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Qualität nicht erkannt: Großem Gewächs droht Tafelwein-Status

Vergangenes Wochenende in der Kelterhalle der Salweys in Oberrotweil am Kaiserstuhl: In den Gärtanks und Fässern blubbert der neue Jahrgang, auf dem Hof warten zwei Bottiche voll Glottertäler Rieslingtrauben auf Ihre Verarbeitung. Doch mitten im Trubel der Lese verschwindet Konrad Salwey im Lager, klettert dort zwischen Gitterboxen herum und taucht schließlich mit einer Magnum-Flasche in der Hand wieder auf: eine Flasche ohne Kapsel und ohne Etikett, aber mit brisantem Inhalt. Salwey stellt zwei Gläser auf das Heck seines Gabelstaplers und zieht die Flasche auf. Goldfarben fließt der Wein ins Glas: ein Grauburgunder des Jahrgangs 2008 aus der Lage Oberrotweiler Henkenberg, gelesen und gekeltert als Großes Gewächs.

Konrad Salwey macht seiner Empörung Luft: „Ich habe den Wein schon zweimal bei der Qualitätsweinprüfung angestellt, beide Male ist er durchgefallen“. Bekanntlich müssen alle deutschen Weine, die sich „Qualitätswein“ nennen wollen, eine Blindprobe passieren, bei der sie durch eine amtlich berufene Kommission begutachtet werden. In den Verkostungsjurys der Qualitätsweinprüfung aber sitzen ausschließlich Kellermeister, und zwar vorwiegend solche größerer Weinerzeuger und Genossenschaften. Und die, das weiß man, tun sich schwer mit allem Neuen und Ungewohnten.

Konrad Salwey schenkt Wein einAls anfangs der achtziger Jahre die ersten Weine in Barriquefässern gelagert wurden, fielen sie bei der Qualitätsweinprüfung durch. Als Winzer Ende der neunziger Jahre begannen, mit Spontangärungen zu experimentieren, fielen ihre Weine durch. Dasselbe widerfuhr nun auch Salweys Henkenberg. Er fand vor den Augen der Jury keine Gnade. Offizielle Begründung: “Reduktionsböckser“. Mit anderen Worten: Der Wein ist fehlerhaft und damit nicht verkehrsfähig.

Was war geschehen? Konrad Salwey hatte sich zu einem Experiment entschlossen, wie es Spitzenwinzer im Elsass, im Burgund und Südfrankreich regelmäßig wagen, wenn sie besonders reiche, komplexe Weißweine ernten. Sie vinifizieren sie ähnlich wie einen Rotwein, um das Potenzial, das in ihnen steckt, besser auszuschöpfen.

Salwey, einer der besten und kreativsten deutschen Winzer der jungen Generation, hatte die Grauburgunder-Trauben weder abgebeert noch abgepresst, sondern nur gemahlen. Er hatte die Traubenmaische eine Woche lang bei niedrigen Temperaturen (also ohne zu gären) auf den Schalen stehen lassen. Später hatte er den Most bei relativ hohen Temperaturen (bis 30°C) im großen Holzfass vergoren – daher die goldgelbe Farbe und eine leichte Gerbstoff-Komponente am Gaumen. Folge: ein Wein, der von der Farbe bis zum Mundgefühl gegen den Mainstream schwimmt, aber auf lange Sicht ein wesentlich größeres Reifepotenzial besitzt als ein klassisch vinifizierter Grauburgunder: „Für mich ist es ein großer, spannender Wein“, sagt der Winzer.

Das Delikate an dem Vorgang ist, dass der Henkenberg vom Verband deutscher Prädikatsweingüter (VDP), dem das Weingut Salwey angehört, als „Großes Gewächs“ bestätigt wurde. Allerdings nicht sofort: „Ich muss zugeben, dass es auch bei der VDP-internen Prüfung Bedenken gab. Auch da musste ich den Wein zweimal vorstellen.“

Konrad Salwey schenkt Wein einOhne jede Frage hat Salweys ungewöhnliche Vinifikation die Gabe zu irritieren – schon alleine durch die Hochfarbigkeit des Weins. Andererseits weist der Henkenberg so viel Extrakt auf, dass an seinem Reifevermögen kaum gezweifelt werden kann. Vor allem aber ist sein Bukett so faszinierend: Die hohen Gärtemperaturen haben verhindert, dass sich auch nur der leiseste Anflug eines Bonbon-Tons bilden konnte, wie er bei den kühl vergorenen Weinen üblich ist.

Stattdessen erinnert eine intensive mineralische Duftkomponente daran, dass dieser Grauburgunder auf einem der besten Vulkangesteinsböden des Kaiserstuhls gewachsen ist. Das Bukett weist Noten auf, wie man sie von Asche kennt, oder von feuchten Steinen. Beim Trinken ist es, als hätte man erkaltete Lava spür- und schmeckbar auf der Zunge.

Nun hofft der innovationsfreudige Winzer auf den Faktor Zeit: „Ich warte einfach noch ein bisschen und stelle den Wein dann nochmal bei der Qualitätsweinprüfung an. Wenn er erstmal zweieinhalb, drei Jahre alt ist, wirkt die Farbe ganz normal für einen Grauburgunder dieses Alters.“

Falls bis dahin immer noch keine aufgeklärten Verbraucher, sondern nur Kellermeister in der Prüfungskommission sitzen und diese auch dann kein Einsehen haben sollten, bleibt Salwey als letztes Mittel nur die Vermarktung als Tafelwein – kurios für einen Wein, der normalerweise 24 Euro ab Weingut kostet. Dann darf zwar kein Lagenname das Etikett zieren. Aber ein „verbotenes“ Großes Gewächs ohne amtliche Prüfungsnummer – das wäre der Stoff, aus dem Legenden entstehen.

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1 Kommentar

  1. […] and classification better without dumbing things down and limiting what winemakers can do.  This isn’t the first time strict German rules have got in the way of different kinds of wines, but it isn’t surprising that faster-moving, more flexible and innovative wine-making will […]

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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