Unter 10 Euro: Christoph Hammel und seine seriöse Liebfraumilch

Liebfraumilch? Dieses süße Zeugs, das das Image des deutschen Weins in der Welt kaputt gemacht hat? Ein Verrückter in der Pfalz legt die alte Platte wieder auf und ruft: Yes we can!

Wenn Chris­toph Ham­mel ins Reden kommt und nie­mand ihn bremst, redet er, bis der Akku leer ist (nicht sei­ner, son­dern der sei­nes Han­dy). Er hat ein­fach viel los­zu­wer­den. Ideen, Über­zeu­gun­gen, Erleuch­tun­gen, Gedan­ken­blit­ze, Gefüh­le – alles muss raus. Vor allem die Gefüh­le. Sie rei­chen von Begeis­te­rung über Skep­sis bis zu Ärger und Empö­rung. Im Moment empört sich der 51Jährige mit dem dunk­len Rau­sche­bart gera­de über den nied­ri­gen Fass­wein­preis für Müller-Thurgau. 50 Cent pro Liter – das sei eine „Schan­de“, eine „Ent­wer­tung des Pro­dukts Wein“. Dabei könn­te ihm der Preis egal sein. Fass­wein ist nicht sein Geschäft. Er füllt prak­tisch alles auf Fla­sche, was sei­ne 63 Hekt­ar Wein­ber­ge in der Nord­pfalz hergeben.


„Sel­ten hat mir etwas so viel Spaß gemacht…“


Weinfeste sind in der Pfalz „sowas wie ein Gottesdienst“

Das Wein­gut, das er und sein Bru­der zusam­men betrei­ben, liegt in Kirch­heim an der Wein­stra­ße. Eine beschau­li­che 1900-Einwohner-Gemeinde, in der gern und viel gefei­ert wird und die Wein­fes­te „sowas wie ein Got­tes­dienst“ sind (O-Ton Ham­mel). Klar dass der Wein dort in Strö­men fließt. Die Lößlehm-Böden in der Ober­rhein­ebe­ne sind rela­tiv frucht­bar, die Win­zer bau­en nicht nur Ries­ling, son­dern das gan­ze Spek­trum an, von Bac­chus, Morio-Muskat, Gewürz­tra­mi­ner, Rulän­der bis zu Dorn­fel­der, Por­tu­gie­ser, St. Lau­rent, Caber­net Dor­sa, Regent. Und natür­lich den unver­meid­li­chen Sau­vi­gnon blanc.

Die Ham­mels machen da kei­ne Aus­nah­me. Ihr Sor­ti­ment ist eine knall­bun­te Palet­te in weiß, rosé, rot, still und pri­ckelnd, tro­cken und süß in allen Varia­tio­nen, mal rein­sor­tig, mal wild zusam­men­ge­mixt, teil­wei­se mit Mallorca-Wein ver­schnit­ten, weil Chris­toph einen alten Freund auf Mal­lor­ca hat. Die meis­ten sind Spaß­wei­ne, gedacht für Leu­te, die auf Wein­bü­cher, Parker-Punkte, Exper­ten­bla­bla schei­ßen und sich lie­ber von dem inspi­rie­ren las­sen, was auf Face­book gepos­tet wird. Oder was Chris­toph Ham­mel dort selbst postet.

Immer für einen Spruch gut

Er ist zwar Haupt­be­rufs­win­zer, aber auch Facebook-Aktivist. In den Social Media kann er viel raus­las­sen von dem, was ihn bewegt. Über einen sei­ner Rosé-Weine for­mu­lier­te er selbst­iro­nisch: „So’n ganz gna­den­lo­ser Kra­cher für alle Nagel­stu­dio­mä­dels und Helene-Fischer-Fans“. Oder: „Juch­he, ich bin echt sehr, sehr glück­lich mit…“ Einem sei­ner Wei­ne natürlich.

Christoph Hammel
Chris­toph Ham­mel © Andre­as Durst

Dafür liebt ihn die Facebook-Gemeinde. „Rot­zig und klug“ schreibt ein Fol­lower über ihn. Ein ande­rer: „Wer sei­ne Posts ver­folgt, braucht sonst kaum Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur…“ Selbst die Wein­schrei­ber der Print­me­di­en von Vinum über die Wein­wirt­schaft bis zu Wein­wis­ser mögen den ver­rück­ten Pfäl­zer, der immer für einen Spruch gut ist.

Auch die Spaßweine sind bei ihm schrecklich seriös

Spaß, das ist der rote Faden im Winz­er­le­ben des Chris­toph Ham­mel. Ist das Ele­ment, das sei­ne Akkus immer wie­der auf­lädt. Er habe „zwar kei­nen Por­sche vor der Tür“ und sei eigent­lich auch nur „Schlauch­zie­her und Fass­put­zer“, wie er auf You­tube im Gespräch mit Hen­drik Tho­ma erzählt. Trotz­dem füh­re er ein „big life“. Der Spaß muss aller­dings seri­ös sein, dar­auf legt Ham­mel Wert. Als Win­zer ist er ein Pro­fi. Er hat im öster­rei­chi­schen Klos­ter­neu­burg Wein­bau stu­diert und drei Jah­re als Kel­ler­meis­ter in Süd­afri­ka gear­bei­tet. Selbst die Spaß­wei­ne sind bei ihm schreck­lich seriös.

Sein neu­es­ter Coup ist die Lieb­f­raum­ilch. Eine Weiß­wein­cu­vée aus Müller-Thurgau, Ker­ner, Sil­va­ner und Scheu­rebe, die mit 19 Gramm Rest­zu­cker auf die Fla­sche gekom­men ist. Lieb­f­raum­ilch?, wer­den die 25-Jährigen fra­gen, die mit dem Wein­trin­ken gera­de begin­nen und mit dem komi­schen Namen nichts anfan­gen kön­nen. Die 35-Jährigen wer­den ent­setzt aus­ru­fen: „Süße Plem­pe!“ und sich fra­gen, wes­halb weinkenner.de, der immer so furcht­bar seri­ös tut, einen sol­chen Wein erwäh­nen, gar emp­feh­len kann. Einen Wein, der ver­däch­ti­ge 5,95 Euro kos­tet und einen Namen trägt, der pein­lich ist.

„Selten hat mir etwas so viel Spaß gemacht…“

Ers­te Ant­wort: Der Wein ist seri­ös. Zwei­te Ant­wort: Wir müs­sen auch mal über Wei­ne schrei­ben, die die 25- bis 35-Jährigen mehr umtreibt als Gro­ße Gewäch­se oder sons­ti­ge Grands Crus: Über die Hälf­te der Besu­cher unse­rer Web­site gehört näm­lich die­ser Alters­grup­pe an. Und die drit­te Ant­wort hat Ham­mel auf Face­book gege­ben: „Sel­ten, sehr sel­ten, hat mir etwas so Spaß gemacht wie die­ser Wein. Gera­de weil ALLE gesagt haben: wie bit­te?? du willst LIEBFRAUMILCH machen…sweet & cheap?? Die­se kit­schi­ge Bil­lig­plör­re, die nur ver­blö­de­te Amis trin­ken und ver­fet­te­te Engländerinnen???“

Das Weindorf Kirchheim in der Pfalz
Das Wein­dorf Kirch­heim in der Pfalz

Eigentlich hat die Liebfraumilch das Image des deutschen Weins ruiniert

Eine Pro­vo­ka­ti­on also, die Ham­mer­sche Lieb­f­raum­ilch. Aber Wei­ne sind ja nicht per se schlecht, weil sie rest­süß sind. Zumal vie­le Wein­trin­ker der Nutella-Generation nichts gegen eine klei­ne Rest­sü­ße ein­zu­wen­den haben. Fein­her­be Wei­ne von der Mosel und aus dem Rhein­gau fin­den sich inzwi­schen auf den Wein­kar­ten der Sterne-Gastronomie. Aller­dings ver­wen­den die Molitor, J.J.Prüm, Breu­er & Co.  nicht die Bezeich­nung Lieb­f­raum­ilch, ein Name, der vor hun­dert Jah­ren mal für guten Rhein­wein stand, seit 50 Jah­ren aber ein Garan­tie­zer­ti­fi­kat für bana­le Mar­ken­wei­ne der unters­ten Qua­li­täts­stu­fe ist und das Image des deut­schen Weins im Aus­land regel­recht rui­niert hat.

Dar­über setzt sich Ham­mel kess hin­weg. Er hat die Visi­on, den Begriff Lieb­f­raum­ilch wie­der gesell­schafts­fä­hig zu machen, indem er unter schlech­tem Namen einen guten Wein auf den Markt bringt. „Yes, we can“ ist er über­zeugt. Bei Face­boo­kern klappt das viel­leicht, beim Rest der Welt eher nicht – ver­mu­ten wir.

Rau­sche­bart hin, Rau­sche­bart her, die  ent­schei­den­de Fra­ge lau­tet: Ist der Inhalt der Fla­sche wirk­lich gut? Er ist, soviel sei ver­ra­ten, blitz­sauber mit zart­duf­ti­gem, sehr ani­mie­ren­dem Bou­quet, fei­nem Süße-/Säure-Spiel am Gau­men. Und er schmeckt gar nicht rich­tig süß, son­dern rela­tiv tro­cken. Ein coo­ler Wein, um im Facebook-Deutsch zu blei­ben, und trotz schlap­per 5,95 Euro zum mensch­li­chen Genuss durch­aus geeignet.

Der Wein


Lieb­f­raum­ilch Deut­scher Qua­li­täts­wein | Wein­gut Ham­mel & Cie., Kirch­heim a.d.Weinstrasse

Preis: 5,95 Euro

Bezug: www.WirWinzer.de


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