Spanien ist eine Fundgrube von 96+/100 Weinen. Einer von ihnen ist die 2004 Rioja Reserva der Bodegas Amaren. Sie hat in dem spanischen Weinführer Guia Proensa sogar 100/100 Punkte erhalten. Jens Priewe hat sich eine Flasche gekauft und sucht seitdem verzweifelt nach dem Grund für die hohe Bewertung.
2010 war für Spanien kein gutes Jahr. Die Erntemengen sind unterdurchschnittlich gering, die Qualität lässt Wünsche offen, die Wirtschaftskrise hat in der Weinwirtschaft ihre Spuren hinterlassen. Viele Bodegas mussten Insolvenz anmelden, andere wackeln, wieder andere mussten die Preise senken, um die Keller leer zu kriegen. Vor allem im Weinanbaugebiet La Mancha herrscht Krisenstimmung. Dort sind in den letzten Jahren besonders viele neue Kellereien entstanden, die mit hochfliegenden Plänen und geborgtem Kapital den Markt entern wollten und nun, da die Immobilienblase geplatzt ist, die Raten für ihre Hypothekarkredite nicht mehr bedienen können.
Auch an der Rioja ist die Krise nicht spurlos vorüber gegangen. Den Bodegas Amaren, 1995 gegründet, schwebten ursprünglich bessere Preise für ihre Weine vor. Die wirtschaftliche Lage hat ihrem Gründer Juan Luis Caños einen Strich durch die Rechnung gemacht. Obwohl seine Weine oft prämiert wurden und die Amaren Reserva im angesehenen British Airways Wine Club Aufnahme fand, gelang es ihm nie, die Preise zu realisieren, die andere große Rioja am Markt erzielen.
Selbst die Höchstbewertung im Guia Proensa 2010 hat an dieser Situation nichts geändert. Mit rund 30 Euro pro Flasche ist die Amaren Reserva der preiswerteste 100/100 Punkte-Wein der Welt.
Wie immer sich die 100/100 zustande gekommen sind – einen höheren Preis rechtfertigt diese 2004 Rioja Reserva nicht. Im Gegenteil: Mit 30 Euro ist sie gut bezahlt. Denn über glanzlose Standardqualität kommt dieser reinsortige Tempranillo von 60jährigen Reben nicht hinaus.
Auf der einen Seite mangelt es dem Wein an jener Fülle und Konzentration, die große, moderne Rioja aufweisen. Auf der anderen Seite fehlt ihm die Eleganz, die traditionelle Rioja besitzen können. Die Amaren Reserva ist ein völlig unspektakulärer, mittelgewichtiger Wein mit weichem Tannin und einer starken Röstaromatik, die vom (viel zu starken) Toast der Fässer herrührt: ein spannungsloser, ja braver Wein, der zwar – wenn man ihn einen Tag vorher dekantiert, damit die Röstnote sich ein bisschen mildert – einem in Amerika verbreiteten Geschmack nahe kommt, aber mit dem, was ein großer Rioja sein kann, absolut nichts zu tun hat.
Einen Gefallen hat der Guia Proensa den Bodegas Amaren mit seiner hohen Wertung nicht gemacht. So lässt sich das Preisdumping nicht bekämpfen: 100/100 Punkte für eine gelungene Irreführung.