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2003 Dom Pérignon: ein Champagner der etwas anderen Art

Richard Geoffroy, Kellermeister und oberster Önologe von Dom Pérignon, der Moët & Chandon-Tochter, sprudelt nicht gerade über, wenn er Rede und Antwort stehen muss. Sein Mitteilungsdrang ist gezügelt. Die wichtigen Botschaften finden sich bei ihm eher in Nebensätzen: „Mir war von Anfang klar, dass wir auch in 2003 einen Dom machen würden.“

Eine wichtige Botschaft? Vor dem Hintergrund des Jahrgangs 2003, der für die Champagnerwirtschaft traumatisch war, schon. Am 11. April jenes Jahres zerstörte ein fürchterlicher Spätfrost Dreiviertel der Chardonnay-Reben in den Weinbergen um Reims. Dann folgte ein brutal heißer und trockener Sommer, der die Blätter der Rebstöcke verdorren und die Trauben einschrumpeln ließ. Über 30°C in der ansonsten kühlen Champagne – das hatte es noch nie gegeben. Alarm bei allen, die in und um Reims mit Champagner zu tun haben. Angst breitete sich aus, dass dieser Jahrgang der Vorbote eines dramatischen Klimawandels sein könnte, der den Weinbau in der Champagne zum Erliegen bringt. Soweit die Vorgeschichte.

In 2003 weder einen Cristal noch einen Comte de Champagne

Und jetzt will dieser Richard Geoffroy der ganzen Welt erklären, dass es auch in diesem Extremjahr möglich war und sich gelohnt hat, einen Dom Pérignon auf die Flasche zu bringen? Vor allem, dass er von Anfang an gewusst habe, dass dieser Jahrgang das Zeug habe, ein guter Dom Pérignon zu werden? Schließlich haben 2003 weder Roederer, der große Konkurrent, einen Cristal abgefüllt noch Taittinger einen Comte de Champagne.

Am 7. Dezember 2011 hatte Geoffroy den 2003 Dom Pérignon erstmals vor einem kleinen Kreis von Champagnerkennern und -kritikern in Paris vorgestellt. Die Präsentation wurde zeitgleich übertragen nach London, New York, Hongkong und Tokio.

„Wir wussten um das Risiko“, gab Richard Geoffroy damals unumwunden zu. „Ich glaube aber, wir haben die Herausforderung bestanden.“ Und subtil polemisch gegenüber den Journalisten: „Jetzt gilt es zu verhindern, dass der 2003 Dom Pérignon heruntergeschrieben wird, weil er zu wenig Säure habe und nicht langlebig sei.“

Erste Bewertungen relativ hoch

Die Befürchtung war überflüssig.  Der neue Jahrgang wurde nicht unfreundlich aufgenommen. Während der große Vorgängerjahrgang 2002 bei den maßgeblichen internationalen Kritikern zwischen 94 und 96/100 Punkten erhielt, liegt die Bewertung des 2003ers den ersten Veröffentlichungen zufolge bei 93/100 Punkten. Kein schlechtes Ergebnis, auch wenn man bei einem 120 Euro teuren Jahrgangs-Champagner eine Bewertung in dieser Größenordnung erwarten muss. Am besten auf den Punkt brachte es Antonio Galloni, Parkers Champagner-Tester. Er erklärte den 2003er Dom Pérignon zu einem der „Theorie-widersprüchlichsten“ Champagner, die er je getrunken habe.

Wild und diszipliniert zugleich

Ich habe letzte Woche eine Flasche des neuen Jahrgangs, der seit vier Wochen auch in Deutschland auf dem Markt ist, probieren können. Sicher ist, dass der 2003 Dom Pérignon völlig anders ist als sein Vorgänger und die meisten Doms der 90er Jahre. Er ist wesentlich ausladender, ja von monumentaler Fülle, wie sie für einen Champagner eigentlich ungewöhnlich ist: ein wilder, exzessiver und doch disziplinierter Wein mit Noten von reifem Apfel, Algen, Safran und Pralinen, der sich erstaunlich unkompliziert trinken lässt und dabei viel von seiner Opulenz zeigt. Seine Mundfülle ist betörend, seine Süße umgarnend (obwohl der Wein mit 6 Gramm Restzucker niedriger dosiert ist als normal), seine Frische frappierend.

Es fehlt allerdings das Spiel

Was ihm etwas fehlt, ist das Spiel. Oder besser: die Spannung zwischen Extrakt und Säure, zwischen Cremigkeit und Mineralität. Die Säure des 2003 Dom Pérignon ist erwartungsgemäß niedrig. Geoffroy will sie nicht beziffern. Und die feine mineralische Komponente, die andere Jahrgänge auszeichnet, scheint bei diesem Wein aufgrund der hohen Reife nicht durchzuschlagen.

Dabei war der Lesebeginn so früh wie seit 1822 nicht mehr: am 25. August. Aufgrund des Verlustes großer Mengen Chardonnays durch Frost ist diese Sorte im 2003er Dom Pérignon nur zu 40 Prozent enthalten. 60 Prozent bestehen aus Pinot Noir.

„2003 sehr langlebig“

Der Vermutung, dass der 2003 Dom Pérignon aufgrund des Mangels an Säure nicht langlebig sei, widerspricht Geoffrey vehement. Dass die Säure für die Langlebigkeit verantwortlich ist, sei ein Mythos. Der Schlüssel für die Langlebigkeit liege im hohen Extrakt, auch beim Weißwein und beim Champagner: „Nicht die Säure macht den Dom Pérignon langlebig, sondern das Tannin.“

Der 2003er ist nach Geoffroy ein äußerst langlebiger Jahrgang. Für Champagnerfreunde, die wenig Erfahrung mit reifen Dom Pérignons haben, mag das irritierend klingen angesichts der Reife und Zugänglichkeit des 2003ers. Doch Geoffroy verweist auf die Erfahrungen mit dem 1947er, 1959er und 1976er, die ebenfalls aus sehr heißen, trockenen Jahren kamen und noch heute „Monumente“ seien.

Große Gläser für den 2003er

„2003 war zweifellos ein extremes und schwieriges Jahr“, gibt er zu. „Aber die richtige Rebsorte auf dem richtigen Terroir bringt auch in Jahren wie diesem gute Qualitäten.“

Wahrscheinlich hat Geoffroy Recht. Allerdings müssen sich die Dom-Trinker, die sich diesen Jahrgang in den Keller legen wollen, auf einen anderen als den gewohnten Stil einstellen. Der 2003 Dom Pérignon passt eher zu einer Kalbshaxe als zu einer Auster. Und sie sollten große Gläser bereithalten, wenn sie sich entschließen, eine Flasche zu köpfen. Dieser Wein sprengt ein traditionelles, schlankes Champagnerglas.

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Autor

Jens Priewe
Jens Priewe
Jens Priewe hat viele Jahre als Politik- und Wirtschaftsjournalist gearbeitet, bevor er auf das Thema Wein umsattelte. Er schreibt Kolumnen für den Feinschmecker und für das schweizerische Weinmagazin Merum. Für den Weinkenner, dessen Gesellschafter er ist, hat er seit der Gründung über 200 Artikel beigesteuert. Außerdem ist er Verfasser mehrerer erfolgreicher Weinbücher (u. a. „Wein – die grosse Schule“, „Grundkurs Wein“). Er stammt aus Schleswig-Holstein, lebt aber seit fast 40 Jahren in München.

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