Die Trauben sind im Keller. Der Wein gärt. Die Deutungsversuche über den Jahrgangs 2015 beginnen. Jens Priewe beschreibt die Fakten, der englische Journalist Andrew Black interviewte Pierre Lurton (Cheval Blanc) und Pauline Vauthier (Ausone).

Vielleicht wird 2015 wirklich jener große Jahrgang, den sich Bordeaux so sehnlich wünscht. Vergleichbar mit 2010. Oder 2009. Oder 2005. Vielleicht aber auch nicht. Denn der Jahrgang 2015 hat den Châteaux Kopfschmerzen bereitet – und tut es noch immer. Das erste Problem war, dass die Trauben schon sehr früh hohe Zuckerwerte aufwiesen. Daraus folgte das zweite Problem: der Versuchung zu widerstehen früh zu lesen. Denn nicht die Zuckerwerte, sondern die phenolische Reife müssen den Lesezeitpunkt determinieren. Nicht alle Châteaux haben sich das klar gemacht.
Ein Riss geht durch die Winzerschaft
Aber was genau heißt früh? Einige Château am linken Ufer hielten es für richtig, ihre Lesemannschaft bereits am 3. September rauszuschicken – so früh wie noch nie. Andere begannen erst am 12. September mit der Lese, wieder andere noch später. Bis heute geht ein auffälliger Riss durch die Winzerschaft von St. Emilion und Pomerol bei der Frage, wann der richtige Lesezeitpunkt in 2015 war.

Die unterschiedlichen Ansichten haben mit einem Phänomen zu tun, das es in Bordeaux schon lange nicht mehr gegeben hat. Die Schale der Beeren war nämlich auch dann noch sehr dick, als die Trauben schon reif waren: das dritte Problem. Normalerweise wird die Schale immer dünner, je reifer die Trauben werden. Diesmal offensichtlich nicht. Der trockene, langanhaltend heiße Sommer hatte wohl dazu geführt, dass die Beeren sich durch dicke Schalen gegen die Sonne schützen wollten.
Gefahr der Über-Extraktion
Das vierte Problem war eine logische Konsequenz des dritten: die Gefahr der Überextraktion bei der Gärung. Auch wenn die Schalen dick sind, kann die Extraktion der Farbe und des Tannins durchaus leicht vonstatten gehen, vor allem, wenn der Alkohol hoch ist. So war es in 2015. Eine lange Maischegärung mit hohen Temperaturen und häufiger Remontage wäre falsch gewesen.
Das letzte Problem: Niemand weiß bis heute genau, wie gut der Jahrgang letztlich ist. Alle Äußerungen, die jetzt gemacht werden, sind reine Spekulation. Die Weine gären noch, liegen teilweise sogar noch auf der Maische. Die wichtige malolaktische Gärung, nach der sich erst zeigt, welche Qualitäten der Jahrgang wirklich hat, ist noch in weiter Ferne.
Ausschlaggebend waren die guten Terroirs

Eines ist allerdings sicher: Ein guter Jahrgang wird der 2015er allemal. Am linken Ufer, also im Médoc und im Graves, berichten die Châteaux von teilweise exzellenten Qualitäten des Cabernet Sauvignon, jedenfalls in den besten Terroirs. An einigen Stellen hatte es im August noch einmal kräftig geregnet. Bis zu 100 Millimeter Niederschlag wurden in wenigen Tagen registriert. Wo die Böden wasserdurchlässig sind wie auf den flussnahen Kiesbänken des Médoc, hatten die Reben deutlich bessere Voraussetzungen als auf lehmig-sandigen Böden. Allerdings wurde die Cabernet Sauvignon im Médoc und im Graves auch wesentlich später gelesen als in St. Emilion.
Viel Alkohol, wenig Säure

Am rechten Ufer, also in Pomerol und St. Emilion, war es diesmal der Cabernet franc, der zuerst eingebracht wurde, während die Merlot häufig länger hing. Welche Sorte dem Jahrgang letztlich seinen Stempel aufdrücken wird, ist noch ungewiss. Sicher ist, dass die Alkoholgehalte der Weine hoch sind. Vor allem in Pomerol wird die 14 Vol.%-Schwelle regelmäßig überschritten.
Wie unterschiedlich der Jahrgang interpretiert wird, zeigen zwei Interviews, die der englische Jounrlist Andrew Black mit Pauline Vauthier von Château Ausone und Pierre Lurton von Château Cheval Blanc geführt hat. Beide Premiers haben offensichtlich sehr gute Weine im Keller – doch von ganz unterschiedlicher Stilistik. Ausone hat eher spät, Cheval Blanc eher früh gelesen.
Interview Pierre Lurton (Cheval Blanc)
Interview Pauline Vauthier (Ausone)
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