Zehn Jahrgänge Luce aus der Magnumflasche – eine nicht-alltägliche Weinprobe. Auf der einen Seite ein großes Genuss-Versprechen, das auf mich wartete, auf der anderen Seite die Hoffnung auf Erkenntnisgewinn.
Denn der Luce ist unter den Supertuscans, zu denen er gehört, einer der unbekannteren. Antinoris Tignanello und Solaia sind wesentlich bekannter. Wie groß der Genuss war und welche Erkenntnis die Probe zu Tage förderte, davon weiter unten.
Merlot kann der Sangiovese gefährlich werden
Was ist der Luce genau? Ein Rotwein. Er besteht je zur Hälfte (ungefähr) aus Sangiovese und Merlot. Eine nicht alltägliche Mischung für die Toskana, in der die Rotweine nach Meinung vieler Experten möglichst reinsortig aus Sangiovese-Trauben gekeltert werden sollten. Und wenn nicht, dann nur mit kleinen Anteilen Merlot, Cabernet Sauvignon, Syrah oder anderen internationalen Sorten. Sie haben die unangenehme Eigenschaft, die Sangiovese geschmacklich zu dominieren und ihr so den urwüchsigen Charakter zu „stehlen“, wenn sie zu hoch portioniert sind.
In Falle des Luce wachsen beide Sorten in Montalcino, also im Anbaugebiet des Brunello. Montalcino ist eine der besten Appellationen der Toskana. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den Wein. Der Preis tut ein Übriges. Rund 90 Euro kostet die Flasche. Das zwölfzüngige Sonnensymbol, das die Flasche ziert, stammt übrigens vom Hochaltar der Kirche Santo Spirito in Florenz. Das Grundstück, auf dem sie errichtet ist, wurde der Kirche einst von den Marchesi de’Frescobaldi zur Verfügung gestellt.
Joint Venture von Frescobaldi und Mondavi
Die Frescobaldi stehen hinter dem Luce. Sie haben das Weingut Luce della Vite 1993 als Joint Venture zusammen mit dem kalifornischen Weinpionier Robert Mondavi gegründet. Das gemeinsame Ziel: neue Wege beschreiten bei der Produktion von Spitzenweinen in der Toskana. Beide Familien haben ihr Know-how in das Projekt eingebracht – Mondavi mit der Rebsorte Merlot, Frescobaldi mit der Sangiovese. 1993 kam der erste Luce heraus.
Seitdem sind 20 Jahrgänge erschienen. Zehn hatte Lamberto Frescobaldi, der heute für den Wein Verantwortliche, für die Probe ausgesucht. Sie fand an einem ungewöhnlichen Ort statt: in einer Kirche. Konkret: in der St. Johanniskirche im Hamburger Stadtteil Altona. Ein neogotischer Backsteinbau, der 600 Gottesdienstbesuchern Plätz böte – wenn sie denn kämen. Da das nicht der Fall ist, hat sich die Evangelisch-Lutherische Landeskirche entschlossen, ihr Gotteshaus an Tagen, an denen keine Gottesdienste stattfinden, für kulturelle Veranstaltungen zu öffnen. Seitdem heißt St. Johannis bei den Hamburgern nur „Kulturkirche Altona“, und mit dem Geld, das die Lutheraner durch die Eventvermarktung einnehmen, können Dach und Spitzturm saniert werden. Das nur kurz nebenbei.
Besser als ein Brunello di Montalcino?
Luce-Probe in der Kulturkirche AltonaWas hat die Probe gezeigt? Auf jeden Fall, dass der Luce in seinen besten Jahrgängen ein großartiger, langlebiger Genusswein ist, der in puncto Fülle, Komplexität, Feinheit unter den Supertuscans ganz oben angesiedelt ist. Einige Jahrgänge erfüllten allerdings die Erwartungen nicht ganz, die man mit einem Luxuswein verbindet. Sie waren gut, aber ohne langen Atem, den große Weine haben sollten. Und die Frage, ob der Luce schlussendlich besser ist als ein Brunello di Montalcino, kann ich nicht beantworten. Eine Grapefruit ist ja auch nicht besser als eine Zitrone, nur weil sie größer und weniger sauer ist.
Welche Erkenntnisse hat die Probe gebracht? Man kann, wenn man es nicht schon vorher wusste, sagen, dass die Sorte Merlot für mehr Opulenz sorgt, als die Sangiovese geben kann. Sie macht, dass der Luce einfacher zu trinken und leichter zu verstehen ist als ein reinsortiger Sangiovese-Wein. Wenn es nicht so negativ klänge, könnte man sagen: Merlot macht den Wein mainstreamiger.
„Die Merlot ist ein Biest“
Wahr ist aber auch, dass die Merlot in der Toskana unabhängig vom mainstream sehr gute Qualitäten ergibt, auch wenn sie in Montalcino eine von den Einheimischen nicht sonderlich willkommener Eindringling ist. Sie neigt zu hohen Alkoholgehalten und deckelt die charakteristische Sangiovese-Säure. „Die Merlot ist ein Biest“, sagte Lamberto Frescobaldi, ohne sie damit verfluchen zu wollen. Eigentlich müsste man jetzt Tim Mondavi fragen, was für ihn die Sangiovese ist. Aber der war nicht da. Seine Familie musste ihre Anteile an dem Luce-Projekt 2004 nach dem 9/11-Desaster und dem folgenden Börsencrash verkaufen. Wäre er zugegen gewesen, hätte er wahrscheinlich gesagt: Die Sangiovese ist eine wilde Sau, die erstmal gezähmt werden muss, wenn man einen hochklassigen Rotwein erhalten will, den auch Amerikaner und Kanadier mögen. Ob er Recht hat und ob die Merlot diejenige Sorte ist, die die Sangiovese in Zaum halten kann, darüber streiten sich die Experten.
Eine Luxus-Cuvée wie Siepi und 50&50
Großer, majestätischer RotweinDie Teilnehmer der Probe in der Kulturkirche Altona waren sich jedenfalls einig, dass auch Mitteleuropäer einen Wein wie den Luce gern trinken, verwöhnte Zungen eingeschlossen. Die Tatsache, dass in diesem Wein zwei Kulturen aufeinander treffen, die Sangiovese- und die Merlotkultur, schreckt sie nicht ab. Toskana-Freaks kennen solche Luxus-Cuvées zum Beispiel schon vom Siepi (Castello di Fonterutoli) und vom 50&50 (Avignonesi).
Vielleicht ist die Tatsache, dass das Zusammenfügen von Weinen einer autochthonen und einer internationalen Rebsorte als heikel empfunden wird, nur ein Problem von Weinintellektuellen. Einem unbelasteten Weintrinker ist es egal, ob ein Wein mit gebietsfernen Rebsorten „bastardisiert“ wird oder nicht. Er wird den Wein danach beurteilen, wie er schmeckt und sich im Vergleich zu anderen, ähnlich teuren Weinen präsentiert. Und da schneidet der Luce gar nicht so schlecht ab: Antinoris Tignanello kostet nicht viel weniger als er, der Solaia doppelt so viel (beide allerdings mit Cabernet Sauvignon verschnitten, nicht mit Merlot).
Tendenz zur Uniformität auf hohem Niveau
Weingut Luce della ViteWer die Spezialität, also das Unverwechselbare, sucht, wird allerdings einen Sangiovese-Wein vorziehen, etwa einen Brunello di Montalcino oder einen großen Chianti Classico. Denn 50 Prozent Merlot in der Cuvée ist viel. Die Sorte prägt den Wein, gibt ihm Noten, die man in südfranzösischen, spanischen, südafrikanischen Rotweinen auch findet, zum Plaisir der einen, zur Langeweile der anderen. Die Tendenz zur weltweiten Uniformität auf hohem Niveau spiegelt sich im Luce wider.
Die wichtigste Erkenntnis, die ich persönlich aus der Probe gezogen habe, ist noch eine andere – und zwar eine höchst erfreuliche: Mit den größten Merlot-Weinen der Welt hat der Luce keine Ähnlichkeit. Ich meine die Pomerols.
Die Weine
2012 Luce | Sehr gutes Jahr in der Toskana, das die besten Sangiovese-Trauben seit langem ergeben hat: Der Wein ist sehr dicht gewoben, aber weder überreif noch überladen, eher elegant trotz des vielen Tannins. Also ein eher schlanker, „leichter“ Wein mit leicht höherer Säure als sonst. Jetzt kaufen, in zehn Jahren trinken. | 91+ |
2010 Luce | Reicher, schwerer Wein aus einem großen Jahrgang, Nase noch etwas reduktiv und streng, doch tolle Frucht, zarte Würze, weiches Tannin: hochkomplex, vielversprechend, schon nahbar. | 93 |
2008 Luce | Wie die Brunello dieses Jahrgangs auch ist der Luce im Körper etwas zu schlank, im Alkohol (15,5 Vol.%) dagegen etwas zu hoch geraten: Das Missverhältnis zeigt schon, dass dieser Wein zwar sauber und durchaus delikat zu trinken, aber ohne innere Balance ist. Zukunft? Lieber jetzt trinken. | 88 |
2006 Luce | Reicher, üppiger Wein aus einem in der Toskana sehr guten Jahr, überquellender Fruchtcocktail, viel Schokolade, viel süße Beere, aber auch viel Struktur: Darling aller Weinjournalisten. | 93+ |
2004 Luce | Im Moment noch sehr verhalten und weniger eindrucksvoll als die 2006er und 2010er: ein Hauch von Schokolade und Minze spürbar, aber wenig Frucht. Auch wenn dieser Wein nicht so opulent ausfällt, so ist er ausgesprochen muskulös, dicht gewoben, verfügt über eine fantastische Tanninstruktur und besitzt eine perfekte Balance. Mein Favorit mit Blick auf die Zukunft. | 94+ |
2003 Luce | Eher flatteriger Wein aus einem heißen Jahrgang, in dem die Trauben nicht ganz physiologisch reif waren: In der Nase Stallgeruch, am Gaumen wird die Frucht überlagert von schwarzem Pfeffer und von grünen Noten. Neben dem problematischen Klimaverlauf hat wohl auch die die bevorstehende Trennung von Mondavi einen Schatten auf den Jahrgang geworfen. | 87 |
2001 Luce | Muskulöser, hochkonzentrierter, gleichzeitig aber wohlbalancierter Wein, noch immer etwas verschlossen, aber schon sehr „beerig“ in der Nase und am Gaumen: einer der besten, auf die Zukunft bezogen vielleicht sogar der beste Luce ever. | 95 |
2000 Luce | Warm-heißer Jahrgang in der Toskana, doch nicht so extrem wie der 2003er, strenges Bouquet mit viel schwarzem Pfeffer, aber auch ausdrucksvoller, süßer Frucht, Brombeere und schwarze Johannisbeere, dazu üppiges Tannin: ein sehr suggestiver, reicher Wein, der aber nicht die Tiefe und Vielschichtigkeit des 2001ers besitzt. | 92 |
1998 Luce | Überraschend gut gelungener und gereifter Wein aus einem Jahrgang, der nicht unbedingt zu den großen in Montalcino gehört, sehr frisch noch in der Nase mit zarter Beerenfrucht, viel Tabak, Unterholzwürze und einem Hauch von Lakritze: kein fetter, sondern ein schlanker, sehr präziser Wein, jetzt hervorragend zu trinken. | 93 |
1996 Luce | Leicht gezehrter Wein, der für viele Weinliebhaber wahrscheinlich als schon über seinen Höhepunkt hinaus empfunden wird, aber die Frucht ist noch intakt, die Säure lebendig und spürbar, die Tertiäraromen fein und faszinierend: Malz, Teer, Trockenpflaumen, dazu ein Hauch von „Todessüße“. Für Altweinlieber ein großer Genuss. Und: Im Glas wird der Wein besser! | 94 |
Der 2012er Luce ist beim Bremer Weinkolleg erhältlich für 93 Euro, der 2010er Luce bei Superiore.de für 76,90 Euro, der 2009er Luce für 179 Euro (Magnum), der 2012er Luce für 89,90 Euro. Ausserdem sind die Weine im gehobenen Delikatessenhandel erhältlich, etwa beim KaDeWe in Berlin und bei Käfer in München.