Von der Sonne verwöhnt wurde Baden 2010 nicht. Nach veröffentlichter Meinung ein kleiner Jahrgang, nicht nur mengenmäßig. Doch Josef Michel aus Achkarren ist keineswegs unglücklich über das, was in diesem kühlen, bis Ende September auch regnerischen Jahrgang in seinen insgesamt 70 Parzellen gewachsen ist. „In solchen Jahren zeigt sich die Lage“, weiß er aus langer Erfahrung. Will heißen: Wer gute Lagen besitzt, kann sich auch in einem Jahr wie 2010 darauf verlassen, dass sie ihm gute Weine liefern.
Michels beste Lage ist der Achkarrer Schlossberg: eine relativ steile, noch kleinterrassierte Südwestlage mit weitem Blick ins Rheintal bis hinüber ins französische Colmar. Dort stehen seine besten Weißburgunder, Grauburgunder, Spätburgunder. Der 2010er Spätburgunder liegt noch im Fass. Doch Weiß- und Grauburgunder sind bereits auf der Flasche: der Weißburgunder feinnervig und rassig, der Grauburgunder etwas stoffiger, aber unglaublich frisch und von einer feinen Säure durchzogen.
Neuer Grauburgunder-Stil
„Der Grauburgunder kann sehr ausladend und üppig sein“, sagt Michel, der am Kaiserstuhl groß geworden ist und sich noch lebhaft an die goldenen Ruländer-Zeiten erinnert. Doch dieser Stil ist bei der jungen Generation der Weintrinker nicht mehr gefragt, zumal dann nicht, wenn die Weine durch Restsüße auf „süffig“ getrimmt werden. „In 2010 hat die Natur uns einen eher schlanken, geschmeidigen Wein beschert.“
Gewonnen hat, wer Geduld besaß
Michel ist keiner, der schnell die Geduld verliert. Er bewies Nerven und ließ seine Trauben nach der Vorlese bis weit in den Oktober hinein hängen, obwohl Grau- und Weißburgunder normalerweise sehr viel früher geerntet werden. Im Oktober änderte sich das Wetter. Die Regenfälle hörten auf, ein warmer, milder Altweibersommer ließ die Hoffnungen der Winzer wieder aufblühen. Die, die ihre Trauben noch draußen hatten, wurden belohnt. Sie haben gesunde, reife Trauben einbringen können.
Reintönig, rassig, rund – so schmecken Michels Weißweine in 2010. Besonders die Grauburgunder vom Achkarrer Schlossberg sind tolle Weine geworden. „Der Grauburgunder ist für uns ein Pfund“, sagt Michel nicht ohne Stolz. Das gilt für den nur im Stahltank ausgebauten Kabinett, erst recht aber für die vielschichtige, von 40jährigen Rebstöcken stammende Spätlese. Mit 9,80 Euro bietet Letztere wesentlich mehr Strahlkraft als viele andere, deutlich teurere Spätlesen vom Kaiserstuhl: ein fruchtiger, nach Klarapfel und Klee schmeckender Wein mit einer leicht speckigen Note, aber weder fett noch behäbig. Sicher, die Säure ist in 2010 etwas kräftiger als normal. Dafür ist dieser Wein, obwohl knochentrocken, mit 13 Vol.% noch nicht auf der schweren Seite.
Noch wenig bekanntes Weingut
Außerhalb Badens ist Josef Michel noch wenig bekannt. Dabei attestiert ihm der Gault Millau „konstant hohe Qualität“ und verleiht ihm 3 Sterne. Im Handelsblatt/Vinum-Ranking der 100 besten deutschen Winzer ist Michel regelmäßig gelistet. Eichelmann gibt ihm in seinem Weinführer sogar 5 Sterne, was „Weltklasse“ bedeutet. Für die 2008er, die wohl beste Kollektion, die Michel je gekeltert hat, trifft das auf jeden Fall zu. Dort hieß es: „Wenn man erklären soll, wie Grauburgunder schmeckt, dann muss man einen Wein vom Schlossberg nehmen, denn nirgendwo sonst schmeckt man die Grauburgundertraube so klar im Glas wie bei Josef Michel.”
Dieser Satz gilt auch für Michels 2010er. Wer mag, kann sie ab 7. September auf der Terrasse seines Weinguts zu Flammkuchen probieren. Dann öffnet die Straußwirtschaft wieder.