli­che Maß-Einheit von 200 Bee­ren wog seit Beginn der Mes­sun­gen noch nie so wenig wie 2010. Aber es waren dick­scha­li­ge Bee­ren, voll­ge­packt mit aus­ge­reif­ten sei­di­gen Tan­ni­nen ohne jeden „grü­nen“ Ton und mit einem exzel­lent gerun­de­ten Säu­re­ge­rüst, das als Garant für eine hohe Fruch­tig­keit und – zusam­men mit den Tan­ni­nen – für eine ganz unge­wöhn­li­che Lager­fä­hig­keit gilt.

„Die Wei­ne sind explo­siv, die Tan­ni­ne reich­lich, aber von per­fek­ter Sei­dig­keit, und die Säu­re ist für die Pro­duk­ti­on gro­ßer Wei­ne per­fekt“, fasst Chris­to­phe Delor­me sei­ne Beob­ach­tun­gen zusammen.

Ein ers­ter klei­ner Quer­schnitt, gewon­nen anhand von bereits zur Cuvée geform­ten Wei­nen aus der Spit­zen­grup­pe der jewei­li­gen Appel­la­ti­on, bestä­tigt die posi­ti­ven Ein­schät­zun­gen. Abge­se­hen vom ohne­hin küh­le­ren Ventoux-Gebiet hat­ten wir soviel Fein­glied­rig­keit, Ele­ganz und Fri­sche auf einem durch­aus soli­den Tan­nin­ge­rüst wie in den vom Autor über­blick­ten letz­ten 35 Jah­ren nicht oft: 2010 scheint wirk­lich ein her­vor­ra­gen­der Jahr­gang zu werden.

Und wenn nicht alles täuscht, wird die Lager­fä­hig­keit die­ses Jahr­gangs die der meis­ten Wei­ne aus 1998, 2003 und 2007 in den Schat­ten stellen.

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