Im Februar hatte ich Gelegenheit, die Brunello di Montalcino des neu auf den Markt kommenden Jahrgangs 2012 zu verkosten (nicht alle, aber rund 90 Prozent): In Bordeaux war 2012 ein regnerisch-kühler Jahrgang, in Montalcino das Gegenteil: ein sehr warmer, extrem trockener Jahrgang, aber am Ende von einem goldenen September und Oktober gekrönt. Die Brunello-Produzenten selbst haben ihn mit ***** bewertet, der Höchstwertung.
Das Klima machte es schwer, Fehler zu begehen

Auf Winzer-Urteile muss man nichts geben. Aber in 2012 haben die Brunello-Erzeuger ausnahmsweise Recht. Selten hat mich ein Jahrgang beim Brunello di Montalcino so überzeugt wie dieser. Warum? Weil der Klimaverlauf es den Produzenten in 2012 schwer gemacht hat, die klassischen Fehler zu begehen, die in Montalcino so häufig und so gern begangen werden: die Trauben hochreif oder gar überreif zu lesen.
Klingt vielleicht arrogant, wenn einer, der nie Önologie studiert und nie auf einem Weingut gearbeitet hat, so etwas sagt. Aber ich verkoste den Brunello di Montalcino seit drei Jahrzehnten regelmäßig und systematisch. Habe unzählige Gespräche mit Winzern geführt. Kenne fast jeden Winkel des Anbaugebiets und verfolge die Entwicklung vieler Weine über Jahre, um zu beobachten, wie sie sich entwickeln – und wie nicht. Ich habe kritisiert, wenn Händler oder Journalistenkollegen den Brunello di Montalcino mal wieder mit den üblichen Lobhudeleien überzogen und mittelmäßige, manchmal auch erbärmliche Weine zu Spitzengewächsen hochstilisierten – wie zuletzt beim Jahrgang 2011 geschehen.
Die internationale Weinkritik hält sich noch bedeckt

Diesmal kritisiere ich eher jene, die sich bedeckt halten, weil sie fürchten, der 2012er könnte zu hoch gehängt werden, etwa so hoch wie der 2010er, der unisono (und zu Recht) als „groß“ empfunden wurde. Doch 2012 ist ganz anders als 2010. Der amerikanische „Wine Enthusiast“, den man durchaus als „Instanz“ bezeichnen darf, gibt zwar zu, dass einzelne Weine ganz gut seien, aber der Jahrgang nicht durch die Bank gut ist – ein Urteil, das auf viele andere Jahrgänge auch zutrifft. Der im Ausland relativ unbekannte, aber in Italien angesehene „Doctor Wine“ meint, 2012 sei ein interessanter Jahrgang, der durch große Qualitätsunterschiede charakterisiert sei. Auch das stimmt in Montalcino immer. Der Chefverkoster vom Gambero Rosso spricht von eleganten, harmonischen Weinen, die man schon früh trinken könne, die aber auch Alterungspotenzial besäßen. Ohne Zweifel ist auch diese Beobachtung richtig. Doch irgendwie, so scheint mir, drücken sich alle um ein klares Urteil herum und halten sich bedeckt, was den Jahrgang angeht. Der einzige, der seiner Begeisterung freien Lauf lässt, ist der Amerikaner James Suckling. Er bezeichnet den Jahrgang 2012 in seinem (kostenpflichtigen) Weinportal www.jamessuckling.com als „Rockstar“ und vergibt hohe Wertungen. Noch tiefer in die Punktekiste greift Monica Larner, Parkers Statthalterin in Italien. In der Spitze geht sie sogar auf 99 Punkte. Allerdings scheinen bei ihr jene Betriebe einen Bonus zu bekommen, die einen prominenten amerikanischen Importeur haben.
Was die 2012er Brunello auszeichnet

Nach der eher kritischen Einschätzung des Jahrgangs 2011 („von meisterhaft bis dilettantisch“) fällt es mir diesmal schwer, meine Vorbehalte gegen den Brunello di Montalcino aufrecht zu erhalten. So viele gute und sehr gute Weine habe ich in den letzten 15 Jahren in Montalcino selten getrunken. Die Weine sind nicht überladen (wie teilweise in 2006). Sie sind nicht so säurearm und aufgeblasen wie in 2011. Sie haben nicht die Wucht der 2007er. Und sie sind nicht so brav und bieder wie die 2009er. Andererseits besitzen sie, zugegeben, auch nicht ganz die Fülle und Komplexität der 2010er.
Was ist die Besonderheit der 2012er Brunello? Ganz klar die Frische. Selten kam die Sangiovese-Frucht so schön zum Ausdruck wie in diesem Jahr. Und das bei kräftigem Körper und hoher Tanninreife. Das Resultat sind sehr lineare Weine, die ohne Schnörkel und Arabesken auskommen, aber Substanz und Tiefe besitzen. Viele sind jetzt schon mit Genuss antrinkbar, haben aber auch das Zeug, sich 15 oder 20 Jahre auf der Flasche zu verfeinern. Wenn der 2010er mit ***** geratet wurde, dann würde ich dem 2012er ****(*) geben.
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Hallo Herr Priewe,
schade dass ein anscheinend nicht unerheblicher Teil ihrer Leserschaft nur an Punkten, jedoch nicht am Wein selbst interessiert zu sein scheint, wie ich dieser Textstelle entnehmen darf:
„Auf den folgenden Seite lesen Sie, wie ich die Brunello des Jahrgangs 2012 im Einzelnen bewertet habe. Ich verzichte diesmal, meine detaillierten Verkostungsnotizen zu veröffentlichen. Mehrere Leser hatten geschrieben, dass sie Details gar nicht wissen wollen. Ihnen komme ich hiermit entgegen.“
Mir kommen Sie damit nun leider gar nicht entgegen, da es mir anhand ihrer kompakten aber aussagekräftigen und prägnanten VKN, in Verbindung mit langjähriger Leserschaft und eigener Erfahrung, durchaus möglich war mir ein gewisses Stil- und Geschmacksbild des Weins zu machen. Meines Erachtens unersätzlich – Punkte sagen leider gar nichts aus, wenn man bestimmte Geschmacksvorlieben / Preferenzen besitzt, die einem ggf. wichtiger sind als eine möglichst hohe Bewertungszahl.
Im Vertrauen auf Ihre meinerseits geschätzten Qualitäten als Verkoster und Autor hoffe ich, dass Sie künftig auch wieder, wie bisher, einen kurzen Text zur Einordnung der Weine beifügen. Es wäre Schade und m.E. ein verlust, wenn Sie sich künftig lediglich auf die Reproduktion von Punkten beschränken würden.
Ich verstehe Sie vollkommen. Jeder Verkoster hat sein eigenes Koordinatensystem, in dem er Punkte vergibt. Nur so lassen sich die Punkte einordnen und verstehen, warum ein Wein hoch und der andere niedrig bewertet wird. Es tut mir leid, dass ich Sie diesmal enttäusche. Mehren sich die Proteste, werde ich darüber nachdenken, die VKN wieder einzuführen.
Anscheinend, oder „Gott sei Dank“, stehe ich nicht allein mit meiner Meinung – immerhin bis dato vier weitere Personen der Leserschaft sehen dies ganz ähnlich, und auch diesen war es Wert ein paar Zeilen zu schreiben und die entsprechende Zeit hierfür zu investieren.
Selbstredend kann dies nicht als representativ verstanden werden, ist für mich, aber vielleicht auch für Sie, ein Zeichen der Unterstützung und des Zuspruchs Weinbewertungen nicht ausschliesslich auf die Punkte zu reduzieren.
An dieser Stelle meinerseits ein kurzer Dank für die Arbeit die Sie grundsätzlich für die Weinkultur, hier, wie auch an anderen Stellen, bzw. Medien und Publikationen, leisten und geleistet haben.
Als einer von wenigen räumen Sie vorallem auch der italienischen Weinkultur einen breiten Raum ein, was ich als italienaffiner Weinkonsument sehr schätze und zu schätzen weis.
Sehr geehrter Herr Priewe,
ich teile die Meinung von Herrn Schindler und würde sehr begrüssen, wenn Sie die VKN wieder einführen.
Im Guten wie im Schlechten ist dies sehr lehrreich; unabhängig davon, ob man die jeweilige Bewertung teilt.
Auch ich möchte höflichst anmerken, dass Ihre früheren Detailbeschreibungen für mich persönlich einen viel grösseren Mehrwert hatten als dieser aktuelle Bericht. Ich würde es schade finden, wenn Sie in Zukunft auf diese qualitativen – weil auch subjektiv argumentierenden – Teilaspekte Ihres Bewertungsschemas verzichten würden.
Auch ist meine persönliche Meinung, dass die überwiegende Mehrheit Ihres (bzw. des Verlages) Zielpublikums (bzw. der tatsächlichen Leserschaft) auch an explizit detaillgeträu dargestellten Genusswahrnehmungen interessiert ist.
Hallo Herr Priewe,
den vorausgegangen Kommentaren schließe ich mich an. Das sehe ich genau so! Vielleicht noch ein Tipp, wenn Sie der Übersichtlichkeit wegen an der Punkteliste festhalten wollen. Wieso nicht einfach die Verkostungsnotizen durch Anklicken aufklappbar und zugänglich machen?
Hallo Herr Priewe,
auf die Punkte könnte ich eher verzichten, aber nicht auf die Verkostungnotizen….
Viele Grüße
Manfred Stahl
Guten Tag Herr Priewe,
mich würde interessieren, ob Sie auch die Weine von der Az. Agr. Le Ragnaie verkostet haben?
Beste Grüße
J. Krause
Sehr geehrter Herr Krause,
leider war der Le Ragnaie nicht unter den Brunello, die ich verkosten konnte.
Mit freundlichen Grüssen,
Jens Priewe